ran WM Webshow
Torsten Frings in der ran WM Webshow: "So etwas gehört nicht zu einer Siegerehrung"
- Aktualisiert: 19.12.2022
- 11:47 Uhr
- ran.de
In der ran WM Webshow analysiert ran-WM-Experte Torsten Frings die entscheidenden Szenen des Endspiels. Er äußert sich zur Gewandübergabe an Lionel Messi, der GOAT-Debatte und der Zukunft des DFB-Teams.
München - Die WM in Katar ist vorbei, Argentinien mit Lionel Messi Weltmeister. Zeit für ein ausführliches Fazit und einen kurzen Blick voraus
ran-WM-Experte Torsten Frings hat sich in der ran WM Webshow zu allen relevanten Themen des Finals zwischen Argentinien und Frankreich, zum Abschneiden des DFB-Teams und den nächsten großen Turnieren geäußert.
Frings über…
... das WM-Finale: "Es war mega-spannend ab der 80. Minute. Da war es ein überragendes Finale. Vorher war es eine eindeutige Dominanz der Argentinier. Das war schon beeindruckend. Ab der 80. Minute ging die Post ab. Das war ein richtig geiles Finale mit zwei Mannschaften, die es auch verdient hatten, im Finale zu stehen. Sie haben uns mit einem richtigen Spektakel belohnt."
... das womöglich beste Finale, das er persönlich je gesehen hat: "Das beste Finale war für mich das Champions-League-Finale Bayern gegen Chelsea. Da hat man richtig mitgefiebert mit den Münchnern. Umso trauriger war ich dann auch, als der Basti den Elfmeter verschossen hat."
... Lionel Messi bei diesem Turnier: "Er war überragend, und das mit 35 Jahren. Er wurde in vielen Spielen völlig verdient 'Man of the Match'. Man muss sich einfach mal vorstellen, was er für eine Last auf den Schultern hatte. Die ganze Nation hat von ihm den Titel erwartet. Wie eindrucksvoll er gespielt hat, war fantastisch. Man gönnt es ihm einfach sehr."
... die Veränderung bei Messi während des Turniers: "Man hat bei ihm vor allem gegen die Niederlande gesehen, dass er ein Ziel hat und sich davon nicht abbringen lässt. Da wird man unterbewusst vielleicht auch mal etwas wilder. Aber es hat der Mannschaft gutgetan, sie war hellwach."
... die Frage nach dem GOAT zwischen Messi und Ronaldo: "Man muss vor beiden Respekt haben. Bei Messi hat man das Gefühl, dass er immer auf dem Boden geblieben ist und immer Teil der Mannschaft sein wollte, auch wenn sich natürlich alles um ihn dreht. Bei Ronaldo hat man das Gefühl, dass sich alles um ihn drehen muss. Deshalb bin ich auf jeden Fall für Messi. Ich denke, dass jetzt mit dem WM-Titel, den Messi geholt hat, die Diskussion auch hinfällig ist."
... die Übergabe des Gewandes an Messi: "Das hat mich sehr geärgert, als ich es zu Hause gesehen habe. Es ist sicherlich auch eine Ehre, so etwas zu bekommen. Aber es gehört zu so einer Siegerehrung nicht dazu. Es hat ja gefühlt zwei, drei Minuten gebraucht, bis er den Pokal überreicht bekam. Für mich war es eine Selbstinszenierung von Infantino und dem Emir."
... das Team der Argentinier: "Sie waren total hungrig und fokussiert. Das ist auch ein Verdienst von Messi. Da kommen viele Spieler auch zu kurz, obwohl sie eine Riesenleistung gezeigt haben. Fernandez zum Beispiel ist erst 21 Jahre alt und hat im Mittelfeld die Fäden gezogen. De Paul und Mac Allister haben dafür gesorgt, dass Messi nicht jeden Weg zurückgehen muss. Di Maria muss man auch nennen. Er hat im Turnier wenig gespielt, im Finale dann aber vom Trainer das Vertrauen bekommen. Er hat das Vertrauen mit einer überragenden Leistung zurückgezahlt."
... die Taktik von Lionel Scaloni: "Eigentlich bekommst du als Gegenspieler alle Informationen. Scaloni hat sich mit Di Maria einfach für Erfahrung entschieden und ihm das Vertrauen ausgesprochen. Er wusste, dass Di Maria in den entscheidenden Momenten noch ein Faktor sein kann. Schon wie er den Elfmeter herausholt - ich behaupte jetzt einfach mal ganz frech: ein 20-Jähriger holt den nicht raus. Das ist pure Erfahrung, im Strafraum gegen Dembele zu kreuzen."
... die verwandelten Elfmeter: "Man muss da schon Mega-Nerven haben. Da muss man echt den Hut ziehen, vor allem vor Messi und Mbappe. Wenn Milliarden von Augenpaaren auf dich gerichtet sind und du weiß, dass du dich unsterblich machen kannst, ist das schon keine leichte Aufgabe. Dem Druck muss man erstmal standhalten. Es gehört schon eine große Portion Mut dazu."
... Kylian Mbappe bei dieser WM: "Ich bin kein großer Fan von seinem Verhalten. Da nähert er sich eher Critiano Ronaldo an. Er war ja auch sein großes Vorbild, was man so hört. Aber vor seinen Leistungen muss man Respekt haben. Sportlich gehört ihm die Zukunft. Er wird auch noch ein paar Goldene Bälle holen. Es wäre für ihn vielleicht wichtig, mal was Neues zu sehen und ins Ausland zu gehen, wo er nicht so gehypt wird wie jetzt in Paris. Aber es ist schwierig, denn Paris ist ein Weltklub. Da spielst du mit den besten Spielern der Welt um Titel. Ich glaube, er wird irgendwann auch mal daran gemessen werden, wann er die Champions League gewinnt. Irgendwann macht es beim ihm vielleicht auch mal klick. Dann erkennt er vielleicht, dass er auch Mitspieler braucht, um seine persönlichen Ziele zu erreichen."
... den Doppelwechsel bei Frankreich noch vor der Pause: "Es war ein absoluter Weckruf für die Mannschaft. Man hatte das Gefühl, dass es Argentinien von Beginn an wollte. Der Trainer wollte seine Spieler wohl aus ihrer Trance holen. Dann macht man auch mal so einen Doppelwechsel mit gesetzten Spielern. Danach ging ein Ruck durch die Mannschaft. Man hat auch gesehen: diese Mannschaft braucht eine Aktion, um wieder voll da zu sein. Diese Aktion hatten sie in der 80. Minute. Dann glaubst du auch wieder dran, dass du was gewinnen kannst. Argentinien hatte danach auf einmal wieder was zu verlieren."
... die Einwechslung von Kingsley Coman: "Bei Coman weiß man, dass er unheimlich schnell und dribbelstark ist, dass er auch viele Eins-gegen-Eins-Situationen kreieren und sich da durchsetzen kann. Das war ein Wechsel zur richtigen Zeit. Er hat Frankreich noch mal richtig Wind gebracht."
... den Eindruck, dass Frankreich arrogant ins Spiel gegangen ist: "Ich glaube nicht, dass man arrogant in ein Spiel reingeht. Dafür gibt es auch keinen Grund. Du weißt ja, auf wen du triffst. Bei Frankreich hat zu Beginn nicht viel geklappt. Sie haben die ersten Zweikämpfe verloren. Dadurch wurde Argentinien aufgebaut. Aber Frankreich hat so eine abgezockte Mannschaft, die immer cool bleibt und um ihre Stärke weiß."
... die Spekulation, ob Hansi Flick ähnlich gehandelt hätte wie Deschamps: "Das ist eine Sondersituation. Es war ein WM-Finale. Da geht es um viel. Da muss man auch Entscheidungen treffen, die einem wehtun, die aber im Sinne der Mannschaft sind. Er hat sich für die beiden Spieler entschieden, weil sie eben auch ein Standing im Team haben. Wenn das ein normales Spiel wäre, hätte er sicher bis zur Halbzeit gewartet. Ob Hansi Flick das gemacht hätte, weiß ich nicht. Das ist schwer vorstellbar."
... die tragischen Fehlschützen der Franzosen: "Man muss nach vorne schauen und weitermachen. Es wird nicht mehr so oft vorkommen, dass man so ein großes Ding im WM-Finale bekommt. Aber was Kolo Muani geleistet hat, ist unfassbar. Ich glaube, die Freude überwiegt nachher, dass du so ein großes Turnier gespielt hast. Er wird mit sehr viel Selbstvertrauen nach Frankfurt zurückkehren. Coman hat schon so viele Titel gewonnen. Er weiß, dass er in einer Mannschaft spielt, die bei jedem Turnier um den Titel mitspielt."
... den Final-Schiedsrichter: "Er hat ein gutes Spiel gemacht und lag bei allen Entscheidungen richtig. So wie ich das beurteilen kann. Ansonsten hast du immer mal ein paar Kleinigkeiten dabei, die anders gesehen werden. Aber solange das keine spielentscheidenden sind, kann das auch mal vorkommen."
... die Qualität bei dieser WM: "Es war etwas durchgewachsen. Wir haben uns am Anfang über die sogenannten kleinen Mannschaften gewundert, die für viele Überraschungen gesorgt haben. Unsere Mannschaft hat nicht das gezeigt, was sie kann, und ist auch zurecht früh ausgeschieden. Dann gab es die große Überraschung Marokko. Die großen Nationen waren aber auch zum richtigen Zeitpunkt fit. Ich glaube, vom sportlichen her war es eine gute WM. Es wurde in den Vordergrund gestellt, wie wichtig es ist, wenn du Mentalität hast. Man hat gesehen, dass Mentalität Qualität schlagen kann. Argentinien wurde am Ende aber zurecht Weltmeister."
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... seine Tops: "Für mich ist Marokko der große Gewinner, weil sie aus dem Nichts kamen. Sie haben von der ersten Sekunde an ihr Herz auf den Platz geschmissen. Es ist das beste Beispiel dafür, dass wenn man als Team zusammenhält, man auch zu Großem fähig ist. Das haben sie eindrucksvoll bewiesen. Ich mag es sehr, sehr gerne, wenn Mentalität entscheidend ist. Marokko ist das beste Beispiel dafür. Als bester Spieler führt kein Weg an Messi vorbei. Es ist unfassbar, was er geleistet hat. Er hat immer den Eindruck vermittelt, dass ihm das Große und Ganze wichtig ist. Deshalb gönne ich es ihm wirklich."
... seine Flops: "Die größte Überraschung ist einfach, dass Deutschland so früh rausgeflogen ist. Damit hat kein Mensch auf diesem Planeten gerechnet. Cristiano Ronaldo hat es sich auch ganz anders vorgestellt. Er hat gezeigt, dass er nicht Teil einer Mannschaft sein und sich selbst lieber immer wieder in den Vordergrund stellen will. Bei diesem Turnier hat er die Quittung bekommen. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass so ein Verhalten innerhalb der Mannschaft nicht gern gesehen ist, vor allem wenn die Leistungen nicht stimmen. Ich glaube, dass sich auch viele Spieler freuen, wenn er nicht mehr dabei ist. Über seine sportlichen Leistungen, Tore und Titel braucht man nicht zu diskutieren. Das ist überragend."
... das zukünftige Verhältnis von Mbappe und Messi bei PSG: "Ich kann mir gut vorstellen, dass sich beide jetzt zusammentun werden, um auch gemeinsam erfolgreich zu sein. Ich kann mir nicht vorstellen, dass da noch nachgetreten wird. Die beiden wären ja bescheuert, wenn sie sich nicht zusammenraufen würden, um selbst weiter erfolgreich zu sein."
... die Folgen der WM für die Bayern-Spieler: "Wir Fußballer verdrängen und vergessen ganz schnell. Man kann ja auch stolz darauf sein, wenn man Zweiter geworden ist und ein gutes Finale gespielt hat. Sie werden schnell wieder das Ziel haben, mit den Bayern erfolgreich zu sein. Die deutschen Spieler sind zumindest ausgeruht und haben jetzt genug Kraft für die Rückrunde. Aber Spaß beiseite. Ich kann mir vorstellen, dass sie sagen: 'Jetzt erst recht'. Sie werden auf Vereinsebene alles tun, um erfolgreich zu sein."
... die EM 2024: "Ich glaube, dass Hansi Flick der Richtige ist. Man braucht einen festen Kern, auf den man sich verlassen kann. Drumherum kannst du sicherlich ein wenig experimentieren. Aber so viel Zeit ist nicht mehr. Deswegen ist es umso wichtiger, sich früh auf die Jungs festzulegen, denen du das zutraust. Mit der Unterstützung unserer Fans könnte die Mannschaft dann vielleicht auf einer Welle reiten, die dann erfolgreich sein kann – wie 2006. Das Zeug dazu haben sie. Sie müssen nur im richtigen Moment mehr Mentalität und Wille zeigen."
... die Zukunft von Müller und Neuer: "Ich bin kein Fan von Jung oder Alt, sondern von Gut oder Schlecht. Es ist für mich ganz entscheidend, wie Thomas Müller drauf ist, wie Manuel Neuer seine schwere Verletzung verkraftet. Auf der anderen Seite hat jetzt mal ein anderer Torwart die Möglichkeit zu zeigen, was er kann und Vertrauen vom Trainer zu gewinnen. Am Ende des Tages musst du die Spieler nominieren, die am besten drauf sind. Man sollte keine Spieler holen, die keine Spielpraxis haben. Dafür ist die Zeit zu knapp."
... die WM 2026: "Die Aufstockung muss nicht unbedingt sein. Letztendlich leidet darunter auch die Qualität. Ich glaube, dass niemand ein WM-Spiel sehen möchte, das 8:0 oder 8:1 ausgeht. Da will man schon eher enge und von der Qualität geprägte Spiele sehen. Deshalb bin ich für den alten Modus. Aber ich freue mich, dass die WM in Amerika und damit auch in Kanada stattfindet. Ich habe ein paar Jahre in Kanada gelebt. Ich weiß, wie fußballverrückt die Kanadier sind. Da können wir uns drauf freuen und gerne hinfliegen Da kann man sich sicher fühlen. Es ist sehr schön da. Das wird eine tolle WM werden."
... die langen Nachspielzeiten bei dieser WM: "Ich fand es schon nervig. Manchmal habe ich mich schon gefragt, wo nimmt der Schiedsrichter acht, neun Minuten Nachspielzeit her. Das war schon sehr übertrieben. Grundsätzlich bin ich aber schon für viel Nachspielzeit in den Situationen, wie viel Zeit geschunden wird. Aber es muss im Rahmen bleiben."