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Die Nationalmannschaft in der Krise

DFB-Team: Torsten Frings sieht Joshua Kimmich kritisch und würde voll auf Ilkay Gündogan setzen

  • Aktualisiert: 20.06.2023
  • 16:01 Uhr
  • ran.de
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Nach den schwachen Leistungen gegen die Ukraine und Polen steigt die Nervosität. Kann die DFB-Elf bis zur EM 2024 noch das Ruder herumreißen? Ex-Nationalspieler Torsten Frings hat eine Erklärung für die aktuelle Krise.

Von Stefan Kumberger

Im exklusiven Interview mit ran.de blickt der Vize-Weltmeister von 2002 kritisch auf Joshua Kimmich und zieht Parallelen zur Situation des deutschen Fußballs im Jahr 2006.

ran: Herr Frings, die deutsche Nationalmannschaft bereitet derzeit vielen Fans Bauchschmerzen. Wie sehen Sie die aktuellen Leistungen?

Torsten Frings: Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass gerade die Spiele am Ende der Saison die nervigsten und schwierigsten für die Spieler sind. Man will nach so einer langen Spielzeit nichts sehnlicher, als endlich in den Urlaub zu fahren. Mit der WM mittendrin war es auch eine ziemlich kuriose Saison. Die Spieler sind körperlich und psychisch am Ende. Von daher wundert es mich nicht, dass man auch einmal ein Spiel verliert. Aber es ist schon verwunderlich, dass man nicht immer den hundertprozentigen Willen spürt, die Spiele noch umzubiegen.

ran: Das klingt, als wäre es auch ein Stück weit normal. Was kann ein Trainer da tun, um die Spieler aus ihren Urlaubsgedanken wieder herauszuholen? 

Frings: Also normal ist es auf keinen Fall, es ist ja trotzdem die Nationalmannschaft. Und da sollte man den Anspruch haben, dass man Spiele gegen die Ukraine und auch Polen gewinnt. Das sollte schon drin sein, auch nach einer so kräftezehrenden und schwierigen Saison. Aber dass es nicht ganz so einfach ist und Spieler nicht den frischesten Eindruck machen, das ist normal. Aber es sollte der Anspruch sein - gerade für die deutsche Nationalmannschaft ein Jahr vor der Heim-EM - besser zu performen. 

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Frings: "Die richtige Euphorie fängt erst mit dem Turnier an"

ran: Sie waren 2006 beim Sommermärchen selbst dabei, auch damals lief es in der Vorbereitung gar nicht gut, gegen Italien gab es eine bittere Niederlage. Kann man das vergleichen? Und wie kann man eine Euphorie für so ein Turnier entwickeln? 

Frings: Es ist auf jeden Fall vergleichbar. Wir hatten damals 2004 auch eine Katastrophen-EM gespielt, danach gab es auch einige personelle Wechsel. Unter anderem auch ein neues Trainerteam mit Jürgen Klinsmann und Jogi Löw. Da war bei den Spielern schon eine neue Euphorie erkennbar, aber wir konnten es noch nicht durch unsere Leistung zeigen. Uns ist es dann zum Glück gelungen, mit einem sensationellen Eröffnungsspiel die Leute komplett auf unsere Seite zu ziehen. Ich hoffe, gerade auch als deutscher Fußballfan, dass der Mannschaft Ähnliches gelingt. Natürlich müssen die Spiele und auch die Ergebnisse besser werden, damit man so eine Grundeuphorie bekommt. Aber die richtige Euphorie fängt erst mit dem Turnier an. 

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Trainerdiskussion? Völler: "Auf keinen Fall!"

Rudi Völler stärkt Bundestrainer Hansi Flick den Rücken. Ein möglicher Trainerwechsel vor der EM stand für Völler zu keiner Zeit zur Diskussion.

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ran: Also die Vorbereitung hat gar nicht den Stellenwert, der oft hineininterpretiert wird?

Frings: Die Vorbereitung ist gerade für die Spieler wichtig, um ein Team zu werden und sich persönlich einen Stammplatz zu erkämpfen. Aber die richtige Euphorie bei den Leuten kommt mit dem Turnierbeginn. Da bin ich sicher.

ran: Hansi Flick probiert aktuell noch viel aus. Wann muss er seine erste Elf oder wenigstens seine ersten 14 gefunden haben? 

Frings: Je schneller desto besser. Man muss Hansi Flick auch verstehen, dass er nach einer so enttäuschenden WM vieles hinterfragt hat. Auch Spieler, die bisher sichere Plätze hatten, muss er kritisch betrachten. Du kannst nur durch Testspiele und Experimente Spielern die Möglichkeit geben, sich zu zeigen. Man darf nicht vergessen: Das sind alles Spieler, die in absoluten Top-Vereinen spielen und die es trotzdem derzeit nicht schaffen, ihre hundertprozentige Leistung abzurufen. Deswegen kommen dann auch solche Ergebnisse zustande wie jetzt gegen die Polen oder die Ukraine. Aber zu experimentieren muss für Hansi Flick erlaubt sein.

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Hansi Flick? Frings: "Er muss sein Gerüst zusammenbasteln"

ran: Wie sehen Sie ihn? Wirkt der Bundestrainer auf Sie so als hätte er einen echten Plan? 

Frings: Es ist nach so einer WM wirklich schwierig für einen Trainer, einen Neuaufbau zu machen. Man hat nicht so viel Zeit, es fehlt ein halbes Jahr Vorbereitung, weil die WM erst im Winter stattfand. Wir müssen nicht über Hansi Flick reden, er ist ein super Trainer, war sehr erfolgreich. Er ist auch im Team sehr beliebt, weil er eigentlich mit allen spricht. Wichtig wäre jetzt, dass er sich sein Gerüst zusammenbastelt mit sieben, acht Spielern, auf die man permanent baut, und dann ein Gerüst drumherum mit 14, 15, 16 Spielern, die ihre Einsätze bekommen und den Kern der Mannschaft bilden. Es ist das Wichtigste, sich auf diese Jungs festzulegen und diese dann auch dauerhaft spielen zu lassen. 

ran: Sie waren selbst früher im Mittelfeld, im Herzstück der Mannschaft, unterwegs. Kimmich, Goretzka, Gündogan – wie wäre Ihre Kombination aktuell? 

Frings: Das Thema hatten wir während der WM auch schon. Für mich müsste Gündogan gesetzt sein, weil er eben seit Jahren Top-Leistungen bringt und bei der aktuell weltbesten Mannschaft Manchester City spielt. Er ist Kapitän, Führungsspieler und für mich auf jeden Fall gesetzt. Dann reden alle über Kimmich, der sicher ähnlich anzusehen ist, aber bei ihm sieht man momentan am meisten, was körperlich und auch vom Kopf her fehlt. Es war ein sehr anstrengendes Jahr für ihn und er wirkt auf mich sehr ausgelaugt. Aber ich bin mir sicher, wenn er jetzt Urlaub machen und Kraft tanken kann, dass er wieder der Alte und dann mit Gündogan das Herzstück bilden wird. 

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Kimmich? Frings: Er ist wichtig, "aber nicht der Wichtigste"

ran: Dennoch hat man bei Kimmich den Eindruck, dass er zwar sehr ehrgeizig, aber kein echter Führungsspieler ist. Hansi Flick hat ihn zuletzt mit Michael Jordan und Kobe Bryant verglichen. Ist es so: Wenn Kimmich funktioniert, funktioniert die gesamte Mannschaft? 

Frings: Nein. Ich kenne ihn nicht persönlich, aber einen solch wichtigen Eindruck macht er auf mich nicht. Da gab es früher sicherlich andere Spieler, die eine Mannschaft mehr geprägt haben. Wenn ich jetzt zu meiner Zeit an Michael Ballack denke, der einfach ein Leader war. Er war zu 100 Prozent akzeptiert und ist mit Leistung vorangegangen. Das fehlt mir bei Kimmich – obwohl er die Rolle als Anführer ja auch selbst einfordert. Er ist aber noch ein relativ junger Spieler, es prasselt jetzt auch viel auf ihn ein. Zum Leader fehlt sicherlich ein Stück, aber er ist auf dem Weg dorthin und für mich ein absoluter Top-Spieler. Er ist für die Nationalmannschaft ein wichtiger Spieler, aber nicht der wichtigste. 

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ran: Zum Abschluss noch kurz zum heutigen Spiel. Sie haben 2006 selbst gegen Kolumbien gespielt. Was fällt Ihnen ein zu Kolumbien und auch zum Spiel damals? 

Frings: Generell versucht man als Nationalmannschaft immer, alle Arten des Fußballs abzudecken, damit man ein Stück weit auch die jeweilige Mentalität zu spüren bekommt. Kolumbien ist eine körperbetonte Mannschaft, die sehr über ihre Mentalität und Zweikampfstärke kommt. Die Erfahrung musst du als Nationalspieler gemacht haben, genauso, wie du immer mal gegen eine asiatische Mannschaft spielen wirst oder eine afrikanische, damit du einfach alles abgedeckt hast, um zu sehen, wie Fußball auf unterschiedlichen Kontinenten gespielt wird. Jetzt ist Kolumbien dran und das wird ein gutes Spiel für die Mannschaft werden, weil Kolumbien eine Mannschaft ist, die Deutschland sicher nicht schonen wird, was Zweikampfhärte und Zweikampfstärke angeht.

ran: Damals hat das DFB-Team 3:0 gewonnen, Sie haben 71 Minuten gespielt. Was ist Ihnen noch in Erinnerung?

Frings: Das war ein sehr wichtiges Spiel, weil das der letzte Test vor der Weltmeisterschaft war. Danach ging es ins Turnier, daher war es für uns wichtig, dass wir ein gutes Spiel abliefern, einen Sieg holen und damit ein Stück weit Euphorie zu entfachen. Jetzt ist es zwar noch ein Jahr hin, aber es ist trotzdem wichtig, einfach mal wieder ein Spiel zu gewinnen und den Leuten zu zeigen: Hey, wir können es noch. Das ist uns damals gelungen.