Radsport
Tour de France: Simon Geschke im Interview – deutsche Tour-Hoffnung? "Seine Zeit wird kommen"
- Aktualisiert: 04.07.2025
- 23:20 Uhr
- Justin Kraft
Simon Geschke fuhr jahrelang in Ausreißergruppen um Etappensiege und Bergtrikot bei der Tour de France. Im Interview mit ran spricht er nun über die Favoriten, eine deutsche Tour-Hoffnung, Druck und die finanziellen Ungleichheiten zwischen den Teams.
Von Justin Kraft
Tadej Pogacar scheint nicht zu schlagen zu sein. Schon im vergangenen Jahr dominierte der Slowene die Tour de France und deklassierte dabei seine Konkurrenz. Nicht mal der zweifache Tour-Sieger Jonas Vingegaard hatte eine Chance.
Simon Geschke konnte die Stärke der beiden Ausnahmekönner über viele Jahre live im Peloton erleben – und litt 2022 ganz besonders darunter. Damals stand der Deutsche in Frankreich kurz vor dem Gewinn des Trikots für den Fahrer mit den meisten Bergpunkten.
Erst auf der letzten Bergetappe wurde ihm das Trikot mit den roten Punkten von Vingegaard abgenommen. Im vergangenen Jahr beendete der 39-Jährige seine aktive Profikarriere.
Im Interview mit ran spricht der Tour-Etappensieger von 2015 über den diesjährigen Kampf um Gelb, Druck durch Sponsoren, Florian Lipowitz und die weiteren deutschen Fahrer, die finanzielle Dominanz der Top-Teams sowie die Entwicklung des Radsports in Deutschland.
ran: Hallo Herr Geschke, die erste Tour nach der aktiven Karriere, wie fühlt sich das für Sie so kurz vor dem Start an?
Simon Geschke: Ein bisschen wie die gesamte Saison schon: Seltsam, sich nicht mehr auf die Rennen vorzubereiten. Aber es ist auch schön, die ganze Vorbereitungszeit nicht mitgemacht zu haben. Ich vermisse die Tourvorbereitung nicht so. Das geht im November los, um auf das Level zu kommen, eine gute Tour zu fahren. Die komplette Saison geht schon im Januar los, mit Höhepunkten im Frühjahr und ab Mai kommt dann die heiße Phase. Man lebt eigentlich nur von Tag zu Tag und da gehört eine Menge dazu: Viele Entbehrungen und Trainingslager, etliche Stunden auf dem Rad. Das Tour-Flair werde ich schon ein bisschen vermissen, es war immer eine Ehre, ins Tour-Team zu kommen. Es ist also mit einem lachenden und einem weinenden Auge.
ran: Der Kampf um Gelb wird wohl wieder zwischen Tadej Pogacar und Jonas Vingegaard entschieden. Bei der Dauphine war Pogacar klar vorn, dafür ist Vingegaard diesmal verletzungsfrei geblieben. Sehen Sie eine Chance für den Dänen?
Geschke: Die Strecke ist ein bisschen speziell dieses Jahr, die Bergetappen sind eher in der zweiten Hälfte, anders als im letzten Jahr. Es sieht erstmal danach aus, dass Pogacar auch dieses Jahr wieder der Stärkste ist. Aber wenn ihn einer schlagen kann, dann ist es Vingegaard. Trotzdem wird es sehr schwer, Tadej Pogacar irgendwie zum Wackeln zu bringen, weil er einfach der beste Rennfahrer dieser Zeit, vielleicht auch aller Zeiten ist. Man hat ja gesehen, wie er diese Saison gefahren ist.
Das Wichtigste in Kürze
Simon Geschke: Man kann Tadej Pogacar "vielleicht taktisch ausspielen"
ran: Wie ist er vielleicht trotzdem zu schlagen?
Geschke: Man kann ihn vielleicht taktisch ausspielen. Visma hat ein super Team mit Simon Yates, Matteo Jorgenson, Sepp Kuss und sie haben ihn schon mal geschlagen. Ich erinnere mich an die Etappe (2022, Anm. d. Red.), wo sie ihn abwechselnd attackiert haben, um ihn aus der Reserve zu locken. Sowas könnte ich mir wieder vorstellen, dass sie versuchen, mit mehreren Fahrern in der Gesamtwertung zu bleiben. Dadurch könnten sie ihn angreifbar machen, weil er mehr Attacken mitgehen muss und Jonas Vingegaard dann im richtigen Moment einen drüber setzt. Das kann funktionieren, weil Pogacar ein sehr impulsiver Rennfahrer ist, der gerne attackiert. Aber da muss wirklich alles passen, so wie Pogacar jetzt drauf ist. Auch UAE hat ein sehr starkes Team, deshalb kann ich es mir nur schwer vorstellen. Überraschen würde es mich trotzdem nicht.
ran: In der Netflix-Dokumentation zur Tour de France wurde deutlich, wie genervt vor allem die kleineren Teams von der Dominanz von Team UAE Emirates-XRG und Visma-Lease a Bike sind. Ein großer Teil der Top-10-Fahrer verteilt sich auf diese beiden Teams, ebenso viele Siege bei großen Events. Schadet das dem Radsport?
Geschke: Für die kleinen Teams ist es extrem schwer, bei den Rennen auf höchstem Niveau irgendwie zu glänzen. Man muss sich da Ziele setzen, die realistisch sind und das Beste aus seinem Kader herausholen. Es ist einfach eine Budgetfrage. UAE und Visma haben ein Budget, was es ihnen erlaubt, absolute Weltklasse-Fahrer, selbst Grand-Tour-Sieger als Helfer für Vingegaard und Pogacar zu verpflichten. Es gab ja schon Überlegungen, vielleicht mit einem Budgetdeckel zu arbeiten. Das System im Radsport ist da etwas fraglich.
Aber ob es dem Radsport jetzt schadet? Das würde ich nicht unbedingt sagen. Am Ende werden die zwei stärksten Fahrer die Tour unter sich ausmachen und das ist das, was die Leute sehen wollen. Ich denke, die Tour war immer super spannend, auch wenn man ziemlich schnell gesehen hat, wer der Stärkste ist. Ich habe es trotzdem genossen, mir die Tadej-Pogacar-Show im Replay anzuschauen.
ran: Ein weiterer Aspekt, der in der Dokumentation deutlich wurde, ist der Leistungsdruck, der auch durch Sponsoren gemacht wird. Wie sind Sie in Ihrer aktiven Karriere mit diesem Druck umgegangen und sind Sie froh, ihn jetzt nicht mehr zu haben?
Geschke: Ja, bin ich auf jeden Fall. Man will immer das Beste aus einem rausholen. Der Körper ist leider nicht mit einem Tempomat oder so etwas ausgestattet. Da ist der Druck schon groß. Selbst wenn man gut trainiert hat, weiß man nie, wo man steht. Man kann gute und schlechte Tage haben. Da macht man sich in der ganzen Vorbereitung Gedanken und im Rennen selbst sowieso. Ich war ein Fahrer, auf dem selten der Druck von der Mannschaft gelastet hat, von daher konnte ich damit ganz gut umgehen. Man muss sich eine gewisse Leichtigkeit bewahren.
Aber die Sponsoren zahlen das Geld, für die ist die Tour die größte Plattform, was Aufmerksamkeit und Umsatz-Denken angeht. Das System im Radsport ist so, dass die Sponsoren etwas für ihr Investment haben wollen und die Teams stehen unter Druck und damit auch die Fahrer. Bei der Tour ist es am extremsten. Ein Sponsor ist schon zufrieden, wenn die Tour gut läuft, da ist der Rest des Jahres fast egal. Aber den meisten Druck macht man sich trotzdem selbst. Man will möglichst viel erreichen, weil man nur ein paar gute Jahre hat. Das ist bei der Tour ein Riesentrubel um einen, wenn man einer der großen Fahrer ist. Damit muss man lernen umzugehen, wenn man ein guter Profi sein will.
Externer Inhalt
Die Trikotsponsoren der Bundesligisten in der Saison 2024/25 - FC Bayern nicht an der Spitze bei Einnahmen
ran: Florian Lipowitz konnte bei der Dauphine positiv überraschen, schlug sogar Remco Evenepoel. Bei der Tour ist er erstmal Helfer von Primoz Roglic. Was trauen Sie ihm zu und was ist eine realistische Erwartungshaltung für seine Zukunft?
Geschke: Die Zukunft sieht bei ihm sehr gut aus. Ihn an als Helfer an den Start gehen zu lassen, ist eine sehr gute Entscheidung, um ihm auch ein bisschen den Druck zu nehmen. Es ist seine erste Tour, da wird er den Radsport nochmal ganz anders kennenlernen. Für ihn wird es die Devise sein, dass er erstmal nicht unnötig Zeit verliert, sodass er ein kleiner Joker ist. Wenn er in der ersten Woche keine Zeit verliert, umso besser, wenn es doch irgendwie blöd läuft, dann ist Primoz Roglic der verdiente Kapitän, einer der größten Fahrer seiner Zeit.
Für Florian kann trotzdem die Chance kommen, wenn in der ersten Woche alles gut läuft. Vielleicht kriegt er dann grünes Licht vom Team, auf Gesamtwertung zu fahren. Aber ich würde mich darauf nicht versteifen. Vielleicht bekommt er in der zweiten oder dritten Woche auch die Chance auf Ausreißersiege, falls Roglic nicht um das Gelbe Trikot fährt. Da ist er definitiv stark genug für. Das würde ich ihm gönnen. Bei so einem jungen Fahrer würde ich aber sagen: Erstmal gut durchkommen, Erfahrung sammeln und probieren, es zu genießen. Er ist ein sehr starker Fahrer, seine Zeit wird auf jeden Fall noch kommen. Vielleicht schon dieses Jahr. Bei seiner Entwicklung weiß man das nie.
ran: Georg Zimmermann ist ein weiterer Deutscher, der bei der Tour für Furore sorgen könnte. Zuletzt gewann er die Deutsche Meisterschaft, seine Chance liegt vermutlich in Ausreißergruppen – Ihre Spezialität. Welche Tipps würden Sie ihm geben?
Geschke: Ich glaube, Georg braucht gar nicht mehr so viele Tipps, der ist ja schon lange mit dabei. Georg hat den Luxus, dass er in einem Team fährt, das keinen erklärten Gesamtwertungsfahrer hat. Da wird er viele Freiheiten haben. Ich würde mich freuen und für mich ist er immer einer der Kandidaten, der eine Etappe gewinnen kann, weil er einfach stark und clever ist. Das hat man bei der Deutschen Meisterschaft auch gesehen. Als Tipp würde ich ihm mitgeben, sich nicht unbedingt eine Etappe rauszusuchen, sondern aus dem Bauch heraus zu fahren und im richtigen Moment zuzuschlagen. Da würde ich an seiner Stelle in der ersten Woche die Beine stillhalten und dann die zweite und dritte Woche Vollgas fahren.
ran: Pascal Ackermann und Phil Bauhaus sind die besten deutschen Sprinter bei der Tour, aber die Konkurrenz ist mit Philipsen, Girmay und Co. riesig. Trauen Sie ihnen dennoch einen oder gar mehrere Etappensiege zu?
Geschke: Phil war schon mal nah dran und beiden kommt entgegen, dass die erste Woche viele Sprints hat. Für die Sprinter ist die erste Woche eine Riesenchance, wenn es flach ist und da kann man in einen Flow reinkommen und der Druck ist im Team ein bisschen weg. Ein Etappensieg ist vielleicht aber ein bisschen zu hoch gegriffen. Ich würde mich mega freuen, aber wie gesagt: die Konkurrenz ist sehr groß. Sie gehören beide zu den sehr guten Sprintern, aber sind nicht das Kaliber wie Jasper Philipsen oder Biniam Girmay. Sprinten ist aber auch besonders: Wenn die Lücke da ist und man sein Vorderrad durchstecken kann, dann kann es klappen. Man kann aber auch eingebaut sein. Ich glaube aber, dass beide gute Ergebnisse einfahren.
ran: Letztes Jahr gab es Kritik an der Gravel-Etappe, dieses Jahr wird der voraussichtlich sehr hektische Start in die Tour nicht von allen positiv gesehen. Sind das aus Ihrer Sicht normale Nebengeräusche oder ist die Gier nach Show und Spektakel bei der Streckenplanung ein großes Problem?
Geschke: Eigentlich nicht. Die Gravel-Etappe letztes Jahr fand ich auch nicht so schön. Der Schotter war schon sehr lose, weil es so trocken war. Das war, als ob man im Sandkasten fährt. Ich habe aber nichts per se gegen Gravel-Etappen oder Pflaster-Etappen. Man muss es nicht jedes Jahr machen, aber es gehört ein bisschen mit dazu. Der Radsport ist sehr vielschichtig. Ich glaube, da gibt es größere Sicherheitsaspekte beim Streckendesign. Da denke ich an Engstellen im Finale oder wenn die Strecke nicht richtig abgesichert ist.
Die Fans spielen bei der Tour eine sehr große Rolle und stellen leider auch ab und zu eine Gefahr dar. Da sollte man gucken, dass die flachen Etappen nicht zu wild geplant sind. Gerade die erste Woche ist bei der Tour immer gefährlich, weil es oft sehr hektisch wird. Jedes Team will ganz vorne fahren, um sich aus den Stürzen herauszuhalten. Dennoch ist die Tour sicherheitstechnisch gut organisiert. Es gibt immer negative Ausnahmen wie eine kleine, enge Abfahrt im Finale. Das muss nicht unbedingt sein, weil man auch damit rechnen muss, dass es mal regnet. Ein Restrisiko gibt es aber durch die Nervosität der Fahrer immer.
Radsport in Deutschland: "In erster Linie fehlt die Nachwuchsarbeit"
ran: Der Radsport hat in Deutschland in den letzten Jahren wieder an Popularität gewonnen. Was muss aus Ihrer Sicht passieren, dass man perspektivisch mit den großen Nationen noch mehr mithalten kann?
Geschke: In erster Linie fehlt Deutschland die Nachwuchsarbeit. Mehr Rennen wären ebenfalls wünschenswert. Ich weiß aber natürlich auch, dass es nirgendwo so schwer ist wie in Deutschland, ein Radrennen zu organisieren, was schade ist. In Deutschland ist nur die Tour de France ein großes Rennen, während es in anderen Ländern auch Rennen wie Mailand-Sanremo gibt. In Belgien gibt es die Klassiker und das gibt es in Deutschland alles nicht. Es ist schön, dass es die Deutschland-Tour wieder gibt, aber es sind insgesamt doch sehr wenige Rennen. Es fehlt an der Plattform. Mit wenigen Rennen ist es auch schwer, Sponsoren an Land zu ziehen oder doch mal ein gutes Zweitliga-Team aufzubauen für die Fahrer, die noch nicht ganz so weit sind, um einen Worldtour-Vertrag zu bekommen. Radsport als Breitensport ist in Deutschland ja sehr populär, es gibt viele Hobbyfahrer und ambitionierte Amateure, aber dazwischen kommt lange nichts. Da fehlt es an grundlegender Basis.
ran: Woran liegt das?
Geschke: Es ist schwer, das zu organisieren, weil es in Deutschland sehr teuer ist und mit sehr vielen Auflagen verbunden ist, Straßen müssen gesperrt werden. Das passt vielen Leuten dann nicht. Aber der Radsport kommt halt zu den Leuten. Das ist ja auch das Schöne. Man kann gratis an die Strecke kommen und sich das angucken und das ist etwas Exklusives, was der Radsport bietet. Das ist in Deutschland aber noch nicht so angekommen, dass das eigentlich ganz viele Möglichkeiten bietet, auch für Sponsoren. Für die könnte es gerade im Vergleich zum Fußball beispielsweise eine günstige und lohnenswerte Investition sein.
ran: Vielen Dank für das Gespräch!