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Kritik von allen Seiten

DFB-Krise: Mangelnde Ausbildung und Verlust mehrerer Talente - schwierige Zeiten im deutschen Nachwuchs

  • Aktualisiert: 29.06.2023
  • 16:09 Uhr
  • ran.de
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© IMAGO/Beautiful Sports

Die Kritik am Nachwuchs im deutschen Fußball wird immer lauter und nimmt durch das Vorrunden-Aus der U-21 Nationalmannschaft weiter zu. Jochen Sauer, Campus-Leiter beim FC Bayern, bemängelt den Abschied vieler Talente zu anderen Verbänden und die Rolle des DFB dabei. Doch auch der immer wiederkehrende Rassismus könnte den Verband künftige Stars kosten.

Von Chris Lugert und Oliver Jensen

Hat der deutsche Fußball ein schwerwiegendes Nachwuchsproblem? Und wenn ja, wo liegen die Gründe?

Die dürftigen Auftritte der A-Nationalmannschaft in den vergangenen Jahren und das Vorrunden-Aus der U21-Junioren bei der aktuellen EM haben die Debatte über die Qualität der deutschen Ausbildung neu entfacht.

Rudi Völler, Sportdirektor des DFB, fand deutliche Worte. "Das ist eine Qualitätsfrage, die müssen wir wieder hinbekommen. Das fängt im Jugendbereich an", sagte Völler im Rahmen der U21-EM und nahm dabei vor allem die Klubs in die Pflicht: "Das ist nicht nur der DFB, da sind auch die Vereine mit im Boot. Die haben zuletzt nicht so ausgebildet, wie sich das gehört." Das hat gesessen.

Kritik an der Art und Weise der Ausbildung im deutschen Jugendbereich ist nicht neu. Der Vorwurf: Taktik ist wichtiger als die positionsspezifischen Anforderungen und Kreativität. "Das clevere Verhalten hat uns in Deutschland immer ausgezeichnet", meint Völler.

Natürlich sei eine Spieleröffnung wichtig, "aber heute wird in der Jugend vermittelt, dass jeder Innenverteidiger den Ball vier Meter nach links oder rechts spielen kann. Das muss man können, aber viel wichtiger ist Kopfballspiel, Eins-gegen-Eins und den Zweikampf zu gewinnen. Das ist die Basis", so der 63-Jährige.

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In den Nachwuchsleistungszentren wird falsch ausgebildet

Markus Krösche, der Sportvorstand von Eintracht Frankfurt, sieht Vereine und Verband gleichermaßen gefordert. "Wir müssen die Anzahl der Talente erhöhen - auf der einen Seite der DFB, aber auch wir Klubs", sagte der 42-Jährige bei "Sky".

"Wir müssen in jedem Klub eine Ausbildungsphilosophie entwickeln und auch unsere Nachwuchstrainer noch besser ausbilden." Krösche bemängelt, dass in den Nachwuchsleistungszentren seit einigen Jahren "ein falscher Ansatz" gewählt worden ist: "Ballan- und -mitnahme, Passspiel, Entscheidungsverhalten - diese individuellen Dinge sind zu kurz gekommen."

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Der Übergang vom Talent zum Profi gelingt oftmals nicht 

Doch selbst wenn ein junger Spieler gut ausgebildet wird, muss ihm zunächst einmal der Übergang vom Talent zum Profi gelingen. Dass genau dies oftmals nicht gelingt, empfindet Bayern-Ikone Klaus Augenthaler, der momentan in das internationale Nachwuchsprogramm "FC Bayern Squad" integriert ist, als enttäuschend.  

"Wir haben doch eigentlich eine gute U17-Nationalmannschaft oder auch eine gute U19-Nationalmannschaft. Aber bei welchen Vereinen spielen die U19-Nationalspieler? Kaum einer davon ist in der Bundesliga aktiv", bemängelte er im Interview mit "web.de".

"Einerseits müsste man den jungen Spielern eine Chance geben, sodass sie sich besser entwickeln können. Andererseits sind die Profitrainer vorrangig für die Ergebnisse und den Tabellenstand verantwortlich, nicht für die Entwicklung junger Spieler. Außer der Trainer hat die Unterstützung vom Präsidium, weil gewollt ist, dass jedes Jahr ein oder zwei Nachwuchsspieler in den Profikader gelangen. Aber diese Unterstützung ist selten."

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Dem DFB gehen die Talente durch die Lappen

Grundsätzlich allerdings sehen sich die Vereine nicht nur selber in der Schuld. Jochen Sauer, Leiter des Nachwuchs-Campus beim FC Bayern München, bemängelt aus eigener Erfahrung massive Versäumnisse beim DFB. Sauer führte gleich drei Spieler in den Reihen des Rekordmeisters auf, die der Verband - so Sauer indirekt - in den vergangenen Jahren vergrault hat oder die aktuell mit einem anderen Land kokettieren.

"Der DFB verpasst es auch manchmal, unsere Spieler etwas früher zu fördern. Malik Tillman war deutscher Jugendnationalspieler bis zur U21, hat sich dann aber ganz bewusst für die A-Nationalmannschaft der USA entschieden. Er wäre aktuell einer der Top-Spieler bei der deutschen U21", sagte Sauer der "Bild"-Zeitung.

Der 50-Jährige weiter: "Josip Stanisic war deutscher U19 Nationalspieler, wurde dann für die U21 Kroatiens eingeladen und ist jetzt dort A-Nationalspieler. Paul Wanner überlegt gerade, ob er lieber für Österreich spielt."

Zwar gibt es auch Gegenbeispiele wie etwa Jamal Musiala, der die englische Nationalmannschaft gegen die deutsche eingetauscht hat. Doch der umgekehrte Weg tritt weit häufiger ein. Da stellt sich die Frage: Warum schafft es der DFB oft nicht, seine Talente zu halten?

Viel Konkurrenz schreckt Talente ab: Dilemma für den DFB

Das einfachste Argument ist die Aussicht auf häufigere Einsätze in anderen Nationalmannschaften. Die Konkurrenz in Deutschland ist größer als etwa in Kroatien, den USA oder auch in Österreich. Die jeweiligen Verbände gehen meist offensiv auf die Spieler zu und stellen eine Rolle in Aussicht, die der DFB nicht immer bieten kann.

Tillman etwa hat durch seinen Wechsel realistische Chancen, an der WM 2026 teilzunehmen, die auch noch in den USA - dem Heimatland seines Vaters - stattfindet. Der Wechsel vor knapp einem Jahr traf den DFB aber ziemlich unvorbereitet, zumal der Offensivspieler ein Fixpunkt der U21 war. 

"Wir haben ihn in der U21 als jüngeren Spieler gefördert, ihm viel Vertrauen entgegengebracht und Spielpraxis gegeben. Dazu waren wir in intensivem Austausch, was seine Perspektiven bis hin zur A-Nationalmannschaft angeht", zeigte sich Trainer Antonio di Salvo damals enttäuscht.

Bei Stanisic hingegen hat der DFB tatsächlich keine gute Figur abgegeben. Erst 2018 hatte der deutsche Verband das Tauziehen um Stanisic für sich entschieden, was in Kroatien für Misstöne gesorgt hatte. Doch anstatt dem Bayern-Profi anschließend das Vertrauen zu schenken, wurde er nur im November 2018 überhaupt zu einem DFB-Lehrgang eingeladen, damals für die U18.

Davor und danach ist er ignoriert worden, ehe er die Reißleine zog und 2021 die Kehrtwende Richtung Kroatien vollzog. Inzwischen ist Stanisic auf der Rechtsverteidigerposition - bis heute eine Schwachstelle der deutschen Nationalmannschaft - ein fester Bestandteil des kroatischen Kaders und nahm auch an der WM in Katar teil, wenngleich er dort nur einmal zum Einsatz kam.

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Welche Rolle spielt der Rassismus?

Allerdings gibt es noch ein weiteres Thema, das für die künftigen deutschen Nationalmannschaften sowohl im Jugendbereich als auch mittel- und langfristig bei der A-Mannschaft für Probleme sorgen könnte. Gemeint ist der weiterhin vorhandene Rassismus.

Bei der U21-EM gab es nach dem 1:1 im Auftaktspiel gegen Israel heftige Beschimpfungen gegen Youssoufa Moukoko und Jessic Ngankam. Die beiden Stürmer hatten jeweils einen Elfmeter verschossen. Der DFB reagierte mit einem bemerkenswert starken Statement, doch angesichts einer zunehmenden Migrationsquote in den jüngeren Jahrgängen besteht die Gefahr, dass sich immer mehr Spieler für das Herkunftsland ihrer Familien entscheiden, sollte der Rassismus nicht verschwinden.

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Die U21 vor dem Spiel gegen Israel
News

Kommentar: Strafrechtliche Verfolgung von Rassisten - Bravo, DFB!

Einen Tag nach den rassistischen Anfeindungen gegen die U21-Stürmer Youssoufa Moukoko und Jessic Ngankam kündigt der DFB an, ab sofort hart gegen die Täter durchgreifen zu wollen. Dieser Weg ist richtig, auch wenn er steinig werden dürfte. Ein Kommentar.

  • 23.06.2023
  • 16:03 Uhr

Der frühere deutsche U21-Nationalspieler Jordan Torunarigha postete diesbezüglich jüngst eine Instagram-Story, in der er auf dieses Thema hinwies und den Spielern riet, sich genau zu überlegen, für welches Land sie spielen wollen. Zudem ließ er auch Kritik am DFB erkennen, der die Spieler nicht ausreichend schütze.

Der 25-Jährige, der inzwischen für KAA Gent in Belgien spielt, wurde selbst wiederholt Opfer von Rassismus. In trauriger Erinnerung blieb vor allem das Pokalspiel zwischen Schalke und Hertha im Februar 2020, bei dem er massiv angefeindet worden war.

Fazit: Die Probleme im deutschen Nachwuchsfußball sind vielschichtig. Die Ausbildung hakt an einigen Stellen, was durchaus in der Verantwortung der Klubs liegt. Aber auch der DFB muss liefern. Vorhandene Talente müssen erkannt und innerhalb des Verbandes gefördert werden.

Dazu gehört bei der zunehmenden Zahl an Spielern mit Migrationshintergrund aber nicht nur die sportliche Perspektive, sondern auch der Schutz vor Rassismus. Denn ein Spieler, der sich in einem Land ausgegrenzt und nicht willkommen fühlt, wird sicher nicht das entsprechende Nationaltrikot tragen - egal, wie gut ausgebildet er ist.