Julian Nagelsmann
Julian Nagelsmann: Neue Gelassenheit, mysteriöse Methoden und keine Bayern-Fehler mehr
- Aktualisiert: 22.09.2023
- 19:59 Uhr
- Andreas Reiners
Julian Nagelsmann soll den deutschen Fußball neun Monate vor der EM im eigenen Land retten. Sein erster Auftritt ließ bereits einige Rückschlüsse zu. ran beantwortet die wichtigsten Fragen.
Von Andreas Reiners und Martin Volkmar
Rudi Völler war komplett irritiert. Long-was?
Longboard - tatsächlich wurde Julian Nagelsmann bei seiner ersten Pressekonferenz als Bundestrainer gefragt, ob er damit zum Training komme.
Der 36-Jährige lächelte und versprach dem DFB-Sportdirektor, ihm die Hintergründe später zu erklären. Und meinte, er werde nicht mit dem Longboard kommen, "das ist ausgeschlossen".
Ganz so witzig, wie sich das anhört, ist es gar nicht, denn solche Auftritte flogen Nagelsmann in der Vergangenheit auch schon mal um die Ohren.
Doch der 36-Jährige ist ein Bauchmensch, der sich gerne von seinen Emotionen leiten lässt. Da kaufe man zwar schon mal eine falsche Hose, scherzte er. Doch Nagelsmann musste gar nicht groß davon überzeugt werden, das aktuell wichtigste Traineramt in Deutschland zu übernehmen.
Der Ex-Bayern-Trainer soll den deutschen Fußball neun Monate vor der EM im eigenen Land retten. Sein erster Auftritt ließ bereits einige Rückschlüsse zu. ran beantwortet die wichtigsten Fragen.
Das Wichtigste in Kürze
Julian Nagelsmann: Welchen Eindruck hat er gemacht?
Einen sehr entspannten, gelassenen, aufgeräumten, vor allem erholten. Was nach "ein paar Urlauben", die er gemacht hat, auch nicht verwundert.
Dabei hat er die Zeit auch genutzt, um zu reflektieren, um die Bayern-Zeit aufzuarbeiten und Fehler zu analysieren. Um es in Zukunft besser zu machen. Fehlende Gelassenheit war zum Beispiel einer der Defzite zu Münchner Zeiten.
Gleichzeitig wirkt er motiviert, was die neue Aufgabe angeht, für ihn sei es "ein großes Privileg, ein extremer Anreiz und eine große Herausforderung. Wir gehen es an mit viel Enthusiasmus, großer Vorfreude und dem nötigen Verantwortungsgefühl".
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Neuer-Zukunft: Nagelsmann äußert sich vielsagend
Nagelsmann ist bereit, und mit einer konkreten Idee ausgestattet. Insgesamt ein überzeugender Auftritt, was angesichts der Atmosphäre des allgemeinen Aufatmens und Aufbruchs beim Verband noch ohne sportlichen Druck auch nicht schwierig war. Wie der neue Nagelsmann aussieht, wenn er mit der Erwartungshaltung im Gepäck in die EM-Mission startet, wird sich zeigen.
Julian Nagelsmann: Wie wurde das "Geld-Problem" gelöst?
Die Verantwortlichen beim finanziell angeschlagenen DFB wussten, bei wem sie sich zu bedanken hatten. "Julian selbst und sein Management sind uns unglaublich entgegengekommen, das war so in der Form nicht zu erwarten", sagte Völler: "Auch ein Lob für Bayern München, die haben wunderbar mitgespielt und sind uns und Julian entgegengekommen."
Auf der einen Seite verzichtete Nagelsmann auf Geld, er soll beim DFB 400.000 Euro im Monat bekommen. Beim FC Bayern sollen es rund sieben Millionen pro Jahr gewesen sein, bei einem ursprünglich noch bis 2026 laufenden Vertrag. Der Rekordmeister verzichtete auf eine Ablöse und zahlte Nagelsmann laut "Bild" sogar noch eine Abfindung von 1,5 Millionen Euro.
Im Gegenzug wird es wohl endlich zum schon beim Wechsel von Hansi Flick zum DFB vereinbarte Abschiedsspiel der Nationalelf gegen den Rekordmeister kommen.
Julian Nagelsmann: Warum hat er nur einen Vertrag bis 2024?
Die kurze Vertragsdauer von nur rund neun Monaten hat zwei Gründe. Zum einen steht die EM 2024 im Fokus, diesem Ziel wird alles untergeordnet. Außerdem will der neue Chefcoach durch seine Arbeit überzeugen, "gegenseitiges Vertrauen" wecken, wie er sagte.
Er hat durch seine Zeit bei den Bayern auf die harte Tour gelernt, dass selbst hochdotierte und langfristige Verträge in dem schnelllebigen Business am Ende nicht einmal das Papier wert sein müssen, auf dem sie gedruckt sind.
Engagement über die EM hinaus? Nagelsmann schließt nichts aus
"Aber wenn wir im Sommer dasitzen und sagen: 'Das ist sehr erfolgreich', dann ist von meiner Seite nichts ausgeschlossen", stellte er gleichzeitig klar. Für beide Seiten die wohl beste Lösung.
Auch bei der WM 2026 in den USA, Kanada und Mexiko könnte der Bundestrainer also Nagelsmann heißen.
Julian Nagelsmann: Wie will er den Erfolg zurückbringen?
Nagelsmann gab ein paar Details preis, ließ sich aber nicht komplett in die Karten schauen. Klar ist: Er weiß, was er vorhat. Zum einen geht es natürlich um Emotionen, darum, die Fans zurückzugewinnen. "Wir wollen die Nation auf dem Weg begeistern, aber gerade bei der EM“, betonte er.
Nicht neu ist, dass sich viele Sachen gegenseitig bedingen. Zunächst muss er bei der Mannschaft ansetzen, beim oft fehlenden Spirit, dem Teamgeist. Um einen guten Geist zu entwickeln, sei Selbstvertrauen wichtig, weiß Nagelsmann.
"Es braucht dafür aber auch eine gute Spielidee. Die Idee soll nicht komplex, aber attraktiv sein. Es ist wichtig, dass die Mannschaft etwas hat, woran man sich greifen kann."
Daneben brauche man "eine gute, gesunde Aggressivität in Richtung gegnerisches Tor. Es muss dem Gegner wehtun, gegen uns zu spielen".
Generell habe man eine Struktur entwickelt, wie man das schaffen wolle. "Einfachheit ist da ein wichtiger Punkt. Wir müssen aber auch die Fähigkeit haben, zu adaptieren, wenn es notwendig ist", so Nagelsmann.
"Brauchen Aggressivität": Nagelsmann erklärt seinen EM-Plan
Und: Ein bewährtes Mittel aus seiner Anfangszeit im Abstiegskampf mit Hoffenheim 2016 soll helfen, die DFB-Auswahl weiter aus der Krise zu befördern. Eine mysteriöse Methode, denn auch hier verriet er keine Details:
"Damals haben wir eine Herangehensweise gewählt, die nicht typisch für den Abstiegskampf war. Nun wollen wir eine Herangehensweise wählen, die für eine Krise untypisch ist. Wir haben eine Vorstellung, wie wir neues Vertrauen wecken können."
Darauf wird es ankommen. Denn mit neuem Vertrauen und einem speziellen Teamgeist kommen Siege und mit ihnen die Stimmung, das Selbstvertrauen wird weiter gestärkt - und so erwischt man vielleicht rechtzeitig zum Turnier einen Lauf.
Julian Nagelsmann: Wie lautet sein Ziel für die EM und wo sieht er die Mannschaft aktuell?
Ein Lauf ist nötig, um das Ziel bei der EM zu erreichen, das Nagelsmann auf ran-Nachfrage festlegte. "Es ist immer so, wenn man an einem Spiel oder einem Turnier teilnimmt, dass man es auch gewinnen will. Das ist ja selbstredend", sagte er.
Und er erinnerte an 2006, als das DFB-Team in einer ähnlichen Situation steckte und dann das Sommermärchen hinlegte: "Sommermärchen 2.0 ist die Idealvorstellung", so Nagelsmann, der noch nichts dazu sagen wollte, wo er die Mannschaft aktuell sieht, ob nun in der (erweiterten) Weltspitze oder eher wie einige Nationalspieler nach der 1:4-Pleite gegen Japan im tristen Mittelmaß.
"Es ist sinnvoller, nach den Spielen in den USA über den Stand der Mannschaft zu sprechen. Dort will ich mir ein eigenes Bild machen."
Julian Nagelsmann: Wie sieht sein Trainerteam aus?
Sandro Wagner und Benjamin Glück arbeiten als Assistenten an seiner Seite. "Sandro Wagner kenne ich schon lange, er ist ein extrem intelligenter Mann und hat bereits in der Kürze der Zeit als Co-Trainer einen sehr guten Job gemacht. Wie es bei Sandro typisch ist, wurde mein Telefon sehr warm, weil er direkt gebrannt hat", so Nagelsmann über seinen ehemaligen Stürmer.
Mit Glück arbeitet er seit mehreren Jahren zusammen, zuletzt auch beim FC Bayern. Nagelsmann "Der weiß, wie ich ticke. Es ist sehr wertvoll, einen engen Vertrauten zu haben."
Nagelsmann gibt klares Ziel für Heim-EM aus: "Wollen gewinnen"
Nagelsmann sieht aber auch Völler als Teil des Trainerteams: "Wir werden einen sehr engen Austausch haben, denn ich will seine Erfahrung mitnehmen."
Julian Nagelsmann: Gibt es schon erste Personal-Entscheidungen?
Ja, die gibt es. Ilkay Gündogan bleibt Kapitän, Nagelsmann ist von dem Mittelfeldmann "als Mensch und als Spieler extrem überzeugt. Ich finde die Entscheidung gut".
Bei einer zweiten Personalie ließ er zumindest durchblicken, dass derjenige keinen Freibrief hat. Denn bei Manuel Neuer sei das Allerwichtigste, "dass er gesund wird. Wenn der Fall eintritt, dann werden wir das bewerten".
Parallel lobt er den "Zugriff auf Weltklassetorhüter", den er in Deutschland habe. Klingt eher nach potenziellem Abschied als nach Rückkehr.
Julian Nagelsmann: Wie blickt er auf seine Bayern-Zeit zurück?
Groß sprechen wollte er über das Ende bei den Bayern nicht mehr, dass er zugab, dass Trennungen nicht schön seien, versteht sich von selbst. Er habe allerdings nicht nur Urlaub gemacht, sondern versucht, sich als Trainer weiterzuentwickeln.
"Ich habe die Zeit genutzt, um die Zeit bei den Bayern zu reflektieren. Ich bin froh, dass ich die Chance habe, die Fehler, die ich bei Bayern gemacht habe, nun nicht mehr zu machen", sagte er.
Die Anreise zum Training hat er ja schon umgestellt.