Herbert-Ziel jetzt greifbar
Olympia 2024: Warum Deutschland Basektballer Frankreich nochmal schlagen
- Aktualisiert: 07.08.2024
- 12:58 Uhr
- Seb Dumitru
Deutschland hat zum ersten Mal in der Geschichte das Olympische Halbfinale erreicht – und trifft dort am Donnerstag erneut auf Gastgeber Frankreich, das überraschend Kanada besiegte. Wer hat im Rematch die Nase vorne?
von Seb Dumitru
Es war ein klarer Fehlstart und das bisher schwächste Viertel des amtierenden Basketball-Weltmeisters in diesem Turnier: Griechenland, angeführt von Superstar Giannis Antetokounmpo, erzielte 16 seiner ersten 18 Zähler in der Zone und erspielte sich eine zwischenzeitliche 12-Punkte-Führung.
Nach den ersten zehn Minuten stand es 21:11 für die Hellenen. Dann stellten Bundestrainer Gordon Herbert & Co. ihre Defense um, verbarrikadierten die Mitte und ließen die Backups das Spiel drehen.
Angeführt von Johannes Thiemann (10 Punkte, 6 Rebounds, plus-18), Isaac Bonga (9 Punkte, 6 Rebounds, plus-22), Moritz Wagner (8 Punkte, 5 Rebounds, plus-15) und Nick Weiler-Babb (5 Punkte, 2 Steals, plus-16) machte Deutschland Punkt für Punkt wett und entschied die nächsten beiden Viertel klar für sich (48:31). Franz Wagner (18 Punkte) und Dennis Schröder (13 Punkte, 8 Assists) waren zur Stelle, als es drauf ankam, und sorgten für den am Ende überdeutlichen und bis auf das erste Viertel nie gefährdeten 76:63-Erfolg.
Es war der vierte Sieg im vierten Spiel, der 13. in Folge und 19. aus 21 Partien bei einem internationalen Turnier. Jetzt greift eines von nur zwei verbleibenden, ungeschlagenen Spitzenteams in diesem Wettbewerb auch bei Olympia nach Edelmetall und will die mit Abstand beste Ära in der Geschichte des deutschen Basketballs krönen.
"Ich war 7 Jahre alt, als Dirk Nowitzki für uns Olympia gespielt hat. Seither sind wir sehr weit gekommen", erinnert sich Franz, der jüngere der beiden Wagner-Brüder, der bisher zu den Top-Performern bei #Paris2024 zählt.
Das Wichtigste in Kürze
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Drei Jahre, drei Medaillen: Gordon Herberts ambitioniertes Ziel
Ambitioniert und ein bisschen unrealistisch nannten sie Gordon Herbert in Deutschland vor drei Jahren, als der Kanadier das Amt des Bundestrainers übernahm. Der Grund: Er sprach damals von drei deutschen Medaillen bei den drei kommenden Großereignissen: der Eurobasket 2022 in Deutschland, dem FIBA World Cup 2023 in Asien, und den Olympischen Spielen 2024 in Paris.
Zwei von drei Medaillen – EM-Bronze und das sensationelle WM-Gold – hat der DBB bereits in der Tasche. Jetzt fehlt nur noch ein Sieg zum nächsten, finalen Puzzleteil. Zwei Möglichkeiten hat Deutschland, am Donnerstag und Samstag. Natürlich soll bereits gegen Frankreich ein Sieg her und damit sogar die Chance auf Gold gewahrt werden.
"Coach Herbert hat einen super Job gemacht, uns zu einer Einheit geschweißt, und dafür gesorgt, dass alle Rollen klar verteilt sind. Ich gebe alles, um den Traum in Erfüllung gehen zu lassen", sagt Dennis Schröder, der gegen Griechenland einen schweren Stand hatte und oft gedoppelt wurde.
Zum Glück für den Kapitän ist dieses Team in der Breite und Tiefe ausgezeichnet besetzt. Coach Herbert kann Spiel für Spiel auf die jeweils beste Kombination zugreifen, ohne jemals die DNA und Durchschlagskraft seiner Truppe zu kompromittieren. "Eine unserer großen Stärken ist, dass wir zwölf Spieler haben, die ich einsetzen kann", sagt der Cheftrainer.
"Die anderen haben heute abgeliefert. Unsere zweite Garde kam rein und hat einen super Job gemacht. Unsere Intensität und unsere Energie wurden sofort besser. Sie haben den Ton angegeben, und wir alle waren nach der Pause viel besser", führte Herbert weiter aus.
Diese Balance wird auch im Halbfinale vonnöten sein.
"Les Bleus": Erst betrübt, dann im siebten Himmel
Frankreich sorgte im dritten Viertelfinale des Tages für die große Überraschung, als es den bis dato ungeschlagenen Top-Favoriten Kanada besiegte. Die Hausherren dominierten von der ersten Minute an – trotz aller Kontroversen und internen Querelen im Vorfeld. Nicht zuletzt die deutliche Niederlage gegen Deutschland hatte für noch mehr Unruhe und Angespanntheit gesorgt, als angesichts der hohen Erwartungshaltung im Land ohnehin schon geherrscht hatte.
Veteran Evan Fournier hatte Nationaltrainer Vincent Collet scharf kritisiert, sprach von fehlenden Grundlagen und einem antiquierten Spielstil, der nicht mehr zeitgemäß sei. "Das hier ist nicht mehr der Basketball der 1990er oder 2000er, wo du im Halbfeld verteidigen kannst. Deine Offensive ist entscheidend, deine Balance, dein Transition-Game. Vor allem gegen ein so starkes Team wie Deutschland", wurde Fournier zitiert.
Collet entgegnete ihm, dass er mit seiner Meinung alleine da stünde – und verbannte ihn im Viertelfinale prompt auf die Bank, ebenso wie den vierfachen Defensive Player of the Year in der NBA, Rudy Gobert. Stattdessen begannen die Franzosen mit Isaia Cordinier und Guershon Yabusele, dazu wie gewohnt Frank Ntilikina, Nic Batum und Victor Wembanyama. Collets Schachzug entpuppte sich als Geniestreich – vor allem, weil Cordinier das beste Spiel seiner Karriere zeigte.
Der athletische Two-Guard von Virtus Bologna lief sofort heiß, netzte gleich zwei Dreier und war mit acht Punkten nach wenigen Minuten der Wegbereiter einer frühen 16:5 Führung. Am Ende kam der 27-Jährige auf 20 Zähler (6-10 FG) inklusive vier Dreier. Der physische Yabusele war Frankreichs Topscorer mit 22 Zählern (6-9 FG), während Matthias Lessort 13 Punkte beisteuerte. Das Trio von Rollenspielern hatte so niemand auf seiner Bingo-Karte gehabt.
Bei Kanada ging lange Zeit gar nichts, mickrige 15 Punkte in den ersten 15 Spielminuten waren der Hypothek zu viel. Einzig Shai Gilgeous-Alexander (27 Punkte) und mit Abstrichen RJ Barrett (16) stemmten sich gegen die Niederlage.
Mitte des Schlussviertels sah es beim Stand von 65:60 danach aus, als würden sie das Comeback erfolgreich abschließen. Fournier erzielte jedoch 12 seiner 15 Punkte in den letzten vier Minuten – inklusive eines Dreiers von der Mittellinie, der das Dach in der Paris Bercy Arena wegblies und den zweiten olympischen Halbfinaleinzug in Folge für Frankreich sicherstellte.
Im Halbfinale wieder Deutschland gegen Frankreich
Bereits drei Mal standen sich die beiden Schwergewichte in den vergangenen Wochen gegenüber: am 6. und 8. Juli während der Vorbereitung, und vergangenen Freitag während des dritten und letzten Gruppenspieltags. Beide Teams holten im Juli jeweils einen Sieg, als es um nichts ging.
Das 85:71 der Deutschen vergangene Woche geriet zur absoluten Demontage, die Frankreich empfindlich traf und genannte Spannungsherde weiter überstrapazierte. Die Art und Weise, wie der amtierende Olympia-Zweite deklassiert wurde, ließ aufhorchen.
Franz Wagner sorgte damals mit gleich zwei absolut ikonischen Monsterdunks – einen davon über alle fünf französischen Gegenspieler hinweg – für die große Show, während ein lächelnder Dennis Schröder einen Jumpshot nach dem anderen durch die Maschen drückte.
Am Ende hatten Wagner und Schröder jeweils 26 Punkte erzielt – die fünfthöchsten Scoring-Games in der Geschichte des DBB bei Olympischen Spielen. (Detlef Schrempf hält den Rekord mit 36 Zählern, und die Plätze zwei bis vier gleich obendrein).
Deutschland traf 12-26 Dreier (46,2 Prozent), 15-16 Freiwürfe (93,8 Prozent) und erzielte starke 16 Punkte nach forcierten Turnovers (zehn Steals). Frankreich traf nur 9-24 von Außen (37,5 Prozent), 12-18 von der Linie (66,7 Prozent) und nur vier Punkte in Transition. Deutschland führte zwischenzeitlich mit 24 Punkten. Wembanyama war bester Scorer mit 14 Zählern, Fournier und Cordinier waren die einzigen anderen Akteure im zweistelligen Bereich. Gobert (4 Punkte, 1 Rebound, 4 Blocks) war kein Faktor.
Deutschland gegen Frankreich: Wer gewinnt das Rematch?
Herberts Truppe gilt auch im Rematch als tiefer, variabler, besser eingespielt. In der Vorrunde war Deutschland eine von nur zwei Mannschaften, die in Angriff und Verteidigung zu den Top-Zwei zählten. Die andere: Team USA. Auch Hall of Famer Dwyane Wade, der für "NBC" während des Turniers den Co-Kommentator gibt, nannte Deutschland "die größte Gefahr" für die Gold-Mission der Amerikaner.
Schröder, Wagner & Co. haben bisher sowie in den vergangenen Jahren eindrucksvoll bewiesen, dass sie auf unterschiedlichste Arten und Weisen gewinnen können. Egal, ob klein, schnell, extra groß mit zwei Big Men, ruppig in der Zone oder filigran von Außen, mit Offense oder Defense: die Vielzahl an Optionen, die Eingespieltheit und mannschaftliche Geschlossenheit spricht klar für den DBB.
Basketball: Diese Schuhe tragen die Stars im Team USA
Collet und Frankreich haben gegen Kanada jedoch viele ihrer Kritiker verstummen lassen und ihren hohen Ambitionen neues Leben eingehaucht. Auch die "Equipe Tricolore" ist offensichtlich mehr als nur "Wemby Wunderkind" und eine offensiv oft problematische Twin Tower Formation, die sich mit zu vielen Post-Ups und langsamem Spieltempo das Leben selbst schwer macht.
Ultra-aggressive Rollenspieler, die für zweite Chancen und insgesamt 42 Freiwurfversuche gegen Kanada malochten, haben den Blick auf dieses Team verändert. Erreichen die Hausherren, die sich auch am Donnerstag auf ihre rabiaten Fans verlassen können, zum richtigen Zeitpunkt ihre Topform?
Frankreich ist schon oft schwach in ein Turnier gestartet, nur um dann in den K.O.-Runden mehrere Gänge hochzuschalten – so auch bei den Olympischen Spielen in Sydney 2000, der EuroBasket 2005 oder der EuroBasket 2022, als sie nach durchwachsener Gruppenphase bis ins Endspiel brausten und Silber holten.
"Frankreich hat sich eindrucksvoll zurückgemeldet", sagte Bundestrainer Herbert am Dienstag Abend. "Sie haben super geantwortet, haben Heimvorteil, und haben heute einen Traumstart erwischt. Das ist mit der großartigen Atmosphäre dann natürlich schwer für den Gegner. Wir treffen zum vierten Mal im letzten Monat aufeinander und kennen uns natürlich sehr gut. Ich erwarte ein viel engeres Spiel als beim letzten Mal."