Wehrlos, harmlos, leblos - die deutsche Nationalmannschaft taumelt ohne jeden Hauch von Aufbruchstimmung ins EM-Jahr. Das Team von Julian Nagelsmann blamierte sich beim 0:2 (0:1) im Prestigespiel in Wien gegen Österreich und ist sieben Monate vor Turnierbeginn in einem erschreckenden Zustand.
Der ganze Frust über die sechste Niederlage des Jahres entlud sich bei Leroy Sane bei einer Tätlichkeit gegen Phillipp Mwene - der Münchner sah die erste Rote Karte seiner Profikarriere (49.).
Unter Nagelsmann wurde nur eines von vier Spielen gewonnen, das ist der schlechteste Start eines Bundestrainers seit Erich Ribbeck vor 24 Jahren.
Der Dortmunder Marcel Sabitzer (29.) und Christoph Baumgartner von RB Leipzig (73.) erzielten die Treffer für die Mannschaft von Coach Ralf Rangnick im mit 46.000 Zuschauern ausverkauften Ernst-Happel-Stadion.
Der DFB-Auswahl misslang damit auch die erhoffte Wiedergutmachung für die Niederlage gegen die Türkei am Samstag (2:3), von Emotion und Leidenschaft war erneut überhaupt nichts zu sehen.
"Wir müssen richtig gierig sein", forderte DFB-Sportdirektor Rudi Völler. Nagelsmann räumte kurz vor dem Anpfiff ein, dass man "ein bisschen Ergebnisdruck" habe. Um diesem standzuhalten, bot der Bundestrainer die älteste Startelf der DFB-Auswahl (29 Jahre, 287 Tage) seit dem EM-Spiel gegen Rumänien vor 23 Jahren auf.
Im Gegensatz zur ernüchternden Niederlage gegen die Türkei veränderte er sein Team auf drei Positionen. Mats Hummels, Leon Goretzka und Serge Gnabry rückten rein, Kai Havertz agierte wieder auf der linken Seite als Schienenspieler.
Den Verzicht auf Kimmich begründete Nagelsmann mit "mehr Variabilität" auch im Hinblick auf die EM. "Da können wir nicht immer mit den selben Pärchen spielen", erklärte der 36-Jährige.
Nach 20 Gegentoren in den vergangenen neun Länderspielen wollte das DFB-Team endlich einmal sicher stehen, doch Antonio Rüdiger leistete sich in der zweiten Minute schon einen schlimmen Fehlpass. Der Abwehrchef bügelte ihn gegen Baumgartner aber wieder aus.
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DFB-Team offenbart große Probleme
Der viermalige Weltmeister war in der Folge zwar um Spielkontrolle bemüht, doch in der Defensive gab es erneut große Lücken. Das deutsche Spiel war von Unruhe geprägt.
Nach einem schnell ausgeführten Freistoß von David Alaba verzog Michael Gregoritsch aus guter Position (12.). Fünf Minuten enteilte der Freiburger nach einem langen Pass Rüdiger und Hummels, Torhüter Kevin Trapp parierte aber stark.
DFB-Team: Noten und Einzelkritiken der Nagelsmann-Elf gegen Österreich
Platzverweis und die nächste schwache Leistung – das DFB-Team enttäuscht auch gegen Österreich und verliert mit 0:2. Die Noten und Einzelkritiken der Mannschaft von Julian Nagelsmann.
Kevin Trapp Überragend im 1-gegen-1 mit Gregoritsch (17. und 64.), bei Sabitzers Flachschuss zur Führung der Gastgeber aber chancenlos. Später dann von Baumgartner überlupft. Verhindert im Verlauf der Schlussphase mit einigen Paraden eine noch höhere Niederlage. ran-Note: 3
Jonathan Tah Zunächst knapp an Gelb vorbei (25.), dann zu zaghaft im direkten Duell mit Sabitzer, der zur österreichischen Führung trifft. Der Leverkusener wehrt sich lange, geht dann aber mit unter. ran-Note: 5
Mats Hummels Soll die Abwehrkette nach seiner Abwesenheit gegen die Türkei stabilisieren. Das gelingt ihm nicht. Immer wieder brechen die österreichischen Stürmer durch. Auch im Aufbau uninspiriert und mit zunehmender Spieldauer mutloser. Vor dem zweiten Gegentreffer geht ihm Baumgartner von der Leine und trifft. ran-Note: 5
Antonio Rüdiger Nach zwei Minuten mit der ersten Ungenauigkeit im Aufbau. Danach wirkt der so erfahrene Defensivmann verunsichert. Daran ändern auch zwei wichtige Grätschen gegen Gregoritsch nichts. Eigentlich soll Rüdiger vorangehen und führen. Das Gegenteil ist momentan der Fall. ran-Note: 5
Leroy Sane Hat den ersten wirklichen Abschluss für die Nagelsmann-Elf (32.). Man merkt ihm an, dass er will, aber diesmal nicht so richtig kann. Kurz nach der Pause brennen dem Bayern-Star die Sicherungen durch. Nach einer Tätlichkeit gegen Mwene fliegt er völlig zurecht vom Platz – im 402. Spiel seiner Karriere zum ersten Mal. ran-Note: 5
Leon Goretzka Erhält nach Groß und Kimmich gegen Österreich die Chance, sich neben Gündogan im zentralen Mittelfeld zu präsentieren. Genutzt hat er sie nicht wirklich. Seine Körperlichkeit kommt viel zu selten zum Tragen. Die riesengroßen Löcher im deutschen Mittelfeld kann auch der Bayern-Profi nicht stopfen. So ist er kein Startelfkandidat für die EM. ran-Note: 4
Ilkay Gündogan Der Kapitän wird nach einer Stunde ausgewechselt und durch den Debütanten Andrich ersetzt. Zuvor läuft er eher mit, als dass er sich als Führungsspieler gegen die nächste drohende Niederlage stemmt. In der Zentrale dazu gemeinsam mit Goretzka immer wieder zu leicht überspielt. ran-Note: 5
Kai Havertz Wenn in der ersten Halbzeit überhaupt etwas geht, dann über die Seite des Wahl-Londoners. Wie schon gegen die Türkei gibt er den linken Schienenspieler und muss auch defensiv ordentlich mit anpacken. Als Deutschland nur noch mit zehn Mann spielt, wechselt Havertz die Seite. Nach vorne geht da längst nichts mehr. ran-Note: 4
Julian Brandt Ständige Stockfehler und Ungenauigkeiten bestimmen das Bild beim Dortmunder. Ein ums andere Mal verstolpert Brandt in aussichtsreicher Position oder nimmt zu früh das Tempo aus den Angriffen der deutschen Mannschaft. Nach der Roten Karte für Sane muss er weichen. ran-Note: 5
Serge Gnabry Weitestgehend unsichtbar, ohne Bindung zum kaum vorhandenen Offensivspiel der DFB-Elf. Sein einziger Abschluss in einer schwachen ersten Halbzeit geht weit am Tor vorbei (41.). Wie auch im Verein (noch) nicht in der Form, um ein Spiel eigenhändig zu drehen. Als Sane schon duscht, wird sein Vereinskollege immerhin etwas aktiver ran-Note: 4
Niclas Füllkrug Der Dortmunder hängt komplett in der Luft, hat überhaupt keine Aktionen im österreichischen Strafraum. Kommt überhaupt nur in Ballnähe, wenn er sich weit fallen lässt – wird dann meist gefoult. Zur Halbzeit nimmt ihn Nagelsmann raus. ran-Note: 5
Thomas Müller Kommt zur zweiten Halbzeit für den schwachen Füllkrug. Versucht immer wieder wild gestikulierend seine Kollegen aufzuwecken. Es bleibt beim Versuch. Wie sehr Nagelsmann auf ihn baut, sieht man nach dem 0:2, als der Bayer an der Seitenlinie als verlängerter Arm Anweisungen des Trainers entgegennimmt. ran-Note: 3
Benjamin Henrichs Kommt nach Sanes Platzverweis für Brandt ins Spiel und geht auf die ungewohnte linke Seite. Macht keine großen Fehler und fällt damit in der Defensivabteilung des DFB fast positiv auf. ran-Note: 4
Florian Wirtz Deutschlands begnadeter Spielmacher kommt für 30 Minuten. Hier und da blitzt seine Klasse auf. Immerhin zwingt er Schlager im österreichischen Tor mit einem Fernschuss zu einer Parade. Ansonsten bleibt vieles Stückwerk. ran-Note: 4
Joshua Kimmich Diesmal bekommt der jahrelang unumstrittene Stammspieler eine halbe Stunde Spielzeit. Erzielt dabei um ein Haar den Anschlusstreffer aus der Distanz. Zeigt sich gewohnt giftig, ohne aber für den Umschwung zu sorgen. Wird sich strecken müssen, wenn er bei der EM zum Stammpersonal zählen möchte. ran-Note: 4
Marvin Ducksch In der 77. Minute für Havertz eingewechselt. Ohne Bewertung
Das DFB-Team offenbarte erneut große Probleme bei der Verbindung zwischen Defensive und Offensive, durch viele Fehlpässe ging der Ball immer wieder schnell verloren. "Klare Bälle", brüllte Nagelsmann nach knapp 25 Minuten lautstark an der Seitenlinie und diskutierte angeregt mit seinem Assistenten Sandro Wagner - es half zunächst nichts.
Der Dortmunder Sabitzer nutzte seinen Freiheiten zu einem platzierten Abschluss ins kurze Eck, Jonathan Tah griff viel zu zögerlich sein. Das Stadion verwandelte sich in ein einziges rot-weiß-rotes Fahnenmeer.
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Schlechteste Halbzeit unter Nagelsmann
Und Deutschland? Drei Minuten nach dem Rückstand gab Leroy Sane den ersten Torschuss ab. Doch viel lief weiterhin nicht zusammen. Kapitän Ilkay Gündogan und Goretzka bekamen das Spiel im Zentrum nicht in den Griff, Stürmer Niclas Füllkrug war überhaupt nicht eingebunden, auch über die Außen ging wenig.
Völler schüttelte auf der Tribüne neben DFB-Vize Hans-Joachim Watzke den Kopf und sah die nächste Chance der Österreicher durch Baumgartner (43.).
Nach der schlechtesten Halbzeit unter seiner Regie verschwand Nagelsmann sofort in die Kabine, Hummels diskutierte angeregt mit Tah. "Das ist ernüchternder Fußball. Es gibt gar keine Lösung nach vorne", analysierte ZDF-Experte Per Mertesacker nach 45 Minuten.
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Sane brennen die Sicherungen durch
Nagelsmann reagierte und brachte Thomas Müller für Füllkrug, der nur 16 Ballkontakte hatte. Doch die Pläne des Trainers waren schnell dahin. Sane schlug Mwene mit beiden Händen ins Gesicht. In Unterzahl hätten die Gäste fast den zweiten Treffer durch Stefan Posch (51.) kassiert.
Nagelsmann wechselte Benjamin Henrichs ein und zog Havertz nach vorne auf die Sane-Position, nach einer Stunde kamen auch Kimmich, Florian Wirtz und Debütant Robert Andrich.
Es lief aber weiter ganz wenig zusammen. Trapp parierte gegen Gregoritsch (64.), gegen Baumgartner war er machtlos. Kimmich (78.) und Wirtz (79.) sorgten mit Distanzschüssen für etwas Gefahr.
Die nächsten Länderspiele finden erst im März statt. Geplant sind Begegnungen gegen die Niederlande und in Frankreich. Eine endgültige Entscheidung wird aber erst nach der Auslosung de EM-Gruppen am 2. Dezember in der Hamburger Elbphilharmonie getroffen.