NBA-Kolumne: Wie sich Isaiah Hartenstein zu einem der besten Free Agents 2024 entwickelt hat
Aktualisiert: 02.04.2024
13:07 Uhr
Ole Frerks
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Eine Verletzung hat Isaiah Hartenstein in die Starting Five der New York Knicks gespült und dafür gesorgt, dass der deutsche Center sich erstmals über eine Saison als Starter beweisen durfte. Der Durchbruch kommt zur perfekten Zeit – könnte für sein Team allerdings ein Problem darstellen.
Eine Kolumne von Ole Frerks
Wie sehr sich die Reaktionen auf zwei Verletzungen unterscheiden können: Als sich Mitchell Robinson früh im Dezember verletzte und es hieß, seine Saison sei vermutlich gelaufen, wirkte das wie ein enormes, vielleicht unlösbares Problem für die Knicks, zumal er bis dahin den wohl besten Basketball seiner Karriere gespielt hatte.
Als sich der Center nun am Wochenende, im zweiten Spiel nach seinem Comeback, direkt wieder am Knöchel verletzte, wirkte es eher wie ein Problem unter vielen – sicherlich nicht das aktuell größte. Was logischerweise nicht daran liegt, dass Robinson in der Zwischenzeit alles verlernt hat, was ihn vorher auszeichnete.
Es hat eher mit seinem Vertreter zu tun. Isaiah Hartenstein hat das Zeitfenster eindrucksvoll für sich genutzt – so sehr, dass Robinson bei seiner kurzen Rückkehr erst einmal von der Bank kommen durfte. Der Deutsche spielt seinerseits das beste Jahr seiner Laufbahn und stellt die Knicks damit auch im Sommer vor eine interessante Entscheidung.
Robinson steht unter Vertrag (noch zwei Jahre, ca. 27 Mio. Dollar), Hartenstein wird Unrestricted Free Agent. Beide sind ein Luxus – auf Dauer vielleicht aber nicht bezahlbar, zumal Hartenstein seinem aktuellen Gehalt (8,2 Mio. Dollar) entwachsen sein sollte. Muss sich New York womöglich in diesem Sommer zwischen beiden entscheiden – und wenn ja, für wen?
Es ist ein kompliziertes Thema. Robinson sah bis zu seiner Verletzung wie ein Top-10-Center in der Liga aus. Hartenstein seither … auch?! Es lässt sich zumindest dafür argumentieren, dass über die vergangenen Monate außerhalb der Superstar-Kategorie kaum ein Center ligaweit besser unterwegs war als er. Nein, wirklich.
Ein unermüdlicher Arbeiter
Offensiv ist Hartenstein in allererster Linie ein Arbeiter: Er punktet effizient (63,4% aus dem Feld), wirft aber auch sehr wenig (7,5 PPG). Er stellt etliche On-Ball-Screens für Jalen Brunson, wird als Roll-Man allerdings nur recht selten eingesetzt. Das liegt daran, dass Brunson selbst eher ein Scorer ist und Hartenstein anders als beispielsweise Robinson kein dynamischer Finisher, der reihenweise Alley-Oops durch den Korb drückt.
Sein bester offensiver Skill ist vielmehr das Passen, auch wenn die Knicks diese Fähigkeit etwas weniger einsetzen als einst die Clippers, für die Hartenstein seine bis dato beste Saison spielte (21/22). Er hat ein gutes Auge für Cutter, kann aus dem Abrollen feine Pässe spielen und hilft seinem Team immer wieder auch mit Hand-Offs, bei denen er am Perimeter den Ball abgibt und dann direkt den Verteidiger screent, um etwas Platz für einen Wurf zu kreieren.
Seitdem Hartenstein startet, verteilt er 3 Assists pro Spiel, zudem werden 9,5 Screen Assists pro Spiel für ihn notiert, die achtmeisten der Liga in diesem Zeitraum. Er beeinflusst kurzum viele Ballbesitze seines Teams positiv, selbst wenn er den Ball dabei kaum berührt (die Usage-Rate von 11,8% ist für einen NBA-Starter minimal – Robinson allerdings lag noch drunter mit 9,9%).
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Definition eines Glue Guys
Zumindest bis zum Wurf. Denn: In der Knicks-Offensive sind die Center nicht nur eifrige Screener, sondern auch Offensiv-Rebounder – Robinson war in dieser Disziplin der beste Spieler der Liga und sammelte 17,6% der Fehlwürfe seines Teams wieder ein, bei Hartenstein sind es immerhin 12,5%.
Auch er hält unzählige Plays seines Teams am Laufen, steigt nach dem Rebound entweder für leichte Finishes wieder hoch oder findet abermals die offenen Schützen oder Cutter. Er rennt zudem unermüdlich und ist zumeist in Transition oder Semi-Transition anspielbar, um gegen unsortierte Defense (und langsamere Bigs) an leichte Punkte zu kommen.
Kurzum tut Hartenstein sehr viele Dinge, die nicht zwingend im Boxscore auftauchen, seinem Team aber enorm helfen – er ist die Definition eines Glue Guys. Was auch die folgende Zahl zeigt: Die Offense der Knicks ist um 7,2 Punkte besser, wenn er auf dem Court steht, das Offensiv-Rating dann mit 122 sogar eins der besten der Liga.
Dabei ist die Offense im Prinzip gar nicht seine Kernkompetenz.
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Einer der besten Verteidiger der Liga
Defensiv ist Hartenstein seit dem Ausfall Robinsons noch wichtiger geworden, umso mehr, da die defensive Allzweckwaffe O.G. Anunoby mittlerweile ebenfalls so viel Zeit verpasst hat. Hartenstein ist derjenige, der alles zusammenhält, der Zonenanker und die "Kuscheldecke", wie Donte DiVincenzo kürzlich erklärte. "Er ist hinter uns, um unsere Fehler auszumerzen."
Hartenstein ist mobil genug, um vor vielen Guards zu bleiben, hat ein exzellentes Positionsspiel. Er kann droppen und dem Ballhandler dabei weder einen offenen Wurf noch einen leichten Pass anbieten. Er zählt zu den stärksten Ringbeschützern der Liga – Gegner treffen in Korbnähe 12,2% unter ihrem Schnitt, ein Wert, den nur Rudy Gobert und Kristaps Porzingis überbieten.
Hartenstein ist ein defensiver Playmaker, sammelt auf hohem Niveau Steals (88. Perzentil für einen Center) und Blocks ein (72.) und ist dabei etwas weniger foulanfällig als in früheren Jahren. Er liest das Spiel besser, ist disziplinierter – auch das ist ein Schlüssel dafür, dass er mehr Minuten auf dem Court stehen kann als je zuvor, auch wenn er seit seiner Rückkehr nach Achillessehnenproblemen ein Minutenlimit verpasst bekommen hat.
Estimated Plus/Minus (DunksandThrees) zufolge hat ligaweit aktuell nur Jonathan Isaac von den Magic einen größeren defensiven Impact als Hartenstein. Als erster deutscher NBA-Spieler könnte er es in ein All-Defensive-Team schaffen. Er hat sich nach sechs Jahren in der Liga und fünf Teams endgültig einen Namen gemacht – für ihn zum bestmöglichen Zeitpunkt.
Isaiah Hartenstein: Wie geht es weiter?
Der noch immer erst 25-Jährige dürfte in der Offseason zu den besten tatsächlich verfügbaren Spielern gehören. Da die Knicks nur Early Bird Rights an ihm halten, können sie ihm "nur" rund 16 Mio. Dollar an Jahresgehalt anbieten, ein Team mit Cap-Space könnte das in der Theorie überbieten. Die Chance dafür dürfte über die vergangenen Monate gestiegen sein.
Die Knicks wiederum wären vermutlich zufrieden, wenn diese Gefahr aktuell ihr einziges oder größtes Problem wäre. Anunoby und Julius Randle fallen weiterhin aus, Josh Hart sagte am Sonntag, es würde ihn "überraschen", sollten die Forwards in dieser Saison zurückkehren. Die offensive Abhängigkeit von insbesondere Brunson war dadurch zuletzt eklatant: Gegen die Spurs erzielte der Point Guard am Freitag 61 Punkte und hatte ein Plus/Minus-Rating von +20, gegen OKC waren es am Sonntag 30 und +17 – New York verlor beide Spiele.
In der Theorie haben die Knicks eines der tiefsten Teams der Liga, das nahezu allen Ost-Teams in den Playoffs Angst einjagen könnte. In der Realität ist es möglich, dass es dieses Team in dieser Saison so nicht mehr zu sehen geben wird. Und darüber hinaus vielleicht auch nicht mehr – zumindest nicht mit allen Protagonisten.
Das ist eben auch ein Teil der NBA-Realität: Timing und Glück spielen für jedes Team, für jeden Spieler eine Rolle. Für Hartenstein passte in diesem Jahr zum ersten Mal in einer bisher turbulenten Karriere alles zusammen – er durfte zeigen, dass er ein überdurchschnittlicher NBA-Starter ist. Mal sehen, welche Auswirkungen dies am Ende auf sein Team haben wird.