Bayern dezimiert in der Länderspielpause
FC Bayern München - Trotz "letzter Rille": Darum verzichtet Tuchel auf Campus-Spieler
- Aktualisiert: 13.11.2023
- 18:22 Uhr
- Martin Volkmar
Der FC Bayern schleppt sich fast mit dem letzten Aufgebot in die Länderspielpause. Doch trotz der deutlich besseren Stimmung: Auch danach wird es kaum besser werden. Die Gründe.
Vom FC Bayern berichtet Martin Volkmar
Thomas Tuchel verließ die Rudi-Sedlmayer-Halle mit einem Grinsen.
"Es hat mir sehr gut gefallen. Aber es geht sehr lange. Ich wollte eigentlich bis zum Ende bleiben, aber meine Kinder warten", sagte der Trainer des FC Bayern zu ran, bevor er in seinen Wagen stieg.
Immerhin mehr als vier Stunden hatte er seiner ersten Jahreshauptversammlung des deutschen Rekordmeisters in der ersten Reihe beigewohnt und dabei schon zu Beginn den Ton der im Gegensatz zu den Vorjahren harmonisch verlaufenen Veranstaltung gesetzt.
Bei seinem Einmarsch machte Tuchel zig Selfies und gab den begeisterten Mitgliedern zahlreiche Autogramme, dann wurde er von Klubpatron Uli Hoeneß mit einer Umarmung begrüßt – als die Szene auf dem Videowürfel der Halle gezeigt wurde, brandete anhaltender Applaus auf.
Der demonstrative Schulterschluss mit Ehrenpräsident Hoeneß war ein deutliches Zeichen nach außen, nachdem beide in den vergangenen Monaten ja immer wieder unterschiedliche Ansichten über den zu dünnen Bayern-Kader und die Transferpolitik geäußert hatten.
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FC Bayern: Rückendeckung für Tuchel von Hainer und Dreesen
Diese Rückendeckung für den nach der Pokalpleite in Saarbrücken hart kritisierten Chefcoach setzte sich auch in den Reden von Präsident Herbert Hainer und Vorstandsboss Jan-Christian Dreesen fort.
"Lieber Thomas, es ist absolut verständlich seinem Ärger auch mal Luft zu lassen", reagierte Hainer auf Tuchels Wutreden nach dem folgenden 4:0 in Dortmund Richtung Didi Hamann und Lothar Matthäus: "Wir im Klub sind uns da alle einig: Diese Experten vertragen schon auch mal ein richtiges Kontra!"
Der Jubel danach war eindeutig, ebenso die späteren Aussagen der Mitglieder bei der Aussprache. "Thomas Tuchel saß ja in der ersten Reihe neben Uli Hoeneß und ich konnte ihn bei den Wortbeiträgen sehen zu dem Thema", berichtete Dreesen auf ran-Nachfrage:
"Und er hat nicht nur gegrinst, sondern wirklich gelacht. Also die Unterstützung hat ihm offensichtlich gutgetan, auch die Stärkung durch die Fans. Das konnte man ihm richtig ansehen. Und dafür habe ich großes Verständnis."
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Tuchel zu Heidenheim: "Ganzen Tag kein gutes Gefühl"
So endete für Tuchel ein Wochenende äußerst positiv, was zumindest aus seiner Sicht nicht besonders gut begonnen hatte. "Ich hatte den ganzen Tag kein gutes Gefühl, habe aber trotzdem versucht, nicht drüber zu sprechen", erzählte er nach dem 4:2 am Samstagnachmittag über Aufsteiger Heidenheim.
Denn obwohl es eine Stunde lang nach einem souveränen Sieg des Favoriten ausgesehen hatte, schenkten die Bayern binnen Minuten mit katastrophalen Fehlern den Vorsprung her – ehe sie dann doch noch zwei späte Treffer zum Pflichtsieg nachlegten.
"Es war fehlerhaft, es war müde - ohne der Mannschaft einen Vorwurf zu machen", verkniff sich der Perfektionist zum wiederholten Mal in der jüngeren Vergangenheit eine schonungslose Analyse: "Ich habe keinen Anlass, Kritik zu üben. Körperlich und mental war das die letzte Rille."
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FC Bayern: Freund verteidigt schwächelnden Kim
So erklärte auch Sportdirektor Christoph Freund das defensive Chaos nach der unvermeidbaren Auswechslung des trotz langer Verletzung erneut überzeugenden Dayot Upamecano. "Wir haben einige angeschlagene Spieler, der Kader ist schon eher dünn. Das war schon ein bisschen am letzten Rad, das hat man schon auch gesehen. Es war sicher nicht die erste Elf auf dem Platz", sagte der Österreicher.
Dabei nahm er vor allem Neuzugang Minjae Kim in Schutz, der als einziger fitter Innenverteidiger offensichtlich den Strapazen der vergangenen Wochen Tribut zollen musste und mit einem groben Patzer den Ausgleich einleitete.
"Er spielt jedes Spiel 90 Minuten seit Monaten, auch mit der Nationalmannschaft, er ist einfach müde", meinte Freund: "Er ist ein bisschen am Limit und da passieren so Unkonzentriertheiten, ich glaube das ist irgendwie auch menschlich."
FC Bayern: Tuchels Dreifachwechsel sorgt für Durcheinander
Für das Durcheinander war allerdings auch Tuchel mit einem Dreifachwechsel nach 61 Minuten mitverantwortlich, durch den die Viererkette komplett umgestellt wurde. Vielleicht hätte er stattdessen den erst nach dem 2:2 gebrachten Alphonso Davies früher einwechseln sollen, denn danach stand die zum dritten Mal umgebaute Abwehr wieder.
Insgesamt allerdings sind die Alternativen aufgrund der anhaltenden Verletzungsprobleme äußerst rar, am Samstag waren erneut nur sechs Feldspieler auf der Bank. Und in der Anfangsformation standen der eigentlich schon ausgemusterte Bouna Sarr (erstmals seit April 2021) sowie der 19-jährige Aleksandar Pavlovic, der als Sechser ein sehr ordentliches Startelf-Debüt gab.
FC Bayern: Tuchel ist vom Unterbau nicht wirklich überzeugt
Möglicherweise hätte der gebürtige Münchner, der vor zwei Wochen seinen ersten Profivertrag unterschrieben hat, schon früher eine Chance bekommen können, aber hier zeigt sich Tuchels Dilemma: Der Trainer ist vom Unterbau der Bayern nicht wirklich überzeugt.
Hätten die Bayern am letzten Tag des Transferfensters noch sowohl den defensiven Mittelfeldspieler Joao Palhinha (Fulham) als auch Verteidiger Trevoh Chalobah (Chelsea) verpflichtet, mit denen die Gespräche jeweils sehr weit fortgeschritten waren, hätten die Talente Pavlovic und Frans Krätzig vermutlich kaum eine Chance bekommen.
Es spricht daher eine klare Sprache, wenn Tuchel trotz fehlender Abwehrspieler lieber Bankplätze freilässt als ihn mit Stammkräften aus der zweiten Mannschaft wie dem langjährigen Zweitligaspieler Steve Breitkreuz (31) oder dem ehemaligen Junioren-Nationalspieler Luca Denk (20) aufzufüllen.
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FC Bayern: Reserve nur Mittelmaß, Nachwuchs enttäuscht
Andererseits ist die FCB-Reserve als 10. der Regionalliga Bayern derzeit sogar in der Viertklassigkeit nur Mittelmaß. Und auch im Nachwuchs bietet sich wenig an: In den aktuellen Kadern der U19 sowie U18 des DFB steht kein einziges Bayern-Talent und die A-Junioren sind momentan nur Sechster von 14 Teams in der U19-Bundesliga.
Auch wenn die Forderungen der Mitglieder und auch von Herbert Hainer nach mehr Spielern aus dem Campus eindeutig waren („Wir brauchen wieder mehr Statement-Spieler made by Bayern“), so wird sich daher an der angespannten Personallage mindestens bis zur Winterpause wenig ändern.
FC Bayern: Tuchel genervt über "glorreichen Spielplan"
Zwar kann Tuchel aktuell ein paar freie Tage genießen, für seine Mannschaft ist aber das Gegenteil der Fall. Bis auf Sarr, Sven Ulreich und die angeschlagenen oder verletzten Spieler sind alle Profis bis Mittwoch oder Donnerstag nächster Woche auf teilweise weiten Länderspielreisen.
Entsprechend sauer stieß Tuchel auf, dass die Münchner sofort wieder am 24. November beim 1. FC Köln ranmüssen. "Wir spielen dann, glorreicher Spielplan, an einem Freitagabend auswärts. Das ist natürlich eine sensationelle Ansetzung für den FC Bayern München", bemerkte er sarkastisch.
Vermutlich ahnte er da schon: Die aktuell gute Stimmung beim Rekordmeister kann sich auch ganz schnell wieder drehen.