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Kuntz im Exklusiv-Interview

Stefan Kuntz exklusiv über die Erdbebenkatastrophe in der Türkei: "Es herrscht eine unglaubliche Trauer"

  • Aktualisiert: 09.02.2023
  • 15:18 Uhr
  • ran.de / Dominik Hechler
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© Imago

Stefan Kuntz war als türkischer Nationaltrainer gerade in Istanbul, als es in Teilen des Landes zu einer schlimmen Erdbebenkatastrophe kam. Im exklusiven Interview mit ran spricht der ranFussball-Experte über seine Gefühlslage nach dieser Naturkatastrophe, die Auswirkungen für die Türkei und wie nun auch die türkische Nationalmannschaft den Betroffenen helfen möchte.

Von Dominik Hechler

ran: Stefan Kuntz, Sie waren in Ihrer Rolle als türkischer Nationaltrainer gerade in Istanbul als es in der Türkei zu einer furchtbaren Erdbebenkatastrophe kam, bei der Tausende Menschen ihr Leben verloren haben. Wie haben Sie davon erfahren und wie war Ihre erste Reaktion?

Stefan Kuntz: Als ich am Montag morgens aufgewacht bin, haben mich meine Medienleute direkt informiert, dass in der Nacht ein schweres Erdbeben stattgefunden hat. Daraufhin habe ich dann auch schon gesehen, dass überall im Fernsehen bereits die Sondersendungen zu der Katastrophe liefen. In die erste, tiefe Bestürzung hinein ist dann ja auch noch das zweite Beben gekommen. Das nimmt einen persönlich natürlich schon sehr mit. Und trotzdem mussten an diesem Tag vom türkischen Fußballverband noch Entscheidungen getroffen werden, weil für abends eigentlich noch Spiele im ganzen Land angesetzt waren. In dieser schwierigen Situation sicherlich keine leichte Aufgabe.

Vor allem, wenn man all diese schrecklichen Bilder sieht. Denn was sicherlich ungewöhnlich und auch ein Unterschied zu früher ist, ist wenn Menschen in ihrer Not Videos auf Social Media posten, die zeigen, dass sie verschüttet und eingeschlossen sind, man also durch ihren Post ihren Standort weiß, wo sie genau sind, aber nicht hinkommt, um sie zu retten. Das ist eine Dramatik, die in meinen Augen bei diesem Erdbeben in der Türkei zum ersten Mal so offensichtlich und spürbar wurde.

ran: Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie all diese Rettungsaktionen in der Türkei und Syrien aktuell sehen?

Kuntz: Es ist wirklich nur schwer zu ertragen. So lange etwas anonymisiert ist, kann man meiner Meinung nach als Außenstehender vielleicht besser mit solchen Situationen umgehen. Aber da man jetzt durch Social Media eben Hunderte oder sogar Tausende dieser persönlichen Videos und somit auch Schicksale sehen kann, ist es nicht mehr anonymisiert. Das macht die Betroffenheit und auch das Mitgefühl mit diesen Menschen umso größer.

ran: Haben Sie direkt versucht, Kontakt mit Ihren Nationalspielern und Staff-Mitgliedern aufzunehmen?

Kuntz: Wir wussten, wo sich unsere Spieler zu diesem Zeitpunkt aufgehalten haben. Somit war schnell klar, dass aus der türkischen Nationalmannschaft direkt niemand betroffen war. Allerdings sind ja unter anderem die Städte Hatayspor und Adana, wo zwei türkische Erstligisten beheimatet sind, von dem Erdbeben hart getroffen worden. Das Team von Adana Demirspor war zu diesem Zeitpunkt jedoch glücklicherweise in Istanbul. Ich denke aber auch an Gaziantep oder Diyarbakir. Denn wir haben mit der türkischen Nationalmannschaft erst im November des vergangenen Jahres in diesen beiden Städten Länderspiele absolviert. Wir waren also erst vor wenigen Monaten selbst dort vor Ort und haben verschiedene Menschen kennengelernt, die unser Team wahnsinnig unterstützt haben. Dass ihnen nun so etwas Furchtbares passiert, geht einem nochmal etwas näher.

ran: Was bedeutet diese Naturkatastrophe für die Türkei?

Kuntz: Zunächst einmal herrscht im ganzen Land eine unfassbare Trauer. Nicht umsonst hat der türkische Staat ja jetzt auch eine komplette Woche Staatstrauer angeordnet. Die türkischen Mitbürger sind ja in ganz Europa verteilt und wissen somit nicht, wie es ihren Familienmitgliedern in den betroffenen Regionen im Augenblick geht. Es herrscht also eine große Ungewissheit. Zumal das Ausmaß dieser Tragödie anhand der Anzahl der Todesfälle wohl erst in ein paar Wochen so richtig ersichtlich werden wird.

ran: Während der Staatstrauer steht natürlich auch der Sport und somit der Fußball in der Türkei komplett still. Wie schwer wird es Ihrer Meinung nach, ab einem gewissen Zeitpunkt wieder zur "Tagesordnung" über zu gehen?

Kuntz: Da kann ich mich ehrlichweise im Moment gar nicht hineinversetzen. Wie und ob beispielsweise Teams wie Adana Demirspor oder Hatayspor ihre Saison fortsetzen oder überhaupt zu Ende spielen können – da habe ich aktuell noch keine Lösung vor Augen. Allerdings ist der Fußball in der aktuellen Situation auch absolut zweitrangig. Im Moment überwiegt das Mitgefühl mit all den Opfern und Betroffenen des Erdbebens.

ran: Sie haben bereits angekündigt, dass auch die türkische Nationalmannschaft in dieser Situation helfen möchte. Wie wird diese Hilfe aussehen?

Kuntz: Ich habe bereits auf Social Media einen Aufruf gestartet und der türkische Fußballverband hat sich das Ziel gesetzt, eine Million Euro an Spendengeldern für die Opfer des Erdbebens einzusammeln. Dieses Geld wird dann an den türkischen Katastrophenschutz übergeben, weil die aktuell natürlich am besten wissen, was mit den Spenden zu tun ist. Aber nicht nur ich, sondern auch meine Nationalspieler werden diesbezüglich tätig werden. Zudem haben mich auch privat bereits einige deutsche Firmen und Freunde angerufen und gefragt, wie sie helfen können. All das werden wir dann wie bereits erwähnt über den türkischen Fußballverband bündeln und dann dem türkischen Katastrophenschutz übergeben.

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