Bundesliga
Hamburger SV - Stefan Kuntz erklärt im Interview: Deswegen wurde Merlin Polzin zum Aufstiegstrainer
- Aktualisiert: 20.06.2025
- 09:55 Uhr
- Andreas Reiners
Wie geht der Hamburger SV die Bundesliga-Rückkehr an? Wir haben mit Sportvorstand Stefan Kuntz über sein erstes Jahr in Hamburg, aber auch Trainer Merlin Polzin, die HSV-Identität und die neue Demut gesprochen.
Das Interview führte Andreas Reiners
Nein, auf Wolke sieben schwebt Stefan Kuntz nicht mehr.
Dafür ist das Fußball-Geschäft zu schnelllebig. Vor allem dann, wenn man als Aufsteiger in die Bundesliga die neue Saison plant. Eine Saison, in der Kuntz mit dem Hamburger SV natürlich die Klasse halten will. Dass dies kein leichtes Unterfangen wird, weiß der HSV-Sportvorstand. Der Plan ist aber klar.
"Wir wollen nicht groß reden, sondern machen. Entscheidend wird, dass wir eine Mannschaft haben, die so heiß ist auf die Bundesliga, dass wir den Klassenerhalt schaffen können. Dass wir Ruhe bewahren, vor allem bei der ersten Krise nicht gleich durchdrehen und nicht wieder anfangen, irgendwelche Luftschlösser zu bauen. Uns ist bewusst: Was die Intensität angeht, müssen wir einiges aufholen, um bereit für die Bundesliga zu sein", sagte Kuntz im ran-Interview.
Allerdings sind im ersten Jahr seiner Amtszeit Weichen gestellt worden, damit der HSV nicht nur aufsteigt, sondern sich auch im Oberhaus langfristig etabliert.
Im Interview spricht der 62-Jährige über die HSV-Identität, seine persönliche Bilanz, Trainer Merlin Polzin, den Umbruch und die neue Demut.
Das Wichtigste in Kürze
Kuntz: Schnell wieder in der Realität
ran: Herr Kuntz, schweben Sie mit ein bisschen Abstand zum Aufstieg immer noch auf Wolke sieben?
Stefan Kuntz: Nein, ganz ehrlich: Dafür holt einen die Realität im Fußball viel zu schnell wieder ein. Aber klar, ein sehr befriedigendes Grundgefühl bleibt, gerade nach so einer intensiven Saison.
ran: Es wurde ja aufgrund der HSV-Vergangenheit am Ende wieder geunkt, dass einmal mehr etwas schieflaufen könnte. Hatten Sie selbst zwischendurch mal leise Zweifel?
Kuntz: Nein, überhaupt nicht. Ich beschäftige mich wenig mit dem, was in den Jahren zuvor war. Wir haben uns voll auf die aktuelle Situation konzentriert und fokussiert. Selbst in den Momenten, in denen die Ergebnisse mal nicht gestimmt haben, hatten wir es stets in der eigenen Hand. Diese Konstellation war komfortabel und wir haben sie letztlich genutzt.
ran: Gab es gar keine Momente der Unsicherheit, zum Beispiel nach der Trennung von Steffen Baumgart?
Kuntz: Ich bin grundsätzlich positiv eingestellt und richte den Blick immer nach vorne. Deshalb waren Zweifel kein Thema.
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ran: Sie sind seit etwas mehr als einem Jahr beim HSV. Wie fällt denn Ihre Bilanz aus?
Kuntz: Bei der Frage nach der Identität des HSV war für mich nicht ein neues Leitbild die Lösung, sondern mit welchen Werten wir arbeiten möchten, für welche Philosophie wir stehen wollen und wie alle Mitarbeiter das in der täglichen Arbeit nach innen und nach außen verkörpern.
ran: Was bedeutet das konkret?
Kuntz: Wir wollen nahbar sein, transparent, mit einem gesunden Maß an Demut, aber auch extrem ehrgeizig, ambitioniert und proaktiv. Das soll nicht nur für die Mannschaft gelten, sondern für den gesamten Verein. Sportlich haben wir eine Analyse gemacht und wussten, wo es noch nicht so optimal lief. Und da haben wir erfolgreich dagegen gesteuert.
Kuntz: So hilft die eigene Vergangenheit
ran: Welche Rolle haben Ihre eigenen Erfahrungen gespielt?
Kuntz: Wenn man wie ich lange im Fußball dabei ist, entwickelt man ein Gespür für Situationen. Das hilft auch, schwierige Entscheidungen zu treffen, wie eine Trainerverpflichtung oder -entlassung. Wichtig ist, dabei Ruhe zu bewahren, Überzeugung auszustrahlen und ein gutes Bauchgefühl zu entwickeln. Ebenso wichtig ist es aber, auch der öffentlichen Meinung standzuhalten und Entscheidungen durchzusetzen.
ran: Sie haben sich natürlich bewusst dafür entschieden, aber hat Sie das neue Trainerteam um Merlin Polzin doch ein Stück weit positiv überrascht?
Kuntz: Ich stelle mich jetzt nicht hin und sage, ich hätte alles vorhergesehen. Aber man erkennt natürlich gewisse Stärken und Potenziale. In meiner Funktion geht es mir auch darum, Menschen und Mitarbeiter zu entwickeln. Dass man ihnen zur Seite steht, dass man sie versucht zu unterstützen, sie dann aber auch gewähren lässt und nicht überall reinquatscht. Das gilt für das Trainerteam genauso wie für unseren Sportdirektor Claus Costa oder andere Mitarbeiter.
ran: Was sprach dabei konkret für die Konstellation mit Merlin Polzin und seinem Team?
Kuntz: Für uns war klar: Wir brauchen nicht nur ein Trainerteam, das fachlich stark ist. Wir brauchen eines, das unsere Philosophie versteht. Wir müssen den einen oder anderen Transfererlös generieren. Das geht am besten mit jungen Spielern, weshalb deren Entwicklung besonders wichtig ist. Wir haben die Vorstellung, dass alle Positionen im Idealfall von Leistungsträgern besetzt werden, dass wir aber dahinter jeweils einen jungen Herausforderer haben. Und in der Hinsicht hat es gepasst, dass wir junge Trainer holen, die den Gesamtüberblick über die Talente beim HSV haben. Die Wege zum Nachwuchsleistungszentrum sind dann noch kürzer und noch viel eingespielter. Wir wollen wieder mehr auf jüngere Spieler setzen, dabei aber auch von vornherein sagen, dass sie Geduld und Zeit brauchen. Wir sind überzeugt von unserem eingeschlagenen Weg, mit Identifikation, Mut und klarer Struktur.
ran: Was zeichnet das Trainerteam fachlich besonders aus?
Kuntz: Vor allem das Zusammenspiel. Jeder bringt seine Stärken ein, und das nutzen die unterschiedlichen Typen extrem. Fachlich überzeugen sie mit klaren Konzepten in Taktik und Trainingsgestaltung. Auch der menschliche Faktor passt, mit vielen Gesprächen, vor allem auch mit Klarheit. Besonders stark finde ich den Umgang mit den Spielern: Es wird nie der Mensch kritisiert, sondern höchstens die sportliche Leistung. Das schafft Vertrauen. Und: Sie haben mit enormer Energie gearbeitet. Diese Energie hat die Mannschaft getragen und war letztendlich auch mit entscheidend dafür, dass wir stabil geblieben sind und es durchgezogen haben. Wie kreativ das Trainerteam war, wenn es darum ging, die Spieler immer wieder mit frischer Energie und Selbstvertrauen aufzuladen, hat mich beeindruckt. Da wurde unglaublich viel investiert.
Kuntz beim HSV: "Immer mal politische Strömungen"
ran: Hat Sie in Ihrer Rolle als Verantwortlicher im Verein etwas überrascht?
Kuntz: Nicht wirklich überrascht. Aber man merkt, dass es in so einem großen Verein natürlich auch immer mal politische Strömungen und daraus resultierende Schlagzeilen gibt, die nicht immer förderlich sind. Aber das ist normal.
ran: Hatte die neue Ruhe und Klarheit im Verein trotzdem Auswirkungen aufs häufig ungeduldige HSV-Umfeld?
Kuntz: Definitiv. Wir haben bewusst darauf geachtet, keine Hektik nach außen dringen zu lassen. Wir kommunizieren klar, ruhig und mit Überzeugung und Transparenz. Wenn du eine klare Vision und Mission hast, dann wirkt das auch nach außen und man kann sich daran messen lassen.
ran: Sie haben den Verein mit allen Facetten erlebt. Wie schätzen Sie die Bedeutung für die Bundesliga ein?
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Kuntz: Ich war bei der DFL-Tagung nach Saisonende, und da haben sich viele gefreut, dass der HSV und auch Köln wieder da sind. Das schmälert nicht die Leistungen anderer Klubs, aber Fakt ist: Wir bringen immer das größte Fan-Kontingent mit, bei uns ist zu Hause immer was los. Es ist eine große Tradition da. Es wird auch kein Hehl daraus gemacht, dass die Bundesliga für Tradition steht. Da freut man sich natürlich.
ran: Und in Hamburg selbst? Sieben Jahre sind eine lange Zeit…
Kuntz: In Hamburg selbst war es besonders emotional: Kaum einer hat mir gratuliert, die meisten haben sich bedankt. Die Menschen hier haben lange gelitten, sind veräppelt worden sieben Jahre lang. Das ist durch den Aufstieg alles wieder da. Auch ein gewisser Stolz auf den HSV, den man wieder nach außen zeigen kann. Es ist nicht mehr nur Loyalität, unbedingte Treue und gemeinsames Leiden gefragt. Jetzt ist mal wieder eine Zeit da, um einfach stolz durch die Gegend zu gehen und zu sagen: 'Wir sind wieder da'.
Kuntz: "Wer andere Erwartungshaltungen hat, der hat falsche"
ran: Das ist ohne Frage ein Ansporn für die neue Saison. Entsteht aus dieser Situation aber eventuell auch zusätzlicher Druck?
Kuntz: Nein, überhaupt nicht. Wir kommen aus sieben Jahren Zweitklassigkeit. Unser Ziel ist klar: in der Bundesliga ankommen und drinbleiben. Das ist der Druck. Wer andere Erwartungshaltungen hat, der hat falsche. Teams wie Augsburg, Mainz oder Freiburg haben uns zehn Jahre Bundesliga voraus. Das gilt es jetzt erstmal aufzuholen.
ran: Wie groß ist dieser Rückstand?
Kuntz: Ein Blick auf die TV-Geld-Tabelle reicht da schon. Dann kann man durchrechnen, was diese Klubs allein über zehn Jahre mehr an Einnahmen hatten - das summiert sich gewaltig.
ran: Wie geht man die neue Saison an, ohne sich zu übernehmen und zur Fahrstuhlmannschaft zu werden?
Kuntz: Mit Bescheidenheit und indem wir hart arbeiten. Wir wollen nicht groß reden, sondern machen. Entscheidend wird, dass wir eine Mannschaft haben, die so heiß ist auf die Bundesliga, dass wir den Klassenerhalt schaffen können. Dass wir Ruhe bewahren, vor allem bei der ersten Krise nicht gleich durchdrehen und nicht wieder anfangen, irgendwelche Luftschlösser zu bauen. Uns ist bewusst: Was die Intensität angeht, müssen wir einiges aufholen, um bereit für die Bundesliga zu sein. Deshalb schauen wir, dass wir bis zum Ende der Transferperiode so arbeiten, dass wir den bestmöglichen Kader zusammenstellen können.
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ran: Wie groß wird der Kaderumbruch werden?
Kuntz: Da gibt’s zwei Dinge: Das, was man gerne hätte und das, was realistisch ist. Zwischen Wunsch und Wirklichkeit gibt es leider oft einen Unterschied. Aber natürlich müssen wir uns punktuell verstärken. Das ist unser Ziel. Natürlich immer im Rahmen des Machbaren.
Kuntz: So soll die HSV-Mischung aussehen
ran: Was braucht es für eine funktionierende Mischung - sportlich wie mental?
Kuntz: Die Situation ist diesmal eine andere als vor einem Jahr. Damals hatten wir viele Spieler, die mehrfach den Aufstieg verpasst hatten. Da war ein gewisses Déjà-vu-Gefühl, eine Angst vorm erneuten Versagen spürbar. Jetzt ist dieses Kapitel abgehakt, diese Spieler starten in die neue Saison mit viel Leichtigkeit und Selbstvertrauen. Wenn wir neue Spieler holen, achten wir nicht nur auf die sportliche Qualität, sondern auch auf Persönlichkeit, auf Charakter. Das Teamgefüge muss passen. Vergangenes Jahr haben wir mit Spielern wie Daniel Elfadli und Davie Selke ganz bewusst andere Typen geholt, weil die damalige Mannschaft ein anderes Grundbedürfnis hatte. Dieses Jahr kann der Bedarf ein anderer sein. Das erfordert Feingefühl.
ran: Wie herausfordernd ist der Markt für den HSV als Aufsteiger?
Kuntz: Enorm. Die genannten Bundesliga-Klubs, ob Augsburg, Mainz oder Freiburg, haben durch ihre gewachsene Bundesliga-Zugehörigkeit schlichtweg mehr finanzielle Mittel. Die Konkurrenz ist also groß.
ran: Kann man absehen, welcher Zeitrahmen realistisch ist, um die genannten Klubs einzuholen?
Kuntz: Nein, das kann man nicht vorhersagen. Ich schaue sowieso immer nur in die unmittelbare Zukunft, um am besten aufgestellt zu sein für die nächsten Aufgaben. Dann sehen wir weiter. Aber wir freuen uns auf die Herausforderung.