Nations League
DFB-Team - Oranje-Legende Ronald de Boer: "Wenn man gegen Deutschland gewinnt, geht das um die Welt"
- Aktualisiert: 14.10.2024
- 15:52 Uhr
- Philipp Kessler
Oranje-Legende Ronald de Boer outet sich vor dem Nations-League-Spiel zwischen Deutschland und der Niederlande als Fan zweier DFB-Stars. Bondscoach Ronald Koeman und auch Bundestrainer Julian Nagelsmann sieht er kritisch.
Das Interview führte Philipp Kessler
Zeit für einen Länderspiel-Klassiker.
Am Montag (ab 20.45 Uhr im Liveticker) empfängt Deutschland in der Nations League die Niederlande in München.
Beim letzten Aufeinandertreffen im September trennten sich beide Nationalmannschaften mit einem 2:2. Auch dieses Mal winkt ein Duell auf Augenhöhe, wie Oranje-Legende Ronald de Boer im exklusiven Interview mit ran erklärt.
Der frühere Angreifer spricht darüber, auf welche Holland-Stars die verletzungsgeplagte DFB-Auswahl besonderes Augenmerk legen sollte, gleichzeitig schwärmt er von Florian Wirtz und Jamal Musiala, der dieses Mal aber aufgrund einer Hüftprellung pausieren muss.
Außerdem verrät der 54-jährige de Boer, wie es war, Seite an Seite mit seinem Zwillingsbruder Frank bei Ajax Amsterdam, dem FC Barcelona sowie der Nationalmannschaft um Pokale zu kämpfen und wie sein Leben mittlerweile aussieht.
Das Wichtigste in Kürze
ran: Herr de Boer, welche Partie erwarten Sie am Montagabend?
Ronald De Boer: Ich erwarte ein ausgeglichenes Spiel. Deutschland ist eventuell ein bisschen voraus. Aber die Niederlande befindet sich in einer Umbruchphase, in der junge Spieler Zeichen setzen. Ich denke dabei an die Timber-Zwillinge, Brian Brobbey, Jerdy Schouten, Micky van de Ven oder auch Bart Verbruggen im Tor. Eine neue Generation wächst heran, aus meiner Sicht eine sehr talentierte. Die Dynamik und die Energie in der Gruppe ist sehr positiv.
ran: Bei der Europameisterschaft im Sommer erreichte die niederländische Nationalmannschaft das Halbfinale, obwohl sie spielerisch nicht überzeugen konnte.
De Boer: Stimmt. Der Fußball könnte nach wie vor viel besser sein, obwohl sie auch das EM-Finale damit hätten erreichen können. Aber das Schöne ist, dass das Team eine neue Gruppe mit Spezialwaffen ist. Wir haben gute Verteidiger, die auch Stärken bei Standards haben. Wir haben ein Mittelfeld, das Ballkontrolle hat, aber auch tolle Pässe in die Spitze spielen kann. Wir haben Einzelkönner mit Cody Gakpo, den Timber-Brüdern, Xavi Simons, Denzel Dumfries, Micky van de Ven, Tijjani Reijnders oder Jeremie Frimpong. Jeder kann mit seinen eigenen Qualitäten in verschiedenen Spielen den Unterschied machen. Wir sind nicht mehr so grau, sondern farbenfroh. Und das ist toll.
ran: Und was denken Sie über Ex-Bayern-Spieler Ryan Gravenberch?
De Boer: Unter Arne Slot, der ihm vertraut, hat er einen gewaltigen Schritt nach vorne gemacht. Er spielt wieder mit Selbstvertrauen und reift als Spieler. Ich genieße es wirklich, ihm bei Liverpool zuzuschauen.
Niederlande: "Stürmer-Position ein Fragezeichen"
ran: Ein richtiger Weltklassestürmer fehlt den Niederlanden allerdings derzeit, oder?
De Boer: Ich hatte erst kürzlich darüber eine Diskussion. Diese Position ist immer noch ein Fragezeichen. Wir haben keinen Ruud van Nistelrooy, Patrick Kluivert oder Marco van Basten mehr. Aber vielleicht haben wir mit Brobbey unser Puzzlestück als Nummer neun schon im Team. Er hat zuletzt gegen Deutschland sehr gut gespielt. Mit Reijnders hinter ihm und Gakpo auf der Seite kann er seine Qualitäten unter Beweis stellen. Eventuell ist Brobbey die Nummer neun für unsere Mannschaft.
ran: Deutschland hat auf der Neun ebenfalls keinen Superstar.
De Boer: Bei Arsenal hat Trainer Mikel Arteta für Kai Havertz eine super Lösung gefunden. Gemeinsam mit Leandro Trossard, der auch kein klarer Mittelstürmer ist, wechselt er oft die Positionen, beide agieren als falsche Neun. Normalerweise ist Niclas Füllkrug der Mittelstürmer von Deutschland. Aber wie Havertz fehlt er dieses Mal. Vielleicht könnte Serge Gnabry die beiden ganz vorne ersetzen.
Deutschland - Holland: Nations League heute hier im kostenlosen Livestream sehen
Externer Inhalt
De Boer schwärmt von Wirtz und Musiala
ran: Welcher DFB-Spieler gefällt Ihnen am besten?
De Boer: Wirtz natürlich. In meinen Augen ist er eines der größten Talente des deutschen Fußballs aktuell. Und ich liebe Musiala. Leider fehlt er dieses Mal. Die beiden sind die Unterschiedsspieler der deutschen Nationalmannschaft. Aber generell gefällt mir das DFB-Team. Sie spielen schönen Fußball.
ran: Ter Stegen, Raum, Musiala, Havertz, Füllkrug - Deutschland fehlt quasi die halbe Startelf. Ein Vorteil für Holland?
De Boer: Wir haben auch unsere Themen. Schouten fehlt verletzt, auf der Linksverteidigerposition haben wir Probleme. Bei Deutschland fehlen wichtige Stützen. Es gibt also eine Chance, Deutschland zu besiegen.
ran: Als Bondscoach steht Ronald Koeman regelmäßig in der Kritik. Welche Meinung haben Sie über ihn?
De Boer: Er ist eine nette Person. Er kann mit großen Spielern gut umgehen. Er hat seine eigene Meinung, das gefällt mir. Wobei ich ihm nicht immer zustimme.
ran: Für Unruhe hat Koeman Anfang September gesorgt, als er gesagt hat, er werde Steven Bergwijn nach dessen Wechsel von Ajax zu Al-Ittihad in Saudi-Arabien nicht mehr für die Nationalmannschaft nominieren. Konnten Sie diese Entscheidung nachvollziehen?
Kuriositäten im Fußball: Ralf Rangnick fährt bei WM-Quali mit Fahrrad über den Platz
De Boer: Ich habe Bergwijn bei Ajax gesehen. Aus meiner Sicht hatte er nicht mehr das Feuer in seinen Augen. Er hat nicht gut performt. Es ist gut, dass er nun eine neue Umgebung und Herausforderung angenommen hat, aus finanzieller Sicht war der Wechsel nach Saudi-Arabien für ihn natürlich unfassbar. Koeman hat mit seiner Aussage vielleicht ein bisschen voreilig reagiert. Cristiano Ronaldo beispielsweise spielt noch immer in der portugiesischen Nationalmannschaft, auch Ngolo Kante bei Frankreich und Aymeric Laporte bei Spanien. Ich bin der Meinung: Wenn die anderen Spieler besser sind, dann nominiere ihn nicht. Wenn er aber in Saudi-Arabien gute Leistungen zeigt und auf seiner Position kein besserer zur Verfügung steht, dann nominiere ihn.
De Boer kann Nagelsmann nicht einschätzen
ran: Was halten Sie vom deutschen Bundestrainer Julian Nagelsmann?
De Boer: Ich kann nicht final sagen, ob er ein guter oder kein guter Trainer ist. Dafür bin ich nicht nah genug dran. Aber aus meiner Sicht von außen ist er gut. Er ist ein moderner Coach, der viel von seinen Spielern fordert und einer, der auch eine taktische Idee hat. Ich schätze ihn recht hoch ein. Aber wie gesagt, ich habe ihn noch nicht aus der Nähe beobachtet. Wenn Sie mich nach Arne Slot fragen, dann sage ich, er ist ein super Trainer, der auch seine Spieler besser macht. Ich verfolge ihn genauer.
ran: Deutschland gegen die Niederlande waren immer aufregende Partien. Welche Erinnerungen haben Sie aus Ihrer Profi-Zeit daran?
De Boer: Ich hatte nur ein Freundschaftsspiel gegen sie, im Februar 2000 haben wir mit 2:1 gewonnen. Aber die Partien gegen Deutschland waren immer sehr intensiv und prestigeträchtig. Ich habe viele Erinnerungen daran, die Niederlage im WM-Finale 1974 schmerzt noch immer. Aber die aktuellen Duelle zwischen den beiden Ländern sind nicht mehr so hektisch und hitzig wie früher. Deutschland zählt noch immer zu den stärksten Fußballnationen der Welt. Wenn man gegen Deutschland gewinnt, geht das um die Welt. Gegen sie merkt man, wo man als Nationalmannschaft steht.
De Boer über Zwillingsbruder: "Ich war immer stolz"
ran: Sie haben vorhin die Brüder Timber, Jurrien und Quinten, angesprochen. Sie und Ihr Zwillingsbruder Frank de Boer haben jahrelang gemeinsam für die Nationalmannschaft und auch im Verein Seite an Seite gespielt. Was war das für ein Gefühl?
De Boer: Das war besonders. Meinem Vater geht es nicht mehr so gut. Er wird 84 Jahre alt. Er hatte einen Herzinfarkt und ist ein bisschen langsamer geworden. Vor wenigen Tagen habe ich ihn gefragt, was die drei glücklichsten Momente seines Lebens waren. Er hat geantwortet: "Auf Platz eins ist der Moment, als dein Zwillingsbruder Frank und du 1995 den Champions-League-Pokal in die Höhe gestemmt habt.” Man kann sich vorstellen, was das für Eltern bedeutet. Oder auch der Moment, als ich mit Frank im WM-Halbfinale 1998 gespielt habe. So etwas mit seinem Zwillingsbruder zu erleben, ist einzigartig.
ran: Gab es Eifersüchteleien zwischen Ihnen und Ihrem Bruder?
De Boer: Nein, nie. Ich habe zwar früher mein Ajax-Debüt gegeben. Aber Frank war früher fester Bestandteil der Startelf. Ich war immer stolz und auch nervös, wenn er gespielt hat. Ich habe immer gehofft, dass er gute Leistungen zeigt.
ran: Sie haben in Europa für Ajax Amsterdam, den FC Barcelona und die Glasgow Rangers gespielt und Titel gewonnen. Hatten Sie mal die Chance, nach Deutschland zu wechseln?
De Boer: Nein, nie. Aber ich hatte mal die Möglichkeit, zu Arsenal oder Manchester United zu wechseln.
ran: Inzwischen sind Sie im Nachwuchs von Ajax Amsterdam tätig und geben Ihre Erfahrungen weiter.
De Boer: Ich bin jetzt Spezialtrainer der U15, U16, U17, U19 und der zweiten Mannschaft von Ajax. Ich wurde kürzlich gefragt, ob ich auch die Frauenmannschaft betreuen könnte. Ich kümmere mich dreimal pro Woche um die Stürmer im Verein.
ran: Wächst ein neuer Super-Neuner heran?
De Boer: Es gibt einen, der ist ähnlich wie Kluivert. Ich sage immer zu den Jungs: "Hört her, wenn es einfach wäre, Fußballprofi zu werden, wäre es jeder. Aber es schaffen nur ganz wenige." Selbst von denjenigen, die ganz viel Talent haben, schaffen es nur ein bis zwei. In der U16 gibt es einen Jungen, der ist unglaublich. Wenn er in zwei Jahren nicht in der ersten Mannschaft ist, kann ich es nicht nachvollziehen. Aber das heißt nichts, wir müssen abwarten. Ich hoffe, sie haben die richtige Mentalität.
Bundesliga-Transfergerüchte: FC Brentford wohl an BVB-Talent Almugera Kabar interessiert
Kritik an Mislintat: Falsche Entscheidungen bei Ajax
ran: Es heißt oft, die heutige Jugend lasse sich nicht mehr so viel sagen. Stimmen Sie zu?
De Boer: Alles ist gut organisiert. Die Jugend hat sich ein wenig verändert, aber auch die Welt ist anders als früher. Die Mentalität hat sich verändert, und damit muss man klarkommen. Sie alle sind gute Jungs. Man muss aber auch schon früh in den Spiegel schauen und sich fragen: "Habe ich alles getan, was ich konnte?" Das ist manchmal ein Problem.
ran: Ajax Amsterdam hatte vor etwas über einem Jahr große Probleme. Derzeit ist die Mannschaft in der Liga auf Platz fünf. Wie ist die aktuelle Lage im Klub?
De Boer: Es weht ein frischer Wind. Es gibt neue Energie und neue Menschen in der Verantwortung. Das, was bei Ajax momentan passiert, ist ziemlich positiv. Zwar sind wir noch nicht da, wo wir sein wollen. Aber wenn wir so weitermachen, werden wir zurückkommen. Wir müssen viele Entscheidungen aus der Vergangenheit korrigieren.
ran: Worauf spielen Sie an?
De Boer: Die Absichten von Sven Mislintat waren nicht falsch, aber er hat die falschen Veränderungen vorgenommen. Wenn man zwölf neue Spieler holt und alle mit einem Fünfjahresvertrag ausstattet, aber mit Josip Sutalo nur einen, der davor schon nachweislich seine Qualitäten gezeigt hat, ist das nicht gut. Bei den anderen elf Spielern war unklar, ob sie ins Team passen, ob sie mit dem Druck umgehen können und ob die Taktik überhaupt zu ihnen passt. Er ist ein unglaubliches Risiko eingegangen. Stattdessen hätte Mislintat vier starke Spieler holen sollen, die gerne auch Geld kosten können. Aber er hat elf Mal gepokert. Das war der große Fehler.
ran: Ein anderer Ex-Klub von Ihnen blüht momentan auf: Unter dem neuen Trainer Hansi Flick spielt der FC Barcelona wieder stark.
De Boer: Sie machen es sehr gut. Finanzielle Probleme können dazu führen, dass ein Verein auf junge Spieler setzt. Und sie haben ziemlich gute Youngsters. In Kombination mit den paar gestandenen Profis wie Robert Lewandowski funktioniert das Team aktuell sehr gut. Jeder ist ziemlich froh darüber, was Hansi gemacht hat.
ran: Wie sieht Ihr aktuelles Leben aus?
De Boer: Wie gesagt, drei Mal pro Woche trainiere ich die Stürmer bei Ajax. Zudem analysiere ich Spiele aus den Topligen bei Ziggo Sport. Mir gehören sieben Padel-Tennis-Hallen, in zwei Jahren haben wir hoffentlich 15 davon. Ich bin außerdem Eigentümer der schönsten Skybox der Amsterdam Arena und vermutlich auch in ganz Europa. Zudem bin ich Vater von sechs Kindern, fünf Mädels und ein Junge. Ich bin also ziemlich beschäftigt. (lacht)