Champions League Finale
Borussia Dortmund gegen Real Madrid: Sechs Gründe für das BVB-Wunder
- Veröffentlicht: 31.05.2024
- 23:16 Uhr
- Martin Volkmar
Für die meisten Betrachter geht Borussia Dortmund wohl als Außenseiter ins Champions League Finale gegen Real Madrid. Spricht in Wembley nichts für den BVB? Mit Nichten. ran zeigt, warum der Borussia die Überraschung gelingen kann.
Aus London berichtet Martin Volkmar
Als Real Madrid sein letztes Europapokal-Finale verlor, war Edin Terzic noch ein sieben Monate alter Säugling.
Am 11. Mai 1983, also vor etwas mehr als 41 Jahren, unterlag der haushohe Favorit im Europacup der Pokalsieger 1:2 nach Verlängerung gegen den FC Aberdeen.
Ein Außenseitersieg, der sich nach Terzics Meinung ruhig am Samstag im Londoner Wembley-Stadion wiederholen darf.
"Ein Finale spielt man nicht, ein Finale gewinnt man. Und deshalb sind wir hier. Das ist unser Ziel", sagte der Cheftrainer von Borussia Dortmund auf der Abschluss-Pressekonferenz vor dem Endspiel der Champions League (ab 21 Uhr im Liveticker auf ran.de).
Auch wenn man auf den ersten Blick kaum Gründe findet, warum Reals Siegeszug in der Königsklasse ausgerechnet im Finale gegen den Underdog aus Dortmund enden sollte.
Neben der Erfolgsserie sprechen die Kaderqualität, die Erfahrung auf allerhöchstem Niveau und die Siegermentalität des Teams von Trainerfuchs Carlo Ancelotti eine eindeutige Sprache, die dem BVB nur wenig Hoffnung machen.
Das Wichtigste in Kürze
BVB-Coach Terzic: "In einem Spiel ist alles möglich"
"Es ist klar, dass wir nicht Favorit sind. Aber das ist uns egal", meinte Terzic. "Es liegt an uns. Wenn wir mutig sind, haben wir diese Chance. In einem Spiel ist alles möglich."
Doch wie könnte es mit einem Überraschungserfolg des Bundesliga-Fünften überhaupt klappen?
ran nennt sechs Gründe, die für den BVB sprechen.
1. Statistik: Auch Real kann verlieren
Die Siegesserie in der Champions League, in der Real seit 1998 alle acht Endspiele gewonnen hat, ist zweifellos beeindruckend.
Davor allerdings kassierten die "Königlichen" auch immer wieder schmerzhafte Niederlagen, etwa 1981 im Landesmeister-Finale gegen den FC Liverpool (0:1).
"Was zählt, wenn es um die besten Mannschaften geht, ist die Champions League", erinnerte sich Ex-Nationalspieler Uli Stielike, damals bei Real Stammspieler: "Für mich wäre das ein wichtiger Erfolg gewesen, denn in der öffentlichen Meinung interessiert sich niemand für die zweitplatzierte Mannschaft."
Doch man muss gar nicht so weit zurückgehen, um weitere Finalpleiten der Madrilenen zu finden.
So unterlag das Team 2019 gleich zweimal gegen Atletico Madrid, sowohl im Endspiel der Copa del Rey als auch im UEFA Supercup.
2. Real besiegen? Blaupause Atletico Madrid
Überhaupt könnte Lokalrivale Atletico den Dortmundern als eine Art Blaupause dienen, wie man Real besiegt.
Denn die "Colchoneros" fügten Real die einzigen beiden Niederlagen in dieser Saison bei – und die Dortmunder haben Atletico bekanntlich im Viertelfinale aus der Champions League geworfen (1:2, 4:2).
Der langjährige Atletico-Experte Ruben Uria, der unter anderem mehrere Bücher über den Verein geschrieben hat, nennt bei ran aus der Erfahrung der beiden jüngsten Atletico-Erfolge die Schlüsselfaktoren, wie der BVB Real bezwingen kann:
Viel mit weiten Flanken an den zweiten Pfosten operieren, zumal zumindest Nacho mit 1,80 Meter für einen Innenverteidiger nicht der Größte ist.
Möglichst viele 2 gegen 1-Situation auf der linken Flanke von Real Madrid provozieren, wo Ferland Mendy oft defensiv alleingelassen wird.
Bei Real-Angriffen das Zentrum so gut wie möglich dichtmachen, idealerweise mit neun Mann gegen den Ball stehen, eventuell sogar wie Atletico mit einer Fünferkette.
Zumindest für die Schlussphase ist das sicher eine Option, gegen PSG stellte Terzic Mats Hummels und Nico Schlotterbeck am Ende mit Erfolg Niklas Süle an die Seite.
Und schließlich Fouls in Strafraumnähe vermeiden, weil Real dort mit seinen hochkarätigen Standardschützen wie Vinicius Junior, Toni Kroos oder Luka Modric brandgefährlich ist.
3. Real liegt dem BVB
Der BVB hat zwar keine besonders erfolgreiche Bilanz gegen Real – drei Siegen stehen sechs Niederlagen bei fünf Unentschieden entgegen.
Doch gerade in den wichtigen Begegnungen hatten die Dortmunder mehr als einmal die Nase vorn. In Erinnerung geblieben ist dabei vor allem das magische 4:1 im Halbfinale 2012/13, als Robert Lewandowski dem damals von Jose Mourinho trainierten Favoriten gleich vier Treffer einschenkte.
Zwar wurde es im Rückspiel beim 0:2 nochmal eng, aber am Ende gelang der Sprung ins Finale gegen Bayern München (1:2). Und: Die Dortmunder waren schon in der Vorrunde gegen Real ungeschlagen geblieben (2:1, 2:2).
Im Jahr danach schieden die Borussen dann nach einem 0:3 im Estadio Bernabeu zwar aus, hätten die Madrilenen aber nach zwei Treffern des überragenden Marco Reus im Rückspiel im eigenen Stadion fast noch rausgeschmissen.
Und in der Saison 2016/17 zeigten die Schwarzgelben in der Vorrunde, dass auch ein 0:2-Rückstand gegen die erfolgsverwöhnten Spanier keine Niederlage bedeuten muss. Denn sowohl im Hin- als auch im Rückspiel stand es am Ende 2:2, der BVB wurde vor Real sogar Gruppensieger.
4. Auch der BVB kann Endspiele
Sein zuvor einziges Champions-League-Finale gegen eine ausländische Mannschaft hat der BVB bekanntlich gewonnen, 3:1 gegen Juventus Turin 1997. Und auch 1966 siegten Lothar Emmerich und Co. im Europacup der Pokalsieger gegen den Favoriten FC Liverpool (2:1).
"Der BVB hat in seiner DNA, dass wir gegen besonders starke Gegner in der Regel auch Herausragendes leisten - speziell international", sagt BVB-Boss Hans-Joachim Watzke daher.
Zudem haben die Dortmunder ihre letzten beiden Endspiele gewonnen: Die DFB-Pokalfinals 1997 und 2021. Trainer beim jüngsten Triumph: Edin Terzic.
Zudem steht zumindest ein Profi im Dortmunder Kader, der bereits den "Henkelpott" geholt hat: Süle wurde 2020 im Endspiel gegen Paris St. Germain bei Bayern München eingewechselt und half dabei, den Vorsprung über die Zeit zu bringen.
Vielleicht sogar ein gutes Omen, dass Süle am Samstag erneut als "Joker" zunächst auf der Bank Platz nehmen wird.
5. Der BVB hat nichts zu verlieren
Klarer als diesmal waren die Rollen lange nicht mehr in einem Champions-League-Finale verteilt.
Vielleicht zuletzt 2012 in München beim "Finale Dahoam" zu Gunsten des FC Bayern - am Ende gewann aber bekanntlich der krasse Außenseiter FC Chelsea.
Die Dortmunder können jedenfalls befreit aufspielen, denn alles andere als ein Triumph des übermächtig scheinenden spanischen Rekordmeisters wäre mindestens eine Riesenüberraschung.
"Real ist klarer Favorit, aber wir fühlen uns mit dieser Situation eigentlich sehr wohl", erklärte Watzke: "Aus diesem Finale können wir nicht als Verlierer hervorgehen, sondern nur als der ganz, ganz große Gewinner."
Deshalb sei die aktuelle Situation auch nicht mit dem verlorenen "Endspiel" vor einem Jahr am letzten Bundesliga-Spieltag zu vergleichen, glaubt Schlotterbeck:
"In der vergangenen Saison hatten wir gegen Mainz etwas zu verlieren, jetzt haben wir etwas zu gewinnen. Diese Chance müssen wir ergreifen."
6. Defensiv-Bollwerk BVB gegen Topteams auf Augenhöhe
Zumal die Westfalen gerade in der Champions League mehrfach bewiesen haben, dass sie auch gegen absolute Topgegner wie zuletzt PSG auf Augenhöhe sind.
"Der Druck liegt eher auf Real Seite", sagt Sportdirektor Sebastian Kehl. "Und wir haben durchaus ein paar Waffen, die Madrid wehtun können."
Damit gemeint vor allem das Umschalten über die schnellen Flügelspieler aus einer stabilen Defensive.
International haben die Dortmunder in zwölf Spielen nur neun Gegentore kassiert hat (und davon vier allein in den zwei Partien gegen Atletico).
Sechsmal stand sogar die Null, kein Team war in der Champions League besser. "Wir sind das Team im Wettbewerb mit den meisten weißen Westen. So hat man immer Chancen, und wir können immer ein Tor schießen", glaubt Terzic.
Das selbstbewusste Fazit von Schlotterbeck: "Wir sollten keine Angst, keine Ehrfurcht haben."