Serie A
Dele Alli: Vom Superstar zum Karriereende mit 29? Ein stiller Absturz
- Aktualisiert: 06.08.2025
- 13:23 Uhr
- Carolin Blüchel
Er war der strahlende Zehner im englischen Fußball. Mit nur 29 Jahren denkt Dele Alli inzwischen aber an einen Rücktritt. Seine Geschichte ist keine sportliche, sondern eine menschliche.
Von Carolin Blüchel
Mit 100 Millionen Euro war er einmal einer der wertvollsten Fußballer Europas. Dele Alli, offensiver Mittelfeldspieler, Spielmacher mit Torriecher – kein Talent mehr, sondern ein Star.
Er stand im Champions-League-Finale, wurde zweimal als bester Nachwuchsspieler der Premier League ausgezeichnet, war Publikumsliebling bei Tottenham Hotspur und fester Bestandteil der englischen Nationalelf.
Heute, nur wenige Jahre später, ist von diesem Glanz kaum noch etwas übrig. Mit 29 Jahren steht Alli vor dem sportlichen Aus. Beim Serie-A-Klub Como 1907 wurde er aus dem Kader gestrichen, noch vor Beginn der neuen Saison. Kein Spiel, kein Training mit der Mannschaft.
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Laut "Gazzetta dello Sport" denkt er ernsthaft über ein Karriereende nach. Was ist passiert mit einem der talentiertesten Spieler seines Jahrgangs? Die Antwort führt tief hinein in eine Lebensgeschichte, die weit mehr ist als ein sportlicher Absturz.
Das Wichtigste in Kürze
Alli sieht Rot: Comeback in Como endet abrupt
Anfang 2025 schien alles auf Neuanfang gestellt. Nach einer langen Reha-Phase und ohne gültigen Vertrag hatte Alli seit Sommer 2024 weiter bei seinem Ex-Klub Everton trainiert, um fit zu werden. Sein Vertrag war zuvor ausgelaufen. Doch der Verein unterstützte ihn weiter – medizinisch und menschlich.
Als er vor der Rückrunde bei Como anheuerte, war Alli voller Zuversicht. "2025 könnte mich auf einen neuen Weg mit einigen aufregenden Möglichkeiten bringen", schrieb er auf Instagram. Der Klub mit Aufstiegs-Euphorie, ein bekannter Trainer namens Cesc Fabregas - das Projekt schien zu passen.
Bis Sommer 2026 sollte sein Vertrag laufen, Verlängerungs-Option inklusive. Doch das Comeback endete abrupt: In seinem Debüt gegen die AC Mailand wurde er in der 81. Minute eingewechselt – und sah nur zehn Minuten später Rot.
Danach kam er nie wieder zum Einsatz. Sieben Mal saß er auf der Bank, einmal fehlte er krank, seit der Sommer-Vorbereitung spielt er sportlich keine Rolle mehr.
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Vom Straßenjungen zum Wembley-Star
Alli war nie ein klassischer Spielmacher, auch kein typischer Stürmer. Er war ein Zehner mit Timing, jemand, der aus dem Mittelfeld torgefährlich in den Strafraum stieß. Zwischen 2015 und 2018 blühte er auf wie wenige junge Spieler in Europa.
Mit 19 debütierte er für Tottenham, mit 20 wurde er zum "PFA Young Player of the Year" gewählt – zwei Jahre in Folge. Er erzielte Tore wie am Fließband, stand 2019 im Champions-League-Finale, schoss England 2018 ins WM-Halbfinale.
Sein Marktwert erreichte 100 Millionen Euro – eine astronomische Summe für einen Offensivspieler in so jungem Alter. Er war mehr als ein Versprechen. Er war ein Unterschiedsspieler.
Schleichender Absturz bei Tottenham
Ab 2019 - beginnend mit einer hartnäckigen Muskelverletzung - verlor er langsam, aber unaufhaltsam an Form. Unter Jose Mourinho wurde er zum Reservisten, auch unter Antonio Conte fand er keinen Platz mehr. Im Januar 2022 wechselte er ablösefrei zu Everton. Der große Neustart blieb aus.
Es folgten nur ein Startelfeinsatz, ein paar Jokerrollen - mehr nicht. Im Sommer 2022 wurde er schließlich an Besiktas Istanbul verliehen. Dort zeigte er Ansätze, ehe ein Muskelteilabriss im Februar 2023 ihn erneut monatelang ausbremste.
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Zurück in Everton war er sportlich längst außen vor. Und menschlich erreichte der damals 27-Jährige einen Punkt, an dem alles ins Wanken geriet.
Alli: Sexueller Missbrauch in der Kindheit
In einem schonungslosen Interview mit Gary Neville im Podcast "The Overlap" sprach Alli im Juli 2023 zum ersten Mal öffentlich über seine Kindheit - der Fußballwelt stockte der Atem. Und plötzlich ergab alles Sinn.
"Mit sechs wurde ich von einem Freund meiner Mutter sexuell missbraucht. Mit sieben fing ich an zu rauchen. Mit acht verteilte ich Drogen. Mit elf wurde ich von einem Mann von einer Brücke gehängt."
Er berichtete von einer alkoholkranken Mutter, von Gewalt, Vernachlässigung, Drogendeals – und davon, wie er mit zwölf zu einer Pflegefamilie kam, die ihn auffing. "Ich wurde mit zwölf adoptiert – und das hat mein Leben gerettet."
Er erklärte, wie Fußball für ihn zum Gamechanger wurde – aber auch zur Belastung. "Ich habe im Training gelächelt, aber innerlich habe ich verloren." In dieser Zeit entwickelte er auch eine Abhängigkeit von Schlaftabletten.
Nach der Leihe aus Istanbul und der langen Verletzungspause brachen sich all die verdrängten Traumata seiner Vergangenheit Bahn. Alli ließ sich freiwillig in einer Spezialklinik in den USA einweisen – wegen Schlafmittelabhängigkeit, psychischer Erschöpfung, Kindheitstraumata. Sechs Wochen lang. Everton unterstützte ihn in dieser Zeit vollumfänglich. Der Verein wurde zum Anker.
Alli vor Karriereende?
Doch heute ist Alli wieder haltlos. In Como steht er allein auf dem Trainingsplatz. Ohne Vertragssicherheit. Ohne sportliche Zukunft. Und vielleicht bald ohne Karriere. Es wäre ein bitteres Ende für einen Spieler, der alles hatte – Talent, Tempo, Technik – und dem am Ende nicht der Fußball, sondern die Vergangenheit im Weg stand.
Doch vielleicht gibt es sie noch: Die eine letzte Chance. Einen Klub, der sich nicht fragt, was war, sondern was noch möglich ist. Der erkennt, dass in Dele Alli nicht nur ein Spieler steckt, sondern ein Mensch, der den härtesten Kampf seines Lebens längst schon geführt hat.
Laut "Football Insider könnte der FC Burnley so eine Adresse sein. Beim Premier-League-Klub besteht offenbar Interesse. Man wünscht Alli diese Chance. Diese Wende. Damit sich der Kreis schließt – zum Guten.