EM 2024
DFB-Team: Ungarn im Check - Stolzer Angstgegner unter Druck
- Aktualisiert: 19.06.2024
- 14:45 Uhr
- Andreas Reiners
Die deutsche Nationalmannschaft trifft am Mittwoch (ab 18:00 Uhr im Liveticker) im zweiten Gruppenspiel auf Ungarn. ran macht den Gegner-Check.
Es herrschte Fassungslosigkeit. Ratlosigkeit. Und auch ein bisschen Traurigkeit. Zu überraschend kam das 1:3 der Ungarn zum EM-Auftakt gegen die Schweiz.
Keine Frage: Mit der Pleite hat die ungarische Nationalmannschaft nicht nur ihrem Trainer, sondern auch den Fans und den Experten in der Heimat Rätsel aufgegeben. Dabei war es nicht die Niederlage an sich, sondern vor allem die Art und Weise.
Schwer zu bespielen? Kompakt? Aggressiv in den Zweikämpfen? Stark im Umschaltspiel? Davon war in Köln nicht viel zu sehen, die Niederlage war unter dem Strich verdient.
Die Ungarn stehen deshalb am Mittwoch (ab 18:00 Uhr im Liveticker) gegen die deutsche Nationalmannschaft bereits unter Druck, ein Punkt muss mindestens her, eigentlich eher ein Sieg.
Das Wichtigste in Kürze
Deshalb nahm Ungarns Superstar Dominik Szoboszlai die Sache verbal selbst in die Hand. "Wir sind nicht hier, um Kinderfußball zu spielen", sagte der jüngste Kapitän der EM-Historie: "Wir wollen wirklich weiterkommen, aber dafür müssen wir arbeiten", stellte er klar.
Es werde ein anderes Spiel gegen Deutschland, erklärte der 23-Jährige. "Wir müssen mit uns selbst klar kommen, was wir von diesem Turnier wollen, was wir erreichen wollen. Wir haben noch zwei Spiele. Und am Ende werden wir sehen."
Auf was und wen muss das DFB-Team achten? Welche Rolle spielen die Fans? Wie kann man die Ungarn knacken? ran macht den Gegner-Check.
Darauf muss das DFB-Team achten
Bundestrainer Julian Nagelsmann machte es am Dienstag ein bisschen geheimnisvoll. Ungarn ist "unangenehm, schwer vorzubereiten" und irgendwie "schwer zu packen", sagte er, ohne groß ins Detail zu gehen. Er habe aber mehrere Schlüssel gefunden, sagte er.
Klar sein wird: So körperlos und löchrig wie gegen die Schweiz dürften die Ungarn gegen das DFB-Team kaum agieren, sie müssen aggressiver zu Werke gehen, bissiger, deutlich aktiver, präsenter. Mit den Stärken also, durch die sie sich auch für die EM qualifiziert haben.
"Barnabas Varga läuft die Innenverteidiger nicht an, sondern macht das Mittelfeld zu. Die Innenverteidiger werden von Szoboszlai und Roland Sallai angelaufen", sagt Michael Boris, der als Trainer in Ungarn arbeitet, im ran-Gespräch.
Externer Inhalt
EM 2024: Nagelsmann über Spitznamen "Querpass-Toni"
"Normalerweise stehen sie kompakt in der Mitte, und es ist ganz schwer, durch das Zentrum durchzuspielen", so Boris, der in der Vergangenheit unter anderem die U19 und U21 Ungarns trainiert hat. "Und dann versuchen sie, über das Umschaltspiel zum Torerfolg zu kommen. Das hat in der Vergangenheit sehr gut geklappt, und auch wenn sie teilweise die Ballbesitzmannschaft waren, haben sie gute Abläufe."
Ungarn sei eine schnelle Mannschaft, eine junge Mannschaft, eine gute Mannschaft, die im Umschaltspiel gut sei, "aber auch Fußball spielen kann", betont Boris.
Mit dem Rücken zur Wand
Eine interessante Frage: Wie reagiert die junge Mannschaft auf den Druck? "So eine Drucksituation hatten sie noch nicht, weil sie viele Ergebnisse eingefahren haben, mit denen keiner gerechnet hat", sagt Boris, der aber nicht glaubt, dass Nationaltrainer Marco Rossi deshalb groß von seiner Taktik abweichen wird.
"Vielleicht werden sie ein bisschen höher attackieren, sie wissen aber auch, dass die Deutschen spielerisch unfassbar gut sind, gerade in der letzten Reihe mit Havertz, Wirtz und Musiala", so Boris: "Sie wissen aber auch, dass sie performen müssen."
Deutschlands neuer Angstgegner
Die Ungarn werden ein bisschen in die Rolle eines deutschen Angstgegners geschrieben, zuletzt setzte es 2022 in der Nations League eine Niederlage und ein Remis, auch 2021 bei der EM gab es ein Remis. "Sie schauen auf sich und wissen, dass sie normalerweise schwer zu schlagen sind. Ich glaube, dass sie sich ein bisschen leichter tun gegen Gegner, gegen die sie nicht das Spiel machen müssen", so Boris.
Was neben dem Begriff Angstgegner auch immer fällt: Der Standardsatz, die Ungarn seien schwer zu bespielen. Was bedeutet das konkret?
"Weil sie so kompakt stehen, musst du eigentlich immer um das Paket herumspielen, damit du viel über die Außenverteidiger kommst. Mit Ball sind sie flexibel. Der Schienenspieler bleibt nicht nur auf der Seite, sondern geht auch mal in die Mitte und der Flügelspieler geht dann auf die Schiene", so Boris.
Diese Rolle spielen die Fans
Nach der Pleite gegen die Schweiz schworen sich Mannschaft und Fans in der Kurve auf das Duell mit Deutschland ein. Arm in Arm standen die Spieler vor dem Block, klopften sich voller Pathos aufs Herz. Die Anhänger konterten mit tosendem und aufmunterndem Applaus.
Der Faktor Fans sei "sehr groß", betont Boris, "die sind begeistert und auch stolz darauf, bei der EM dabei zu sein". Doch das kann angesichts der Ergebnisse auch eine Belastung sein: "Sie haben ein Paket zu tragen, weil das ganze Land mitfiebert, aber auch enttäuscht war nach der Niederlage."
EM 2024: Wer Geburtstag hat spielt? Nagelsmann verrät Insider
Dass die Ungarn den Deutschen ein Auswärtsspiel bescheren, wie Torhüter Peter Gulacsi vollmundig ankündigte, glaubt Boris dann aber auch nicht. "Das wird laut von deutscher Seite aus. Aber die Ungarn werden Vollgas geben, weil sie auch wissen, dass mindestens ein Punkt her muss."
Auf wen muss Deutschland achten?
Die Ungarn haben mehr Qualität im Kader als Schottland, einige Schlüsselspieler kennt man aus der Bundesliga. Der Ex-Leipziger Szoboszlai ist der Leader, der Superstar, "aber er macht die ungarische Mannschaft nicht alleine aus", sagt Boris. So ist Varga "beweglich, ein guter Stürmer, schnell und er weiß, wo das Tor steht. Mit dem Freiburger Sallai sind sie offensiv richtig gut besetzt".
In der Schaltzentrale macht Adam Nagy die Holding Six, agiert dort zusammen mit Andras Schäfer von Union Berlin. In der Innenverteidigung ist Leipzigs Willi Orban Führungsspieler. Im Tor steht in Orbans Teamkollegen Gulacsi ebenfalls ein aus der Bundesliga bekannter Spieler.
EM 2024: Mittelstädt über möglichen VfB-Ausverkauf
Freiburgs Attila Szalai und Herthas Marton Dardai komplettieren das Sextett aus den deutschen Ligen. Definitiv kein Nachteil, dass ein nicht unerheblicher Teil des Kaders und der Stammelf den deutschen Fußball kennt.
Wie kann man die Ungarn knacken?
Im Grunde so, wie die Schweizer es getan haben. Zum einen hatte Nati-Coach Murat Yakin seinen Gegenüber Rossi mit einem personellen und taktischen Kniff überrascht und auf dem falschen Fuß erwischt, zum anderen nutzten die Schweizer die Passivität des Gegners und die Lücken effektiv aus.
"Die Ungarn sind normalerweise aggressiv, auch wenn sie nicht richtig hoch anlaufen. Es ist schwer, durch die Mitte zu spielen", so Boris. "Aber du kannst sie knacken, wenn du über die erste Linie bzw. durchs Mittelfeld durchspielst und dann mit dem Gesicht zum Tor die Chancen suchst."
EM 2024: Keine "Allianz Arena" oder "Signal Iduna Park" - UEFA benennt Stadien um
Indem die spielerisch starke deutsche Offensive Lücken findet und diese clever bespielt. "Und wenn du das auch noch schnell spielst, werden die Ungarn auf jeden Fall Probleme bekommen", führte Boris aus.
Und das DFB-Team die Chance auf den vorzeitigen Achtelfinal-Einzug.