NBA-Kolumne: Bei diesem Trade gibt es bisher nur Gewinner
Aktualisiert: 29.01.2024
18:27 Uhr
Ole Frerks
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Die Toronto Raptors und New York Knicks zählen nach dem Trade von (unter anderem) O.G. Anunoby beide zu den heißesten Teams der Liga. Warum es sich hier um einen der seltenen echten Win-Win-Trades handeln könnte – und wie es für die beiden Teams von nun an weitergehen wird.
Es kommt nicht so oft vor, dass nach einem Trade umgehend beide Tauschpartner positiv dastehen.
Das liegt nicht zuletzt daran, dass oft völlig unterschiedliche Interessen verfolgt werden: Häufig will ein Team den Schritt nach vorne machen, während das andere sich eher an der Zukunft orientiert und in Assets investiert, die teilweise noch Jahre brauchen werden, um einen zählbaren Gegenwert zu liefern. Es kann dann bewertet werden, wie viele Picks ein Team für einen Spieler zurückbekam, aber viel mehr häufig eben noch nicht.
Der letzte Trade des Jahres 2023 fällt raus aus dieser Reihe. Hier waren zwei Teams involviert, die zwar tabellarisch nicht nebeneinanderstehen, aber mit dem Trade ein ähnliches Ziel im Visier hatten – und bisher beide voll davon profitieren. Die Knicks sind ungeschlagen (4-0), die Raptors haben nur einmal verloren (3-1). Die drei Hauptprotagonisten des Trades starteten dabei in allen Partien.
Es ist noch früh, beide Teams könnten auch noch weitere Moves tätigen, bis am 8. Februar die Trade Deadline ansteht. Für den Moment sieht es jedoch aus, als hätten sie ihr primäres, kurzfristiges Ziel schon mit dieser Transaktion erreicht: Die Balance ist besser.
Es ergibt mehr Sinn, was auf dem Court geschieht. So simpel das klingt, so massiv können die Auswirkungen davon sein.
Die Knicks waren vor dem Trade ein gutes, tiefes Team, auf das in einer Playoff-Serie gegen die Top-Teams im Osten (BOS, MIL, PHI, MIA) trotzdem kaum jemand einen Cent gesetzt hätte. Das ist womöglich auch immer noch der Fall, wenigstens gegen Boston, aber die Distanz wirkt etwas kleiner. Nicht zuletzt deshalb, weil die Knicks unlängst mit 36 Punkten Unterschied IN Philadelphia gewinnen konnten, obwohl die Sixers Joel Embiid und Tyrese Maxey zur Verfügung hatten.
Die Balance spielt dabei eine große Rolle. Vor allem aber auch die Defense: Die letzten beiden Partien waren laut Cleaning the Glass zwei ihrer sieben besten Defensivleistungen der Saison. Obwohl O.G. Anunoby seine Mitspieler noch nicht wirklich kennt und Defensivanker Mitchell Robinson weiterhin fehlt (derzeit aber überragend von Isaiah Hartenstein vertreten wird).
O.G. Anunoby: Darum passt er perfekt nach New York
Anunoby ist das Puzzlestück, das den Knicks zuvor fehlte: Einer der weltbesten Flügelverteidiger, vielleicht sogar der beste, der, wenn engagiert, glaubwürdig die Positionen eins bis fünf verteidigen kann. Beim Sieg gegen die Timberwolves machte er Anthony Edwards das Leben zur Hölle. Gegen die Sixers war es vor allem Maxey, der gegen den langen, kräftigen und mobilen Anunoby kaum zur Geltung kam.
Der 26-Jährige ist die Art von Stopper, die jedes Team braucht, das in den Playoffs etwas reißen möchte, und schraubt das defensive Potenzial der Knicks umgehend nach oben. New York hatte bis zum Trade die an Position 19 gerankte Defense und erlaubte 116,6 Punkte pro 100 Ballbesitzen. Seit dem Deal stellen sie die zweitbeste Defense und erlauben 103,8, die Minuten mit Anunoby sind bisher regelrecht absurd (95,8!). So massiv wird es nicht bleiben, auch in Toronto hatte Anunoby aber in jeder Saison seit 19/20 einen klar positiven Einfluss auf die Defense.
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Der Fit in der Offensive
Der Fit ist aber auch offensiv sauber. Zumindest dann, wenn Anunoby seine ziemlich kleine Rolle hier akzeptiert – gerüchteweise war er in Toronto nie ganz zufrieden mit seiner Anzahl an Touches, in New York wiederum hat er bisher die niedrigste Usage-Rate seit seinem Rookie-Jahr (12,2 Prozent). Eigentlich steht ihm diese Rolle aber gut, gerade in diesem Team mit dieser Hierarchie.
Die Knicks haben in Jalen Brunson und Julius Randle zwei Stars, die den Ball viel in der Hand halten und kreieren sollen. Mit Hartenstein startet ein Roll-Man, der ebenfalls zu den besten Passern im Team gehört. Es braucht neben dieser Achse nicht zwingend weitere Spieler, die den Ball viel in der Hand haben müssen, was den Fit von R.J. Barrett immer etwas kompliziert machte und die Minuten von Sixth Man Immanuel Quickley limitierte.
Es braucht vielmehr Catch-and-Shoot-Spezialisten, die Platz schaffen. Das kann Anunoby: Aus dem Dribbling hat er seine Limitierungen, off the catch jedoch trifft er seit Jahren stabil um die 40 Prozent von draußen. Gegen rotierende Defense oder zu aggressive Closeouts kann er zum Korb kommen und dort hochprozentig abschließen. Das sind die wichtigsten Facetten seines Jobprofils in New York.
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Knicks-Offense: Weniger ist mehr
"Weniger ist mehr" ist simpel gesagt der Tausch, den die Knicks hier offensiv vorgenommen haben. Anunoby ist kein dominanter Scorer (er hat über vier Spiele in New York bisher 48 Punkte erzielt, Barrett hatte allein in Golden State 37), hat mit seinem Skillset aber auch keine Redundanzen mit den anderen Knicks-Startern. Den Verlust in Sachen Creation, den die Bank erlitten hat, kompensiert das Team bisher durch Staggering von Brunson und Randle und Spieler wie Malachi Flynn oder Miles McBride, der vor wenigen Tagen einen neuen Vertrag unterschrieben hat.
Vielleicht ist das noch nicht der Weisheit letzter Schluss – aber dieser Move muss ja auch nicht der letzte der Knicks gewesen sein. Noch immer hat das Front Office alle eigenen Picks und diverse fremde Picks zur Verfügung, um sich beispielsweise einen weiteren Bank-Scorer zu angeln, oder gar mehr. Es fehlt nicht an Munition, selbst für einen Star-Trade.
Anunoby macht die Knicks nicht auf einen Schlag zum Titelfavoriten. Er bringt sie aber einen Schritt näher an diesen Status. Und es passt zum Aufbau des Teams über die letzten Jahre, dass hier erneut Fit statt Scoring- oder Star-Power priorisiert wurde. Das hat man von den Knicks über lange Jahre zumeist eher anders gesehen.
Raptors: Auf einmal offensivstark?
Noch spannender ist der Move trotzdem aus Raptors-Perspektive. Toronto hatte zuvor keine etablierte Identität, war trotz des offensichtlichen Talents als Team schwächer als die Summe seiner Einzelteile, wie schon im Vorjahr. Nicht zuletzt deshalb, weil mit Anunoby, Pascal Siakam, Scottie Barnes und Jakob Pöltl vier Starter im Prinzip zwei bis drei Positionen besetzten.
Die Raptors haben mit Anunoby den aktuell besten Spieler im Trade abgegeben. Allerdings auch den Spieler, der schon am weitesten in seiner Entwicklung ist. Barrett (23) und Quickley (24) sind beide noch jünger und nicht am Limit, Quickley feierte erst im letzten Jahr seinen Quasi-Durchbruch. Beide können den Raptors dabei helfen, eine Identität zu finden, in dieser Spielzeit und darüber hinaus.
Schon die ersten vier Spiele haben gezeigt, wie die bessere Balance sich auch beim zweiten Tradepartner auswirkt. Was die Knicks in der Defense erleben, hat Toronto offensiv: Über die vergangenen vier Spiele stellen die Raptors die zweitbeste Offense (126,1 Punkte pro 100 Ballbesitzen), zuvor standen sie auf Platz 19 (114,6). Der Fit kommt Quickley und Barrett, aber auch dem restlichen Team entgegen.
Raptors-Offense: Mehr Demokratie
Der Ansatz von Raptors-Coach Darko Rajakovic sieht anders aus als der von Tom Thibodeau. Während die Knicks eine recht klare Rollenverteilung haben, operieren die Raptors offensiv in ihrer Bestform demokratischer. Es gibt nicht den einen Spieler, der ein Pick’n’Roll nach dem anderen initiiert und alle Entscheidungen trifft. Idealerweise sind alle Spieler beteiligt, das Tempo ist höher, es werden viel mehr Pässe gespielt. Das ist die Vision, die auch aufgrund der personellen Überschneidungen bisher aber noch nicht so regelmäßig zu sehen war.
Mit Quickley und Barrett sieht das anders aus. Gerade Quickley ist ein perfekter Fit für den neuen Franchise-Player Barnes – ein dynamischer Scorer mit tollem Wurf, der Spieler im Pick’n’Roll in Szene setzen kann und auch off the Ball funktioniert. Quickley wurde vergangene Saison Zweiter im Sixth-Man-Rennen und wirkte prädestiniert für mehr, zumal sein Vertrag nach dieser Spielzeit ausläuft.
Er hatte in New York das Problem, das der beste Spieler des Teams auf seiner Position agierte und Thibs nicht zu viele Minuten mit zwei recht kleinen Guards spielen lassen wollte (obwohl Brunson und Quickley ein gemeinsames Net-Rating von +13,6 hatten). In Toronto ist IQ, der gerade off-ball durchaus ein guter Verteidiger ist, mit 1,90 m der mit Abstand kleinste Starter. Er funktioniert bisher aber auch sehr gut neben Dennis Schröder, dessen Platz er eingenommen hat (und der von der Bank kommend besser funktioniert als in der Starting Five).
Quickley ist ohnehin ein Spieler mit sehr elastischem Skillset, weshalb es teilweise frustrierte, wie Thibodeau seine Minuten limitierte. In Toronto stehen ihm alle Möglichkeiten offen, er soll gemeinsam mit Barnes Teil des künftigen Fundaments werden.
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R.J. Barrett: Hilft der Szenenwechsel?
Barrett wiederum sorgte oft selbst für die Frustrationen. Der ehemalige Nr.3-Pick schaffte in New York nie den Schritt zum konstant effizienten Offensivspieler – sein Decision-Making warf Fragen auf, als Finisher war er stets unterdurchschnittlich, der Dreier fiel nur in seinem Sophomore-Jahr mal richtig gut. Flashes gab es trotzdem immer wieder.
Die Anlagen hat der gebürtige Kanadier sowieso: Er ist lang, athletisch, sehr bullig, hat gutes Ballgefühl und immer wieder auch gute defensive Sequenzen. Und er ist eben immer noch jung, obwohl er schon 2019 in der NBA debütierte. Auch in seinem Fall ist es noch früh (und es ist nicht der erste Hot Stretch seiner Laufbahn), aber: Bisher scheint ihm der Szenenwechsel gut zu tun.
Er bewegt sich gut im Flow der Offense. Er spielt mit der richtigen Konsequenz, sucht und findet Möglichkeiten, um zum Ring zu gehen. Und er trifft seine Würfe, was ohnehin immer alles besser aussehen lässt (54 Prozent FG, 53 Prozent Dreier als Raptor). Die Explosion gegen die Warriors war die Krönung, auch in den Spielen davor war der Eindruck aber überwiegend positiv.
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Was machen die Raptors mit Pascal Siakam?
So weit, so gut. Barrett wird erst noch zeigen müssen, wie real diese Entwicklung ist. Und die Raptors haben immer noch mehrere Entscheidungen zu treffen, allen voran in Sachen Siakam, dessen Vertrag ausläuft und der bei einigen Teams Interesse auf sich zieht. Der Kameruner ist der beste Spieler der Raptors und unter dem Radar seit mehreren Wochen in überragender Form, aber nach wie vor nicht der sauberste Fit neben Barnes (und Pöltl). Er ist mit seinen 29 Jahren etwas älter. Das könnte für einen weiteren Trade sprechen … auf der anderen Seite wirkt es auch nicht unmöglich, um IQ, Siakam und Barnes, wenn dessen Shooting Leap echt ist, eine funktionierende Offense zu konstruieren.
Es wird sich zeigen. Die Raptors lassen sich traditionell ungern in die Karten schauen, aktuell gibt es gleichzeitig Gerüchte über Trade-Gespräche und einen neuen Vertrag für Siakam. Es wird wie immer eine Rolle spielen, was Toronto zurückbekommen kann. Idealerweise mehr als für Fred VanVleet oder Kyle Lowry, die das Team über die vergangenen Jahre quasi ersatzlos verließen.
Immerhin eine dieser Baustellen sind sie (endlich) angegangen. Toronto ist noch lange nicht am Ziel, ihr heutiges Team passt aber schon besser zusammen als vor dem 30. Dezember. Das ist ein Anfang. Mal sehen, was der kommende Monat bringt.