Champions League
Tuchel oben angekommen: Von Mainz über Dortmund und Paris zum Turbo-Titel
- Aktualisiert: 30.05.2021
- 14:47 Uhr
- ran.de
Vom gefeuerten Buh-Mann zum gefeierten Star-Trainer in nur fünf Monaten. Wie Thomas Tuchel beim FC Chelsea in kürzester Zeit in die Beletage der großen Trainer aufstieg.
München - So ausgelassen und emotional hat die Welt den sonst so abgeklärten Thomas Tuchel noch nie gesehen. Nach dem Triumph im Champions-League-Finale gegen Favorit Manchester City stürmte der "Blues"-Coach die Kabine, versprühte Champagner in rauen Mengen und tanzte wild inmitten seiner Spieler. Er zog seine Schuhe aus und legte sie in den Henkelpott. Sie seien die Glücksbringer gewesen, verriet er später.
PSG-Präsident Nasser El-Khelaifi hatte ihm die Schuhe vor dem Champions-League-Finale 2020 geschenkt. Tuchel habe versprochen, sie am Finaltag zu tragen, entschied sich dann aber doch anders. "Dann haben wir verloren", sagte er bei "BeIn Sports". Denselben Fehler wollte er nicht noch einmal begehen.
Dass der Schuh-Jubel auch ein kleiner Seitenhieb in Richtung seines alten Arbeitgebers war, ist ebenfalls gut vorstellbar. Schließlich hatte Paris St. Germain Tuchel an Weihnachten in der Ligue 1 auf Rang drei liegend entlassen. Ausschlaggebend soll das Zerwürfnis mit Sportdirektor Leonardo gewesen sein. Es war nicht das erste Mal, dass der 47-Jährige mit dem mächtigen Ex-Profi im Clinch lag.
Tuchel und Dortmund passten nicht zusammen
Tuchel gilt gemeinhin als schwieriger Charakter. In seiner Zeit bei Borussia Dortmund (2015 bis 2017) gab es immer wieder Probleme mit Klub-Boss Hans-Joachim Watzke. Selbst der Gewinn des DFB-Pokals 2017 änderte daran nichts.
Nach Saisonende löste der Trainer damals sogar seinen Vertrag vorzeitig auf. Der Bombenanschlag auf den Mannschaftsbus einen Tag vor dem Champions-League-Spiel gegen die AS Monaco, respektive der Umgang damit, zerschnitt das Tischtuch zwischen Trainer und Vereinsführung endgültig.
Vielleicht hatte Tuchel seinerzeit aber auch auf verlorenem Posten gekämpft. Hatte zwischen Watzke und Vorgänger Jürgen Klopp doch kein Blatt Papier gepasst.
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Tuchel schwärmt von Chelsea
Beim FC Chelsea herrscht endlich Friede, Freude, Eierkuchen. "Ich habe mich seit meiner Zeit in Mainz nicht mehr so wohl gefühlt", sagte er noch vor dem Finale dem "Mirror". "Blues"-Eigentümer Roman Abramowitsch begegnete Tuchel erstmals persönlich nach Abpfiff auf dem Rasen. "Es war der beste Zeitpunkt'", sagte Tuchel.
Der Milliardär will den Vertrag mit seinem neuen Erfolgscoach, der eigentlich nur bis Sommer 2022 läuft, verlängern. Wen wundert's. Denn Tuchel ist in den vergangenen Wochen und Monaten ein Fußball-Märchen gelungen, das Hollywood nicht schöner inszenieren könnte.
Von Null auf 100 in vier Monaten
Ende Januar kam der 47-Jährige als Nachfolger von Klub-Ikone Frank Lampard an die Stamford Bridge. Chelsea rangierte auf einem enttäuschenden Platz neun der Premier-League-Tabelle. Das internationale Geschäft in weiter Ferne. "Wir standen damals nicht gut da", erinnerte sich Timo Werner bei "Sky". "Ich war am Boden", gestand Antonio Rüdiger.
Irgendwie gelang es Tuchel, die Mannschaft sofort in seinen Bann zu ziehen. Er holte erfahrene Spieler zurück, gab der Mannschaft Stabilität, Hierarchie und den Glauben an sich selbst zurück.
"Frank Lampard hat das Training einfach nur so fließen lassen. Aber er (Tuchel) gibt den Spieler einen Plan mit auf den Weg. Er führt Gespräche mit den Spielern, was er von ihnen verlangt. Das haben die Spieler vermisst", resümierte "Sky"-Experte Lothar Matthäus.
Gerade die jungen Spieler bräuchten eine führende Hand, um es auf dem Platz umzusetzen: "Diese Dinge kommen gut bei den Spielern an. Man hat ja auch den Teamgeist gesehen bei den Spielern, den Willen."
Tuchels erfolgreiche Aufholjagd
Tuchel blies zur Aufholjagd. Mit jedem Sieg hingen seine Spieler noch mehr an seinen Lippen. Erst im 15. Pflichtspiel, beim 2:5 gegen West Bromwich Albion, setzte es die erste Niederlage. Zu diesem Zeitpunkt waren die "Blues" aber bereits so stabil, dass sie die Klatsche gegen den Absteiger als Ausrutscher schnell verdauten.
Es folgten Siege gegen Manchester City, in der Liga sowie im FA Cup. Und in der Champions League der Durchmarsch bis ins Finale, bei dem Atletico Madrid, der FC Porto und Real Madrid auf der Strecke blieben. Zwar ging Tuchels Männern gegen Saisonende ein wenig die Luft aus, trotzdem endete die Aufholjagd auf Rang vier der Premier League, welcher gleichbedeutend mit der Qualifikation für die Königsklasse in der kommenden Saison ist.
"Laufe durch einen Film"
Für Tuchel persönlich ist der Champions-League-Titel freilich der größte Erfolg seiner Karriere. "Ich laufe durch einen Film. Es ist das Schönste, was passieren konnte", jubelte er mit glasigen Augen am "Sky"-Mikrofon.
Und ergänzte: "Meine Familie ist hier. Meine Eltern, die mich auf jeden Fußballplatz gefahren haben. Meine Frau, die in der Landesliga Süd schon dabei war und sich manchmal gefragt hat, mit wem sie da zusammen ist. Meine Großmutter, die jetzt mit über 90 zuhause zuguckt. Ich weiß, wie sehr die sich freuen. Für die ist das."
In Mainz klingeln die Telefone heiß
An Tagen wie diesen richtet sich der Blick oft zurück. Als Tuchel 2009 im Nachwuchsleistungszentrum des 1. FSV Mainz 05 anheuerte, dürfte er nicht im Traum daran gedacht haben, dass er zwölf Jahre später den Henkelpott stemmen würde. Auch nicht, als er im Jahr darauf die Profis übernahm, die er eine weitere Saison später sogar bis auf Platz fünf der Bundesliga führte.
Seit Tuchel den FC Chelsea vor vier Monaten übernommen hat, stehen auch in Mainz die Telefone nicht mehr still. Manager und Entdecker Christian Heidel berichtete im "SWR" von unzähligen Journalistenanrufen aus England - noch vor dem großen Coup.
"Ich habe tausendmal versucht ihnen zu erklären, wer er ist, wo er herkommt und was für ein Typ er ist. Ich befürchte, wenn er das Ding gewinnt, dann geht das wieder von vorne los", mutmaßte der Mainzer Macher.
Tuchel heiß auf Titel
Tuchel selbst hat jetzt Blut geleckt, er will mehr als nur den Turbo-Titel. "Ich kann versichern, dass ich hungrig bleibe. Ich will den nächsten Titel", kündigte er bei "BT Sport" an.
Deshalb will er sich schon in den kommenden Tagen mit Abramowitsch zusammensetzen. Mit dabei werden dann wohl auch die Glücksbringer-Schuhe des Champions-League-Finales sein.
Carolin Blüchel
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