Tennis
Wimbledon - Sorge um Alexander Zverev: Mentaltrainer gibt im Interview klare Empfehlungen für Rückkehr an die Spitze
- Aktualisiert: 02.07.2025
- 18:26 Uhr
- Chris Lugert
Alexander Zverev befindet sich aktuell nicht nur sportlich, sondern auch mental in einer schweren Krise. Ein Experte für Mentaltraining erklärt im Interview mit ran, worauf es jetzt ankommt.
Von Chris Lugert
Alexander Zverev erlebte in Wimbledon nicht nur erneut eine bittere sportliche Enttäuschung, sondern gab danach auch verbal Anlass zur Sorge. Der Hamburger sprach nach seiner Erstrundenniederlage gegen den Franzosen Arthur Rinderknech offen über mentale Probleme. Er habe sich noch nie so leer gefühlt und empfinde derzeit keine Freude.
Schon oft wurde dem 28-Jährigen auf dem Tennisplatz fehlende mentale Stärke nachgesagt, die sich nun offenbar tief im Inneren manifestiert hat. Wie kann Zverev aus dieser Situation herauskommen?
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ran sprach mit Michael Draksal, Präsident der Deutschen Mentaltrainer-Akademie. Der 51-Jährige arbeitete bereits mit dem viermaligen Formel-1-Weltmeister Sebastian Vettel zusammen und betreut auch verschiedene Bundesligaspieler. Im Interview erklärt Draksal, welche Probleme Zverev aktuell hat und welche Lösungsansätze es gibt.
ran: Herr Draksal, Alexander Zverev scheitert in Wimbledon in Runde eins und spricht danach offen über mentale Probleme. Wie schätzen Sie als Experte die Aussagen ein?
Michael Draksal: Aus mentaler Sicht interessiert uns immer: Wie ist die Baseline und gibt es sozusagen auffällige Abweichungen von der Baseline? Und da ist mir schon aufgefallen, dass zum Beispiel die Pausen nach einer Frage ein bisschen länger waren, dass er ein bisschen mehr nachgedacht hat. Nach Niederlagen ist natürlich Enttäuschung da, das ist klar. Aber ist die Enttäuschung größer als sonst? Das ist die entscheidende Frage, und da hatte ich schon vom Bauchgefühl her den Eindruck, dass es ihn mehr belastet.
Das Wichtigste in Kürze
ran: Viele Äußerungen klingen für einen Laien besorgniserregend. Es fehle ihm die Freude an allem, was er tut. Oder er habe sich noch nie so leer gefühlt. Sind das womöglich bereits Anzeichen einer tiefergehenden psychischen Erkrankung oder gar einer Depression?
Draksal: Das ist jetzt eine Ferndiagnose, das würde ich nicht überbewerten. Natürlich aus der Situation heraus kann man sich so fühlen, aber das allein ist noch keine Depression. Dafür gibt es qualifizierte Sportpsychotherapeuten, die das dann auch qualifiziert diagnostizieren könnten. Jeder ist mal down, das ist dann nicht automatisch gleich eine Depression.
Mentale Probleme bei Zverev als Grund für sportliche Krise?
ran: Können die mentalen Probleme bei Zverev ein Grund für die sportliche Krise der vergangenen Wochen sein?
Draksal: Es ist nicht unabhängig voneinander, es ist immer Stimmung und Leistung. Das hängt auf jeden Fall zusammen. Niederlagen gehören dazu und wenn man dann keinen Umgang damit gefunden hat, dann macht man sich das Leben unnötig schwer. Also da wären Mentaltrainerinnen und Mentaltrainer vom Deutschen Bundesverband Sportmentaltraining (DBVS e.V.) die richtigen Ansprechpartner.
ran: Wie funktioniert Mentaltraining konkret und wie kann es helfen?
Draksal: Mentaltraining ist vor allem Training, das heißt ein regelmäßig steigender Schwierigkeitsgrad. Die kleinen Herausforderungen auch im Alltag: Zum Beispiel Zähneputzen auf einem Bein, am besten mit geschlossenen Augen. Das kann jeder mal für sich zu Hause probieren, das ist gar nicht so einfach. Aber es ist halt auch Konzentrationstraining und das ist ja das Thema unserer Zeit. Fokus und Konzentration sind extrem wichtig und der Mentaltrainer motiviert, diese kleinen Übungen wirklich auf täglicher Basis durchzuführen. Mentaltraining ist nicht nur ein- oder zweimal, sondern täglich.
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ran: Wie hilft Mentaltraining dabei, mit Rückschlägen umzugehen, wie sie Zverev jetzt häufig erlebt hat?
Draksal: Das ist der häufigste Anlass. Niemand kommt, wenn es gut läuft. Die meisten kommen nach Niederlagen oder wenn etwas schiefgelaufen ist. Wenn man enttäuscht ist, wenn man niedergeschlagen ist, dann ist das ein Zeichen von hoher emotionaler Beteiligung und wir sind emotionale Wesen. Wenn wir daran andocken und den Schalter umlegen nach bitteren Niederlagen, dann ist das super, denn dann ist es Motivation. Emotion und Motivation hängen zusammen und es ist viel schwieriger, als wenn einem das egal ist nach dem Motto: 'Schwamm drüber, kann jedem mal passieren.' Damit dämpft man diese Emotion und damit auch die Motivation. Gerade diese bitteren Niederlagen sind eine super Ausgangsvoraussetzung, um dann ein Projekt zu starten unter dem Motto 'Comeback stronger'. Dabei kann man mit Musik arbeiten, eine Vision entwickeln.
ran: Bei Zverev wirkte diese Motivation oft etwas gedämpft.
Draksal: Die habe ich bei ihm auch ein bisschen vermisst, also in der Mimik. Die Gesichtsmuskeln und die Emotionen sind ja ganz eng verschaltet. Wo ist die Freude, wo ist das Siegerlächeln, das Funkeln in den Augen? Das müssen wir wieder wecken, und dann geht es auch wieder nach vorne. Entweder man gewinnt oder man lernt. Und Mentaltraining hilft dabei, diese Lerngelegenheiten wahrzunehmen.
Mentaltraining kann Leistungsentwicklung fördern
ran: Im Profisport gibt es bei der körperlichen Fitness nur noch wenige Unterschiede auf Topniveau. Inwiefern kann Mentaltraining dann den Unterschied machen für den Erfolg?
Draksal: Das ist schwierig, das wirklich seriös zu quantifizieren. Aber aus Erfahrung kann ich sagen, dass viele solche blinden Flecken haben und gar nicht auf die Idee kommen: 'Was ist denn meine Motivationshymne? Daran habe ich jetzt noch gar nicht gedacht.' Man gibt Impulse wie so eine Art Methodenbuffet hinein und da ist dann immer etwas dabei, was dem Sportler schmeckt. Dann sind die Leistungsentwicklungen deutlich beschleunigt. Eine konkrete Zahl lässt sich da aber nicht ermitteln.
ran: Inwiefern kann denn auch die Familie oder das direkte Umfeld dabei helfen, sich zu motivieren und eine mentale Stütze zu sein? Zverev sprach davon, dass vor allem seine Tochter ihn aktuell glücklich macht.
Draksal: Das Umfeld ist sehr wichtig als Safeplace, dieser Ruhepol, der einen erdet, bei dem man einfach Mensch sein kann und wo man auch mit seinen Fehlern geliebt wird. Das ist authentisch, das ist natürlich. Und bei Alex Zverev ist das wichtig, dass er das hat. Aber das ist kein Mentaltraining mit einem externen Profi, der sich eben auch methodisch auskennt. Diese emotionale Beteiligung ist super, die sehe ich bei ihm, es war ihm nicht egal, es hat ihn schon belastet. Man müsste jetzt einfach nur den Schalter umlegen und an diese Emotionen andocken. Das kann jedoch kein Familienmitglied leisten, das muss ein qualifizierter Mentaltrainer oder eine qualifizierte Mentaltrainerin machen.
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ran: Wie wichtig ist es auch, dass er mit diesen Aussagen an die Öffentlichkeit gegangen ist und sich geöffnet hat?
Draksal: Das finde ich super - das kann sehr befreiend sein und ich finde es immer gut, wenn man Dinge auch anspricht und ausspricht, weil dann kann man sie auch bearbeiten. Dieses Verdrängen ist oft die Ursache für größere Probleme.
ran: Zverev sagte, er wolle bereits Ende Juli wieder spielen. Wäre eine etwas längere Pause jetzt nicht gut für ihn?
Draksal: Es ist sehr knapp, auf jeden Fall. Es ist natürlich schwierig, das jetzt so aus der Ferne einzuschätzen, aber in der Regel wirken solche Methoden nach acht bis zwölf Wochen. Ein etwas realistischer Zeitraum wäre nicht so verkehrt. Ich glaube, er ist jung genug und es liegen noch einige Jahre an Laufbahn vor ihm. Also warum sich jetzt nicht mal wirklich zurückziehen, eine Auszeit zu nehmen und dann eben das Projekt 'Comeback stronger' fundiert angehen? Also ich denke, das wäre jetzt genau richtig.