Pleite gegen die Türkei
DFB-Team - Markus Babbel kritisiert Nationalmannschaft: "Wer das nicht macht, fliegt raus!"
- Aktualisiert: 22.11.2023
- 13:46 Uhr
- Tobias Hlusiak
Markus Babbel geht im exklusiven Gespräch mit ran hart mit der deutschen Nationalmannschaft ins Gericht. Spätestens die blamable 0:2-Niederlage in Österreich hat gezeigt, dass der Bundestrainer seinen Ansatz ändern muss, findet der Europameister von 1996.
Vom DFB-Team berichtet Tobias Hlusiak
Der nächste Tiefpunkt ist erreicht.
Nach einer desolaten Vorstellung in Wien verliert die deutsche Nationalmannschaft mit 0:2 gegen Österreich und schließt das Jahr 2023 mit einer desaströsen Bilanz von drei Siegen, zwei Remis und sechs Niederlagen ab.
Sieben Monate vor der EM im eigenen Land wirkt die Mannschaft dysfunktional und verunsichert. Daran hat auch der Bundestrainerwechsel von Hansi Flick zu Julian Nagelsmann nichts geändert.
Im Interview mit ran schätzt Markus Babbel die aktuelle Lage ein. Der Europameister von 1996 legt einen veränderten Ansatz nahe, weil er "ein tiefsitzendes mentales Problem" vermutet. Auch zur Zukunft von Nagelsmann äußert er sich.
ran: Herr Babbel, das Spiel der deutschen Nationalmannschaft in Österreich war ernüchternd. Wo sehen Sie das Team nach der letzten Partie im Jahr 2023?
Markus Babbel: Es ist mittlerweile dermaßen der Wurm drin, dass es schwierig wird, da wieder rauszukommen. Ich gebe Ilkay Gündogan recht. Schlimmer kann es nicht mehr werden! Man sollte das Jahr jetzt mal sacken lassen und in 2024 neu angreifen – und zwar mit den richtigen Fragestellungen: Was macht den Fußball im Grunde aus und wie können wir da wieder hinkommen?
Das Wichtigste in Kürze
ran: Wie könnte das gelingen?
Babbel: Rudi Völler hat vollkommen recht, wenn er mehr Bereitschaft und Einsatzwillen fordert. Unsere Mannschaft ist im Moment nicht bereit, alles auf dem Platz zu lassen. Es ist auffallend, dass sie sehr lethargisch spielen, ohne Körpereinsatz oder den Willen, auch mal jemandem wehzutun. Kein Esprit, keine Freude – alles wirkt sehr angestrengt. Man stellt keine Kompaktheit her, die den Gegner daran hindert, sich ständig Torchancen herauszuspielen. Die Jungs wollen alles geben, davon gehe ich aus. Aber das Spiel schaut derzeit einfach gruselig aus. Warum sind sie nicht in der Lage ans Maximum zu gehen? Da gilt es jetzt den Hebel anzusetzen.
ran: Wie konnte es so weit kommen?
Babbel: Da muss mental ein tiefersitzendes Problem vorliegen. Denn wenn man sich die Mannschaft anschaut, ist Qualität vorhanden. Die Österreicher sind in meinen Augen 'besserer Durchschnitt'. In ihren Vereinen sind die Einzelspieler wichtig, klar - aber eben keine Überflieger. Trotzdem schaffen sie es, durch ihre Geschlossenheit, der deutschen Mannschaft überhaupt keine Chance zu lassen.
ran: Wie könnte der angesprochene "Hebel" aussehen?
Babbel: Um das Problem zu lösen, ist es der falsche Ansatz, taktisch nur noch offensiv zu denken. Man muss zurück zu den Basics: Zweikämpfe gewinnen und eine hohe Laufbereitschaft zeigen, sich nicht zu schade sein, Räume für Mitspieler aufzureissen. Komischerweise war die Mannschaft nach der roten Karte für Sane besser drauf als zuvor. Das war der Moment, als sie den Extrameter gegangen sind. Da müssen wir dauerhaft wieder hin.
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ran: Bundestrainer Nagelsmann experimentiert viel herum, versucht das Problem von der taktischen Seite her kreativ zu lösen...
Babbel: Ich glaube, dass es in der derzeitigen Situation gefährlich ist, ständig neue Ideen zu haben und Dinge auszuprobieren. Vielmehr muss man der Mannschaft jetzt Sicherheit und ein Korsett geben, an das sie sich halten kann. Und wer das nicht macht, der fliegt halt raus und spielt nicht mehr! Das ist relativ simpel.
Ich finde die Idee mit Kai Havertz auf der linken Seite übrigens gar nicht blöd. Man braucht aber eine gefestigte Mannschaft, um das machen zu können. Wichtig ist, brutale Sicherheit in der Defensive zu haben. Wenn die gegeben ist, kann eine solche Maßnahme funktionieren. Kai bringt ja alles mit, um die Idee von Nagelsmann mit Leben zu füllen. Ich erinnere mich an Bernd Schneider - einen überragender Offensivkicker. In Leverkusen hat er mal rechter Verteidiger gespielt und das fantastisch gemacht. Er hat viele Bälle bekommen und von dort das Spiel kreativ bestimmt. Havertz könnte das auch.
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ran: Also ist der offensive Ansatz des Bundestrainers falsch?
Babbel: Es ist egal, ob man sich eine Vielzahl an Torchancen herausarbeitet. Es kommt darauf an, wieder geschlossen gegen den Ball zu arbeiten. Das ist übrigens auch einfacher zu trainieren. Wenn ich weiß, dass ich hinten nicht gut verteidigen kann, muss die ganze Mannschaft als Kollektiv defensiv ein anderes Gesicht zeigen. Stattdessen legen wir momentan noch zu sehr das Augenmerk auf die Offensive.
Trotzdem ist es ja jetzt auch nicht so, dass wir vorne alles in Grund und Boden schießen und uns jedes Mal zwei oder drei Gegentore erlauben können. Die - ohne Frage - tollen Offensivspieler bringen sowieso nichts, wenn hinten zu viel kassiert wird. So wird es einfach schwer, irgendetwas zu erreichen.
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ran: Muss Nagelsmann seine Herangehensweise ändern?
Babbel: Der Trainer muss jetzt mit einfachen, klaren Aufgaben die Sicherheit bei seinen Spielern zurückbringen. Die Überzeugung ist mittlerweile nämlich komplett flöten gegangen. Man hat nie das Gefühl, dass die deutsche Mannschaft wirklich glaubt, das Spiel gewinnen zu können. Im Gegenteil: Sie sind ängstlich und gehemmt und nicht in der Lage, ihre beste Leistung abzurufen. Das hat auch damit zu tun, dass die große Vergangenheit der Nationalmannschaft über der Mannschaft schwebt. Gleichzeitig merken die Spieler aber, dass seit 2018 alles in die völlig falsche Richtung läuft. Man ist im Moment nicht in der Lage, aus diesem Strudel herauszukommen.
ran: Können Sie sich vorstellen, dass Nagelsmanns Job noch vor der EM ernsthaft in Gefahr gerät?
Babbel: Das glaube ich nicht, nein.