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Para-leichtathletik

Weltrekordhalter Niko Kappel: "Wünsche mir, dass Para nur noch in Klammern gesetzt wird"

  • Veröffentlicht: 24.09.2025
  • 12:26 Uhr
  • Nicolas Gödtel

Weltrekordhalter Niko Kappel ist eines der Aushängeschilder des Parasports. Im ran-Interview spricht er über die anstehende WM, wie sich der Para-Sport entwickelt hat und wie die Gesellschaft mit Inklusion vorankommt.

Von Nicolas Gödtel

Der Parasport wächst – sportlich wie gesellschaftlich. Immer mehr Athletinnen und Athleten stehen im Rampenlicht, zeigen Höchstleistungen und setzen wichtige Impulse für Inklusion und Sichtbarkeit.

Einer, der diese Entwicklung seit Jahren prägt, ist Niko Kappel. Der Kugelstoßer vom VfB Stuttgart ist Paralympics-Sieger, zweifacher Weltmeister, zigfacher Medaillengewinner, amtierender Weltrekordhalter und ein Gesicht seiner Sportart.

Jetzt richtet sich der Blick des 30-Jährigen auf das große Highlight der Saison: die Para-Leichtathletik-WM in Neu-Delhi, die am Freitag beginnt.

Dort will Kappel seine Stärke unter Beweis stellen – und damit einmal mehr zeigen, dass sportliche Spitzenleistungen keine Grenzen kennen.

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Niko Kappel über Gold in Rio 2016

ran: Herr Kappel, Sie sind seit fast zehn Jahren eines der bekanntesten Gesichter des Parasports. Wenn Sie zurückblicken: Was hat sich seit den Paralympics 2016 für Sie persönlich und für den Parasport insgesamt verändert?

Niko Kappel: Für mich hat sich seit Rio 2016 viel verändert. Damals war mir noch nicht bewusst, was sich alles entwickeln würde. Ich bin stolz auf das, was ich erreicht habe, und lerne immer noch viel – sowohl im Sport als auch im Leben. Wir starten neue Projekte, setzen sie um, und das macht mir großen Spaß. Meine Goldmedaille von 2016 sehe ich nicht als Einzelleistung, sondern als Erfolg des ganzen Teams.

ran: Und für den Parasport?

Kappel: Der gewinnt kontinuierlich an Aufmerksamkeit, die Leistungen werden professioneller, viele Weltrekorde fallen, und das macht richtig Freude.

ran: Am Freitag startet die WM in Neu-Delhi. Mit welcher Erwartung und Motivation reisen Sie nach Indien?

Kappel: Ich hatte zuletzt eine anstrengende Phase, mein Ellbogen ist noch nicht völlig fit, und ich konnte über fünf Wochen kaum Kugelstoßen – gut 800 Trainingsstöße fehlen. Und die, die ich jetzt machen kann, sind nicht schmerzfrei. Glücklicherweise unterstützt mich ein tolles Team aus Physiotherapeuten und Ärzten, sodass ich bis zur WM möglichst fit werde. Es ist nicht die optimale Vorbereitung, aber ich bin sehr zuversichtlich und möchte um Gold kämpfen. Neu Delhi erwartet uns als Megametropole, und die Leichtathletik dort hat sich stark entwickelt. Ich freue mich auf diese neue Erfahrung und bin gespannt, wie sie alles umsetzen werden.

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Das Wichtigste in Kürze

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ran:  Wie ordnen Sie die WM im Vergleich zu den Paralympics ein?

Kappel: Grundsätzlich sind es die gleichen Konkurrenten wie letztes Jahr in Paris. In einer nach-paralympischen Saison bekommt der Nachwuchs meist größere Chancen, und ich werde einige neue Gesichter kennenlernen. Von den Top-5-Athleten, die jemals über 14 Meter gestoßen haben, sind aktuell nur ein Usbeke und ich dabei. Es deutet sich ein kleiner Generationswechsel an, auf den ich gespannt bin. Es ist schön zu sehen, wie sich die jüngeren Athleten nach und nach heranpirschen.

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Kappel: Das treibt mich noch an

ran: Sie haben ja schon Weltrekorde, Medaillen ohne Ende, die Vita ist voll. Was treibt Sie heute noch am meisten an?

Kappel: Mich treibt der Wiederholungsdrang an – das Gefühl, Erlebnisse wie bei meinen Titeln in Rio 2016, London 2017 oder Kobe 2024 und jedem meiner Weltrekorde erneut zu erleben. Ich bin überzeugt, dass ich mit 15,07 m noch nicht am Ende bin und noch weiter stoßen kann. Meine Kraft- und Sprungwerte sind so gut wie nie zuvor, wir arbeiten weiter an der Technik, und ich möchte eine Hausnummer setzen.

ran: Und wenn nicht?

Niko Kappel: Wenn ich es tatsächlich nicht auf die Kette kriegen sollte, liegt das nur an mir persönlich – es ist kein Potenzialproblem. Genau das reizt mich, und deshalb will ich eine Hausnummer setzen, die erst einmal bestehen bleibt.

ran: 2020 haben sie zusammen mit Heinrich Popow einen Verein gegründet, um Talente zu fördern. Welche Fortschritte sehen Sie da und wo hakt es noch?

Kappel: Das ist ein generelles Thema im deutschen Spitzensport: Die Förderung muss besser werden. Ich möchte etwas zurückgeben, über mein Netzwerk und über das, was ich bisher erreichen durfte, Möglichkeiten schaffen. Das tun wir über den Para-Leichtathletik-Förderverein, den ich mit Heinrich Popow initiiert habe. Außerdem starten wir neue Projekte wie das Inklusionsmobil mit Rewe, Aktion Mensch und dem Deutschen Behindertensportverband, das durch ganz Deutschland tourt, aufklärt und Begegnungen ermöglicht. Dabei geht es um Sport, Inklusion und die Motivation, gemeinsam aktiv zu werden – mit oder ohne Behinderung.

Niko Kappel: Sein Tipp für den Nachwuchs

ran: Was würden Sie jungen Athleten mit auf den Weg geben?

Kappel: Ich würde ihnen mitgeben: Habt Spaß, Freude und Mut. Sie sollen Neues ausprobieren und sich weiterentwickeln – auch mal Wege hinterfragen oder ändern, wenn sie merken, dass es so nicht funktioniert. Es ist wichtig, sich immer zu hinterfragen, ob der eigene Weg der richtige ist. Ich bin ein absoluter Wissenschaftstyp und da gilt: gut trainieren, ordentlich schlafen und richtig essen – wenn diese drei Bausteine erfüllt sind, legt man die Grundlage für langfristigen Erfolg im Sport.

ran: Woran hakt es noch in Deutschland in Sachen Inklusion und Parasport?

Niko Kappel: Gesellschaftlich müssen wir uns in Deutschland nicht verstecken. Was Inklusion, Aufklärung und das Miteinander auf Augenhöhe angeht, sind wir nicht so schlecht. Aber es gibt noch Potenzial auf beiden Seiten. Die Fähigkeit der Menschen mit Behinderung sind noch lange nicht ausgeschöpft. Das Ziel ist ja immer, dass man schon früh, während der Schulzeit zum Beispiel, entdeckt, wo liegen meine Stärken, wo meine Schwächen, und was macht mir Spaß? Und ganz wichtig: Inklusion passiert nicht am Schreibtisch, indem jemand ein Formular ausfüllt. Jeder redet darüber, dass wir viel zu bürokratisch geworden sind. Und jedes Mal, wenn wir versuchen, etwas zu ändern, wird es danach meist noch bürokratischer. Veränderung passiert durch Begegnungen, durch persönliche Erlebnisse, nicht durch Ämter. Ich versuche, das selbst umzusetzen, statt nur zu motzen – wir machen es einfach.

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"Für die Gesellschaft heißt das: Offen an die Sache herangehen"

ran: Wenn Sie den Menschen eine Aufgabe mitgeben dürften, was sollte jeder Einzelne tun, damit Parasport endlich die Bühne bekommt, die er verdient?

Kappel: Das ist eine schwierige Frage, weil ich ja niemanden zwingen will, etwas zu schauen, was ihm nicht gefällt. Mein oberstes Thema ist deshalb, dass wir als Organisation, egal ob Weltverband oder Nationalverband, ein gutes Angebot schaffen, damit Medien und alle anderen darauf zugreifen können. Ich würde unseren Leuten auf den Weg geben, sich da wirklich Mühe zu geben. Für die Gesellschaft heißt das: Offen an die Sache herangehen, es sich mal anschauen, erleben – oder einfach ausprobieren. Wer noch nie Berührungspunkte mit Menschen mit Behinderung oder Parasport hatte, sollte sich einen Punkt aussuchen, der ihn interessiert, und mit einer positiven Einstellung hingehen. Positive Einstellung ist sowieso wichtig. Ich bin mir sicher, man nimmt etwas fürs Leben mit: Man lacht, erlebt tolle Momente und ist danach zufrieden zu denken: "Gut, dass ich das gemacht habe."

ran: Was würden Sie sich wünschen, wie man in zehn Jahren auf den Parasport in Deutschland schaut?

Kappel: Ich wünsche mir, dass "Para" nur noch in Klammern gesetzt wird. Wir sind auf einem guten Weg dahin, dass wir im Nachwuchsbereich – auch in der Breite – aktiv sind, unsere Vorbilder zu nutzen, um die Gesellschaft aufzuklären, Menschen zu motivieren und Mut zu machen, egal ob mit oder ohne Behinderung. Wir wollen erreichen, dass wir auch in zehn Jahren noch Medaillen gewinnen und dass das Leistungsprinzip nicht verloren geht. Dass es etwas wert ist, wenn man sich dafür jeden Tag quält oder sich dahinter klemmt.

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