Anzeige

Selbstversuch im Formel-E-Simulator: Bekommt ein "Normalo" das hin?

  • Aktualisiert: 16.04.2023
  • 10:15 Uhr
  • Motorsport-Total
Article Image Media
© Kevin Scheuren (Motorsport Network)

Redakteur Norman Fischer ist zu Gast bei Abt-Cupra in Kempten und darf dort unter Anleitung von Nico Müller auch den Formel-E-Simulator testen: ein Erfahrungsbericht

Man kennt es ja in der modernen Motorsport-Welt: Bevor sich auch nur ein Rad auf der echten Strecke gedreht hat, haben die Teams ihre Grundabstimmung vor einem Event schon längst gemacht. "Die erste Runde im Training ist irgendwo 85 bis 90 Prozent am Limit", verrät Nico Müller. Simulatoren sind aus dem heutigen Motorsport kaum noch wegzudenken.

Denn während ein Testtag viele zehntausende Euros verschlingt, lässt es sich im Simulator vergleichsweise kostengünstig testen - und das Risiko eines kaputten Autos oder einer Verletzung des Fahrers besteht auch nicht. Kein Wunder, dass die virtuelle Welt nicht nur in der Formel 1 immer mehr dazugehört.

So auch in der Formel E. Seit Januar ist der neue Simulator des Teams Abt-Cupra am heimischen Standort in Kempten betriebsbereit. "Das ist alles brandneu", sagt Müller. Und ich habe mir den neuen Simulator einmal angesehen und durfte unter Aufsicht des Formel-E-Piloten und seines Ingenieurs Aniello Taliercio auch einmal ein paar Runden drehen.

Vielleicht ist der ein oder andere von euch schon einmal in den Genuss einiger virtueller Runden im Simulator gekommen. Nein, ich meine nicht das Lenkrad, was ich mir zuhause an den Schreibtisch klemme, um damit das neue Formel-1-Spiel zu spielen. Sondern schon einen richtigen Simulator.

Wer das nötige Kleingeld hat, der kann sich bei den bekannten Eventfirmen Gutscheine bestellen und etwa in Berlin oder München mal in einem Simulator sitzen. Diese Erfahrung durfte ich bei einem Medientermin schon einmal machen und mich auch einem direkten Vergleich mit Rene Rast stellen, den ich natürlich klar verloren habe.

Wenn man seine "Motion Sickness" im Griff hat - denn vielen wird bei so etwas schlecht -, dann macht das sogar eine Menge Spaß, doch der "echte" Formel-E-Simulator ist noch einmal etwas anderes. Dabei sieht es von außen erst einmal recht unspektakulär aus, wie ich feststellen musste.

Wer in das Hauptquartier von Abt Motorsport in Kempten kommt, der wird erst einmal mit einem frisch aufpolierten Look begrüßt. In der Lobby stehen schicke Autos und im Museum und alles hat ein modernes Ambiente.

Zudem kann man im Museum alles von früheren DTM-Fahrzeugen bis sogar einem Toro Rosso aus der Formel-1-Saison 2006 bestaunen. Hinter den Kulissen hat es hingegen etwas von einer echten Werkstatt (ist ja auch eine) - nur eine ganze Nummer größer.

Beobachtet wie bei der NASA

Um zum Simulator zu gelangen, muss man hingegen aus dem großen Komplex raus in ein anderes Gebäude. Dort geht man eine Treppe hinunter und befindet sich in einer Art Keller, so wirkt es. Dort gibt es unter anderem einen Fitnessraum für die Fahrer und sonstigen Mitarbeiter, und über einen weiteren Raum gelangt man auch in die Simulatorzentrale.

Dort stehen - wie soll es auch anders sein - viele Computer und Monitore, wo die Ingenieure das Programm ihres Fahrers beobachten können. Wie bei der NASA, nur in klein.

Sitzt ein Fahrer im Simulator, dann ist der Raum voll. Im Grunde ist dann die ganze Crew da, die sich auch während des Formel-E-Events mit dem Auto beschäftigt. Also Renningenieur, Systemingenieur, Simulatoringenieur und so weiter.

Und das mal zwei. Denn wenn etwa Robin Frijns im Simulator sitzt und sich sein Team damit befasst, ist die Crew von Teamkollege Nico Müller mit anderen Themen beschäftigt und bereitet zum Beispiel dessen Session vor. "Aber die sitzen auch hier", sagt der Schweizer. "Das ist auch ein Aufwand, den viele gar nicht wirklich einschätzen können."

Die Ingenieure können neben den Monitoren auch durch Fensterscheiben schauen, um zu sehen, was der Fahrer im Simulator macht - und in den Raum gehen wir jetzt. Wie gesagt, es wirkt auf den ersten Moment unspektakulär. Im Grunde ist es ein dunkler Raum (noch ohne Klimaanlage!) mit einer großen gebogenen Leinwand an der Front.

Statischer statt dynamischer Simulator

Und in der Mitte des Raums steht dieser Aufbau, der an die Überlebenszelle eines Formelboliden angelehnt ist - also ohne unnötigen Schnickschnack wie Motor, Reifen oder Aerodynamik.

Wer sich damit ein wenig auskennt, dem fällt als erstes auf, dass es sich bei Abt-Cupra um einen statischen Simulator handelt. Das heißt, der Simulator bewegt sich beim Fahren nicht. "Aber das ist für den Benefit des Simulators nicht nötig", erklärt Müller.

"Wir arbeiten vor allem an Energiemanagement, an Software-Themen, und dafür brauchst du diese dynamische Plattform eigentlich nicht unbedingt."

Sinnvoll wäre es seiner Ansicht nach nur, wenn man ein gutes Streckenmodell mit perfektem Laserscan hat, um ein besseres Gefühl zu bekommen, wo etwa Bodenwellen auf einem Kurs sind. Doch wenn die Strecke - wie zuletzt in Sao Paulo - nachträglich noch einmal asphaltiert wird, ist das auch hinfällig.

"Sonst ist der Benefit eines dynamischen Simulators für die Formel E nicht das Investment wert", findet Müller.

Na das kann ja heiter werden ...

Na gut, dann wird es Zeit, endlich auf die Strecke zu gehen. Der Schweizer macht einmal vor, wie es geht, und fährt drei saubere Runden. Sieht einfach aus. Ist es aber nicht. Denn schon zuvor wurde gewettet, dass wir uns spätestens in Kurve 5 gedreht haben werden oder in der Wand hängen. Das klingt ja nach guten Vorzeichen!

Die Gruppe, die vor uns testen durfte, macht da auch wenig Anlass zur Hoffnung. Von allen war zu hören, dass sie die Grenzen des Autos schneller kennenlernen durften, als ihnen lieb war.

Nun ja, ein anderer Kollege unserer Gruppe erhält den Vortritt, und ich sehe schon, was die anderen gemeint haben. Zahlreiche Dreher und Einschläge in die Mauer, die aber in gewisser Weise für "Noobs" durchquerbar sind, zeigen schon, dass das nicht einfach wird.

Und dann bin ich dran.

Erst einmal muss der Simulator für mich angepasst werden. Müller (1,85 Meter) holt einen anderen Sitz und packt noch etwas "Füllmaterial" dazu. Denn mit meiner handlichen Größe von 1,63 Metern wäre ich zwar der ideale Kumpel von Yuki Tsunoda und der perfekte Rennfahrer, doch wenn man die Füße nicht an die Pedale bekommt, dann fährt das Auto natürlich auch keinen Meter.

Die ersten Meter im Simulator

Ich steige ein und finde es eigentlich recht gemütlich im Cockpit. Hier lässt es sich aushalten. Nach einer kurzen Einweisung geht es dann endlich los. Wir fahren übrigens - passend zum Event am kommenden Wochenende - die Strecke von Berlin auf dem früheren Flughafen Tempelhof.

Aus der Box raus geht es in die erste Schneckenkurve. Es fällt auf: Das Lenkrad ist dabei recht schwerfällig, denn eine Servolenkung wie in der Formel 1 oder in jedem normalen PKW gibt es nicht. Das heißt: Der Fahrer muss alle Kräfte direkt auf die Strecke bringen. Im Simulator ist es noch etwas einfacher, denn da hat man ein Feedback von 60 Prozent.

Das ist übrigens schon deutlich mehr als in den alten Simulatoren der Formel-E-Teams: "Viele haben ihren Lenkmotor upgraden müssen, weil du sonst die Lenkkräfte, die du in Realität hast, bei weitem nicht erreichst", erklärt Müller. In den alten Modellen wurde mit rund einem Drittel der Lenkkräfte gefahren, jetzt eben mit 60 Prozent.

"Wir haben den stärksten Lenkmotor, den du haben kannst, und es ist immer noch nicht auf dem Level der Realität", sagt er. Ich kann mir daher nur ausmalen, wie anstrengend es für die Fahrer im echten Auto sein muss.

Diese nervigen Spiegel!

Was mir auch sofort auffällt: Die Rückspiegel stören extrem. Sie verdecken meistens den Kurvenradius, sodass ich in gewisser Weise raten muss, wo der Scheitelpunkt ist. Am heimischen PC fahre ich übrigens am liebsten die Außenansicht - wie so ein richtiger Casual Gamer.

Doch das ist hier natürlich nicht möglich. Und so bahne ich mir meinen Weg durch den ersten schlängelnden Sektor und verpasse auch den unübersichtlichen Abzweig in Kurve 4 nicht, der vielen anderen schon zum Verhängnis geworden ist. Ein bisschen Streckenkenntnis zahlt sich aus!

Es folgt die erste lange Gerade und das Anbremsen auf Kurve 6, wo ich bei den Kollegen schon viele stehende Räder beobachten konnte. Das will ich natürlich vermeiden und gehe recht früh vom Gas und lasse mich in die Kurve rollen. Auch weil ich natürlich die Bremspunkte nicht kenne.

Am Ausgang geht es dann vorsichtig aufs Gas, denn das ist auch eine Besonderheit. Wer zu stark auf das Gaspedal steigt, der dreht sich unweigerlich, weil die Hinterreifen durchdrehen. Mit der direkten Elektro-Power ist also Gefühl angesagt.

Auch die weiteren Kurven schaffe ich unfallfrei und bin somit gut über die erste Runde gekommen. Damit bin ich zufrieden!

Ein Fehler passiert doch

Erstaunt muss ich aber feststellen, wie früh ich auf die Bremse gehe und es trotzdem in Kurve 1 gerade so schaffe. Das ist ein ganz anderes Fahren als beim Formel-1-Spiel. Dort versuche ich möglichst spät und hart zu bremsen, während ich hier frühzeitig bremsen muss, um mich eher in die Kurve rollen zu lassen. Das spart übrigens auch Energie.

Denn Energiemanagement ist in der Formel E natürlich ein zentrales Thema. Aber keines, mit dem wir uns auf unseren paar Runden hier im Simulator beschäftigen müssen. Das wäre für den Anfang auch eine viel zu große Überforderung und überlassen wir daher den Profis.

Ich ärgere mich lieber wieder über die schlechte Sicht auf den Scheitelpunkt im ersten Sektor, komme aber weiterhin unfallfrei durch. Das sieht doch gut aus. Aber vielleicht bin ich mir mittlerweile etwas zu sicher, sodass mir dann doch ein Missgeschick passiert. Am Ausgang von Kurve 6 steige ich auf das Gaspedal - und zack, kommt das Heck rum. Mist.

Aber glücklicherweise war es nur ein harmloser Dreher und ich bin nirgendwo angeschlagen. Es kann also weitergehen. Und zu meiner Freude passiert mir auf den weiteren zwei Runden kein Fahrfehler mehr. Dann stelle ich das Auto ab und steige aus dem Simulator.

Mir geht es auch noch einigermaßen gut. Schlecht ist mir nach den ersten Runden nicht, aber ich kann mir durchaus vorstellen, dass das mit der Zeit kommen würde, auch wenn ich am PC-Bildschirm das Fahren gewöhnt bin.

Schnellster! Noch ...

Mit großer Freude nehme ich zur Kenntnis, dass ich bislang der Schnellste gewesen sein soll - Scherze darüber, dass Nico Müller jetzt seinen Job los ist, inklusive.

Doch meine Euphorie findet ein jähes Ende, als gesagt wird, dass mein Kollege Kevin Scheuren, der nach mir gefahren ist, noch ein gutes Stück schneller gewesen sein soll. Das reibt er mir seitdem aber auch regelmäßig unter die Nase.

Aber gut, ich rede mir ein, dass ich nach den Voreindrücken der anderen Fahrer vorsichtiger gefahren bin, um bloß keine Fehler zu machen. Das ist auch der Ansatz, den ich beim abendlichen F1-Zocken mit Freunden (erfolgreich) verfolge: Ich bin zwar nicht der mit der besten Pace, dafür aber der cleverste und umsichtigste Fahrer - Jenson-Button-Stil könnte man sagen.

Kevin hingegen hat auf seiner Fahrt mehrfach Bekanntschaft mit der Mauer gemacht. Also wähne ich mich als Sieger, denn wer nicht ins Ziel kommt, der kann auch nicht gewinnen! "Dafür würdest du mich im Kart dreimal überrunden", tröstet er mein angekratztes Ego.

Aber gut, um Bestzeiten ging es bei diesen Schnupperrunden auch gar nicht, zumal Nico Müller natürlich noch einmal mehrere Sekunden schneller war als Kevin (wie viele, das verrate ich mal lieber nicht).

200 Runden: Wenn aus Spaß Arbeit wird

Aber für den Abt-Formel-E-Piloten ist der Simulator während der Saison auch fast schon ein zweites Zuhause. Vor einem Formel-E-Event sitzen beide Piloten sowie Testfahrer wie Kelvin van der Linde insgesamt vier Tage im Simulator, um sich auf das Rennen vorzubereiten und Themen wie Energiemanagement zu optimieren.

Bei Tagen sprechen wir dabei übrigens von langen Arbeitstagen, die früh um 8 Uhr anfangen und bis in den Abend gehen. "Wir nehmen uns vor, um 6 aufzuhören, aber meistens ist es um 9 oder 10 Uhr abends", sagt Müller.

Was die Fahrer dabei am wenigsten leiden können: Die beiden Zusatztage, die man nach einem Event noch einmal auf der gleichen Strecke einlegt, um die Daten miteinander zu vergleichen und die Simulator-Software zu optimieren.

Denn an einem Tag kommen dabei durchaus rund 200 Runden zusammen, was sich über einen ganzen Event auf eine ziemlich stattliche Anzahl aufsummiert. Macht das dann überhaupt noch Spaß? "Die ersten zehn Runden an so einem Tag machen ein bisschen Spaß", sagt Müller.

"Danach ist es Arbeit. Das ist einfach so. Es gibt sehr wenige, die sagen, dass es von morgens um 8 bis abends um 8 einfach nur geil ist."

Für mich persönlich war es das aber. Auch wenn es in gewisser Weise Teil meiner Arbeit war, so war es doch ein ganz besonderer Tag bei Abt in Kempten mit ganz besonderen Eindrücken.

Anzeige
Anzeige