FC Bayern München und das Mittelfeld-Dilemma: Tuchels Verhalten gibt Rätsel auf
Aktualisiert: 19.09.2023
00:16 Uhr
Carolin Blüchel
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Obwohl Thomas Tuchel wegen des dünnen Kaders des FC Bayern München auf jeden Spieler angewiesen ist, bringt er mit seltsamen Entscheidungen immer mehr Stars gegen sich auf.
Von Carolin Blüchel
Wochenlang ließ Thomas Tuchel gefühlt keine Gelegenheit aus, um auf die dünne Personaldecke beim FC Bayern München hinzuweisen. Er forderte eine sogenannte "Holding Six" und sprach damit zugleich allen defensiven Mittelfeldspielern im Kader eben jene Qualität ab.
Dass ein Trainer auf Missstände hinweist und seine Philosophie umsetzen will, ist sein Job. Dass er das in aller Öffentlichkeit tut – ein Problem. Vor allem, nachdem das bayerische Bemühen auf dem Transfermarkt diesbezüglich ergebnislos verlaufen war und er mit dem Schrumpf-Kader mindestens bis zur Winterpause zurechtkommen muss.
Vereinsintern kamen Tuchels Nadelstiche überhaupt nicht gut an. Klub-Boss Jan-Christian Dreesen forderte ebenfalls öffentlich mehr Kreativität des Trainers.
In der Länderspielpause hat sich Tuchel nun offenbar ein Schweige-Gelübde auferlegt. Erneut mit der Thematik konfrontiert, reagierte er vor dem Bundesliga-Topspiel gegen Bayer Leverkusen (2:2) schmallippig.
Er habe seine Meinung kundgetan, die würde sich auch nicht ändern. Schließlich habe sich die Situation nicht geändert: "Dazu ist genug gesagt." Punkt.
In Wirklichkeit aber hat Tuchel seine Kritik nur verlagert. Er lässt jetzt Taten sprechen – und bringt damit immer mehr Spieler gegen sich auf, obwohl er sie doch dringend braucht.
So betonte der Coach, dass Joshua Kimmichs Einsatz gegen Leverkusen ein Risiko gewesen sei. Der 28-Jährige hatte sich bei der Nationalmannschaft verletzt. Bis zuletzt sei nicht klar gewesen, ob er überhaupt spielen könne. "Dann hat die medizinische Abteilung grünes Licht für 60 Minuten gegeben", erklärte Tuchel. Kimmichs vorzeitige Auswechslung in der 61. Minute sei mit allen Beteiligten abgesprochen gewesen.
Der Mittelfeldspieler selbst erweckte allerdings einen gegenteiligen Eindruck, als er Journalisten in der Mixed Zone nach Abpfiff auf die entsprechende Frage entgegnete: "Fragt den Trainer."
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FC Bayern München: Freund gibt Tuchel Recht
Tuchel legte nach. "Es ist nicht die Phase der Saison, in der wir Muskelverletzungen riskieren. Schon gar nicht im Mittelfeld", führte der 50-Jährige aus. Dies sei auch der Grund gewesen, weshalb Kimmich keine Eckbälle getreten habe. Da war er wieder – der Verweis auf den für Tuchel’sche Ansprüche zu dünnen Kader.
Der Kader ist nominell nicht riesengroß. Das kann aber Energie entfachen.
FCB-Sportdirektor Christoph Freund
Dabei steht der Trainer mit seiner Einschätzung gar nicht allein da. Der Kader sei "nominell nicht riesengroß", gestand auch der neue Sportdirektor Christoph Freund ein. Dies könne aber Energie entfachen. Zunächst einmal eher negative – zumindest bei den Leidtragenden.
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FC Bayern München: Matthijs de Ligt erst auf der Bank, dann auf der Sechs
Auch Matthijs de Ligt – in der vergangenen Spielzeit noch Abwehrchef und einer der Besten – ist in dieser Saison bislang nur Statist und findet es "furchtbar".
Wegen Wadenproblemen in der Vorbereitung habe der Niederländer anfangs nicht die Form gehabt, befand Tuchel, der derzeit auf Dayot Upamecano und Kim Min-jae in der Innenverteidigung setzt. Laut "tz" ist Tuchel aber grundsätzlich kein de-Ligt-Fan, weil dieser im Spielaufbau zu behäbig sei.
So kam der Niederländer in den ersten vier Spielen bislang auf 37 Spielminuten. Zweimal musste er zu seiner eigenen Überraschung im defensiven Mittelfeld ran.
Auf die Frage eines Journalisten, ob er auf der Sechs gut spielen könne, reagierte der 24-Jährige auf Kimmich-Art: "Ich habe keine Ahnung. Da musst du den Trainer fragen." Er selbst habe bis zum 15. Lebensjahr im Mittelfeld gespielt. Manchmal sei das auch schön, sagte er und lächelte gequält.
Eine Erklärung für sein Bankdrücker-Dasein habe Tuchel bis dato nicht geliefert. Das sei aber auch nicht nötig, beteuerte der Niederländer. Seine Körpersprache verriet etwas anderes.
Öffentlich rechtfertigte der Trainer die kuriose Aufstellung und übte zwischen den Zeilen erneut Kritik an der Personalknappheit: "Wir werden jeden benötigen und in Zukunft vielleicht auch auf ungewöhnlichen Positionen."
Selbst wenn Tuchel objektiv gesehen recht hat: Ein bisschen macht sich der manchmal dickköpfig anmutende Coach auch selbst das Leben schwer. Gegen Leverkusen experimentierte er mit Mittelfeldspieler Konrad Laimer auf der Rechtsverteidiger-Position. Ohne Not, schließlich saß Stamm-Verteidiger Noussair Mazraoui mit unglücklicher Miene auf der Bank.
Bayern wusste, wie Tuchel ist
Für den früheren Nationalspieler Torsten Frings ist die Unzufriedenheit einiger Bayern-Stars auch immer noch die Folge der öffentlich geäußerten Kader-Kritik, wie er bei "Sky" feststellte.
Allerdings hätten die Bayern-Bosse von vornherein gewusst, worauf sie sich mit Tuchel einlassen: "Wenn man sich einen Thomas Tuchel ins Haus holt, weiß man, was man für einen Trainer bekommt."
Der Schwabe habe hohe Ansprüche an sich und den Verein. Er habe klare Vorstellungen. "Es ist nicht verkehrt, wenn man diese auch verbreitet. Vielleicht wäre es aber besser, das intern zu machen", so Frings weiter.
Dazu gehört aber auch, nicht mit jeder Äußerung immer wieder zwischen den Zeilen auf den Missstand hinzuweisen.