Anzeige
Tränen nach EM-Aus im Wembley

EM 2021: Joshua Kimmich - die seltsame EM des eingeschränkten Anführers

  • Aktualisiert: 30.06.2021
  • 21:56 Uhr
  • ran / Justin Werner
Article Image Media
© Imago Images

Er ist der geborene Anführer, ein Antreiber, der seine Mitspieler zu Höchstleistungen anspornt. Doch als Rechtsverteidiger hilft Joshua Kimmich seiner Mannschaft auf diese Art nicht. Seine Rolle bei der EM gleicht einem Trauerspiel. Seine Umstellung: ein gescheitertes Experiment. Doch der Leitwolf blickt in eine rosige Zukunft.

München - 43.000 Fans jubelten, 2.000 trauerten. Auf dem Spielfeld im altehrwürdigen Wembley-Stadion brach ein Spieler in Tränen aus.

Joshua Kimmich ergriff es nach dem bitteren Ausscheiden der deutschen Nationalmannschaft im Achtelfinale der Europameisterschaft. Weinend lag er in den Armen von Mats Hummels.

Die Reaktion des 26-Jährigen sprach Bände. Nicht nur, dass das Turnier für das deutsche Team wieder viel zu früh endete, die Rolle Kimmichs innerhalb des Teams ließ während des gesamten Turniers zu Wünschen übrig. Die Verantwortlichen verschenkten mit einem späten Experiment viel Potenzial.

Anzeige
Anzeige

Löw opfert Kimmich - späte Umstellung

"Das ist etwas, was mir viel Spaß macht in der Mitte. Man kann immer in das Spiel eingreifen. Auf der rechten Seite ist man nicht immer im Spiel", gab Kimmich seinem Bundestrainer nach dem ersten EM-Spiel gegen Frankreich noch eine klare Vorstellung von seiner Positionierung mit auf den Weg.

Doch zu diesem Zeitpunkt war es längst du spät. Alternativen auf der rechten Seite gab es für Joachim Löw nicht wirklich.

Im 26-köpfigen Kader standen nur drei Spieler, die schon genügend Erfahrung auf der rechten Abwehrseite gesammelt haben. Neben Kimmich wurden auch Lukas Klostermann Chancen auf diesen Platz ausgerechnet.

Doch dieser verletzte sich im Training nach dem Frankreich-Spiel. Auch Matthias Ginter bewies sich schon auf der rechten Seite, doch der Gladbacher war ein fester Bestandteil der Dreier-Innenverteidigung.

Bis zum letzten Test vor der EM wuchs Kimmich im Mittelfeldzentrum zum Dreh- und Angelpunkt des deutschen Spiels. Genauso tat er es in den letzten Jahres beim FC Bayern, den er auf dieser Position mit zum Triple führte.

Doch mit dem Testspiel gegen Lettland kurz vor dem Turnier stand fest: Kimmich erwischte es wie Philipp Lahm 2014.

Anzeige
Anzeige

Vorbild Lahm? Pustekuchen!

Doch so Cinderella-mäßig wie es in Brasilien für den ehemaligen Kapitän lief, so verloren wirkte der potenzielle Kapitän der Zukunft in diesem Jahr. Auch Lahm übernahm damals die rechte Abwehrseite. Der Unterschied: im Zentrum konnten dessen Stärken aufgefangen werden.

Für Kimmich gab es vor der Abwehrkette aber keinen adäquaten Ersatz. 

Und dennoch zog Bundestrainer Löw seinen Plan mit Kimmich durch. Gegen Frankreich setzte er voll auf die Defensive - Kimmichs rechts hinten war durchaus nachvollziehbar. Als dann alles nach der Rückversetzung ins Mittelfeld aussah, verletzte sich Klostermann.

Andere Experimente wollte der scheidende Bundestrainer augenscheinlich nicht machen.

Externer Inhalt

Dieser Inhalt stammt von externen Anbietern wie Facebook, Instagram oder Youtube. Aktiviere bitte Personalisierte Anzeigen und Inhalte sowie Anbieter außerhalb des CMP Standards, um diese Inhalte anzuzeigen.
Sechs Gründe, warum England jetzt Europameister wird

Lucky royal mascot: Warum England den Titel holt

Nach dem Achtelfinal-Triumph gegen Deutschland träumt England mehr den je vom EM-Titel 2021. ran.de zeigt sechs Gründe, warum es diesmal tatsächlich für die "Three Lions" klappen könnte.

  • Galerie
  • 03.07.2021
  • 08:18 Uhr

Hinten rechts fehlte Kimmich seinem Team aber an allen Ecken und Enden. Nicht nur rein sportlich.

Antreiber im Zentrum fehlt

Eine gute Mannschaft braucht die richtigen Spieler auf der richtigen Position. Doch wirklich ausgereift war die deutsche Turniermannschaft bei der EM nicht.

Kaum Zweikampfkraft im Zentrum, wenig Ideen aus der Schaltzentrale, über die Außen lief es nur gegen Portugal (4:2-Sieg im 2. Gruppenspiel) nach Plan. Und irgendwie ist Kimmich bei all diesen Baustellen beteiligt.

Seinem Spiel auf der Außenbahn war durchaus anzusehen, dass er es lieber ins Zentrum verlagern würde. Der gewohnte Zug nach vorne blieb zu oft aus, auch weil die Einstellung der Mannschaft deutlich defensiver gewählt wurde als in den vergangenen Jahren.

Eine weitere Stärke, die Kimmich genommen wurde.

Seine Mentalität konnte der Bayern-Star auf seiner ungeliebten Zweitposition nicht gewinnbringend einbringen. Zu wenig Bindung hatte er zum wesentlichen Spiel seiner Mannschaft - genau die Sorge, die Kimmich nach der Auftaktniederlage gegen Frankreich geäußert hatte.

Anzeige

Ganz anderes Auftreten als in München

Verwunderlich war auch, dass nicht nur während, sondern auch vor und nach den Spielen nicht viel von Kimmich zu hören war. Der Champions-League-Sieger von 2020 übernahm für gewöhnlich das Wort, legte den Finger in die Wunde, jubelte am lautesten.

Doch nach den Spielen bei der EM suchte man ihn meistens vergeblich vor den TV-Kameras. 

Dabei hätte das deutsche Team den ein oder anderen Spieler gebraucht, der auch öffentlich Druck ausübt, so wie es Kimmich beim FC Bayern schon mehrfach getan hat. Damals schaffte es der Rekordmeister aus dem Sumpf heraus zum größtmöglichen Erfolg. Der deutschen Nationalmannschaft ist das in diesem Jahr nicht gelungen.

Anzeige
Anzeige

Rosige Aussichten unter Flick

Doch nun trifft er im DFB-Team auf den Trainer, der ihn bei den Bayern aus dem Sumpf zog. Unter Hansi Flick entwickelte sich Kimmich auf Vereinsebene zum Mentalitätsmonster, zum zweiten Gesicht des Aufschwungs. Das erste war Flick, der nun als Bundestrainer auf Löw folgt.

Kaum vorstellbar, dass auch auch der Triple-Coach seinen Anführer auf die rechte Seite verbannt. Zu erfolgreich lief die gemeinsame Zeit in München, in der sich Kimmich im Mittelfeldzentrum zum X-Faktor entwickelte. 

Bleibt die Frage, wer die Aufgabe auf der rechten Abwehrseite übernimmt. Aufgrund der Vorliebe Flicks für die Viererkette, könnte künftig auch Ginter wieder nach rechts rücken. Denkbar ist jedoch auch die Besetzung mit U21-Shootingstar Ridle Baku. Der Wolfsburger verpasste die EM nur knapp, wurde von Löw nicht nominiert. In Zukunft sollte aber auch er beste Chancen auf eine Nominierung haben.

Fest steht: es braucht eine Lösung auf der rechten Seite. Denn ein funktionierender Kimmich im Mittelfeldzentrum ist wichtiger als die Optimalbesetzung in der Außenverteidigung. Das hat spätestens die EM gezeigt.

Justin Werner

Du willst die wichtigsten EM-News, Videos und Daten direkt auf Deinem Smartphone? Dann hole Dir die neue ran-App mit Push-Nachrichten für die wichtigsten News Deiner Lieblings-Sportart. Erhältlich im App-Store für Apple und Android.