Die Boston Celtics pflügen durch die Liga
NBA-Kolumne: Historische Dominanz – die Neuerfindung der Boston Celtics
- Aktualisiert: 06.03.2024
- 10:43 Uhr
- Ole Frerks
Die Boston Celtics pflügen derzeit durch die Liga und sind in mehr als einer Hinsicht historisch unterwegs. Die letzten Fragen kann das Team erst in den Playoffs beantworten – aber derzeit zeigt fast alles in eine Richtung (NBA jeden Samstag und Sonntag live auf ProSieben MAXX und ran.de).
Von Ole Frerks
Der elfte Sieg in Folge war ein besonderer. Mit 44 Punkten führten die Celtics zur Pause, die Warriors warfen im Anschluss das Handtuch und gaben ihrem altgedienten Star-Trio frühzeitig frei. 52 Punkte Unterschied waren es am Ende, selbst der zweite Anzug Bostons ließ nach der Pause nicht wirklich nach. Es war eine Machtdemonstration.
"Es war hart, sich das von der anderen Seite aus anzusehen", sagte Stephen Curry nach dem Spiel, und fügte folgenden Satz hinzu: "Früher waren wir es, die so etwas mit anderen Teams gemacht haben. Es ist ziemlich demoralisierend." Es steckte viel Wahres in diesen Worten.
Die Warriors und Celtics sind nicht nur durch die 2022er Finals miteinander verbunden, weshalb dieses Spiel – wie von Beginn an zu sehen war – eine gewisse Bedeutung für das Heimteam hatte. Die Warriors waren auch das letzte Team, das während einer Regular Season so dominant auftrat wie Boston im Moment: 2017 betrug ihr Net-Rating +11,6, der dritthöchste Wert der NBA-Geschichte (nur Jordans Bulls lagen zweimal drüber).
Das Wichtigste in Kürze
Nach 60 Spielen in 23/24 liegt Boston bei: Richtig, +11,6. Tendenz steigend, nicht nur durch diesen Sieg. Seit dem 4. Februar haben die Celtics ihre Spiele mit einer Differenz von 22,5 Punkten pro 100 Ballbesitzen gewonnen. Das Team deklassiert seine Konkurrenz, reihenweise. Der Spielplan war im Februar nicht der härteste, gerade die letzten beiden Spiele imponierten jedoch: In der Nacht auf Samstag wurde Dallas mit +28 abgeschossen, nun waren die Warriors an der Reihe, die seit den 22er Finals so etwas wie ein weißer Wal für Boston sind.
Noch so eine Verbindung: Inklusive 2018 haben zwei Teams in der NBA exakt 52 Playoff-Spiele gewonnen und damit mehr als alle anderen – Golden State und Boston. Während die Warriors jedoch zwei Meisterschaften in diesem Zeitraum geholt haben, warten die Celtics noch auf diese ultimative Validierung. Wird sich das in diesem Jahr – endlich – ändern?
Boston Celtics: Banner #18? Die Zahlen schreien
Der Blick auf die Zahlen schreit relativ laut, dass es an der Zeit für Banner #18 ist. Boston hat die beste Bilanz der Liga und schwebt vom Net-Rating her ein Stück über dem Rest (Platz zwei OKC liegt bei +8). Die Offense ist die beste der NBA-Geschichte, die Defense liegt auf Platz drei in dieser Saison.
Der Formel von basketball-reference zufolge hat Boston eine 60-prozentige Chance, die Finals zu gewinnen. Basketball Power Index von "ESPN" zufolge sind es immerhin 46,5 Prozent, immer noch fast viermal so hoch wie beim Team mit den zweitbesten Chancen.
Natürlich sind diese Spielereien nur bedingt etwas wert – 2022 etwa war Boston den Zahlen zufolge auch der klare Favorit in den Finals. Basketball wird nicht in einer Excel-Tabelle gespielt und der Eye-Test besagt: Denver ist der amtierende Meister und hat den besten Spieler der Welt, einen Akteur, auf dessen Level Bostons bester Spieler sich nicht befindet.
Seit der All-Star Break machen die Nuggets auch wieder ernst (sechs Siege in Folge) – das erste Duell in dieser Spielzeit haben Nikola Jokic und Co. in Boston gewonnen, das zweite steigt in der Nacht auf Freitag, in Denver. Eine Playoff-Dominanz wie die der Nuggets im vergangenen Jahr gab es von den Celtics in all den Jahren trotz all der gewonnen Serien noch nie zu sehen.
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Boston Celtics: Sind die alten Probleme gelöst?
Vermutlich wiegt dieser Zweifel am schwersten: Boston zeigte über die Jahre mehr als einmal die Tendenz, sich im falschen Moment selbst in den Fuß zu schießen beziehungsweise sich das Leben unnötig schwer zu machen. Die Serien gegen Golden State und sogar noch mehr gegen Miami offenbarten diese fehlende Cleverness und gingen vermeintlich unnötigerweise verloren.
Psychospielchen wie das von Draymond Green am Sonntag, der Jaylen Brown am Perimeter einfach nicht verteidigte, zielten im Prinzip genau auf dieses Defizit ab. Diesmal machte Brown diese Strategie allerdings – mit 19 Punkten in sieben Minuten und ein paar Seitenhieben nach dem Spiel – komplett lächerlich. Ein Vorbote für die Postseason?
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Den endgültigen Beweis kann Boston dafür natürlich erst dann erbringen. Aber es gibt zumindest Indizien, die dafür sprechen, dass die Celtics ein anderes, reiferes, stabileres Team sind als in den vergangenen Jahren.
Celtics: Das beste Post-Team der Liga?
Joe Mazzulla hat sich, wie er selbst kürzlich erklärte, von Pep Guardiola inspirieren lassen und die Identität seines Teams angepasst. Es gibt viele Freiheiten, viel read-and-react, was wiederum nur deshalb so gut funktionieren kann, weil Brad Stevens ein so starkes Team zusammengestellt hat: Fast jeder Rotationsspieler ist groß für seine Position, kann werfen, dribbeln und passen, eine Entscheidung treffen. Es gibt wenig Spezialisten, mehr Flow.
Die Celtics nehmen weiterhin enorm viele Dreier – genauer gesagt die meisten der Liga. Mit Neuzugang Kristaps Porzingis oder Al Horford auf der Fünf können sie Five-Out spielen, Platz schaffen für die Drives, die Hilfe ziehen und offene Dreier ermöglichen. Es wird nicht nur viel geballert, sondern auch viel getroffen: Nur drei Teams verzeichnen eine bessere Dreierquote (39,2 Prozent). Gleichzeitig wirkt das Team weniger abhängig von diesen Abschlüssen.
Im Vergleich zum letzten Jahr wird auch der Post häufiger genutzt; nur Denver schließt mehr Plays per Post Up ab als die Celtics, die dabei aber effizienter sind als alle anderen (1,17 Punkte pro Play). Porzingis ist dabei der aktuell beste Spieler der Liga (1,38!), aber auch Jayson Tatum (1,16) und Brown (1,11) nutzen diese Plays häufiger und erfolgreicher als zuvor.
Der Schlüssel dahinter ist simpel: Boston ist unheimlich gut darin geworden, kleine Vorteile auf dem Court zu entdecken und auszunutzen. Etwa den Fakt, dass Porzingis über fast jeden Verteidiger drüber werfen kann. Aber auch Tatum trifft selten auf einen Verteidiger, der größer, schneller und/oder athletischer als er ist. Er geht geduldiger, methodischer vor als je zuvor und ist dadurch ein ganzes Stück effizienter geworden.
Boston: Mehr Geduld, mehr Opfer
Diese Geduld überträgt sich auf das gesamte Team – in den meisten Situationen fällt es Boston aufgrund der Variabilität seiner Offensivspieler relativ leicht, an gute Würfe zu kommen. Gerade Tatum und Brown können natürlich auch schlechte Würfe treffen, es ist jedoch nicht so oft nötig, gerade dann, wenn Porzingis dem Team zur Verfügung steht (bisher 44 Spiele).
Der Ansatz funktioniert auch deshalb, weil alle Spieler eine gewisse Opferbereitschaft an den Tag legen. Porzingis und Jrue Holiday nehmen die wenigsten Würfe seit ihren jeweiligen Rookie-Jahren. Tatum hielt seit 19/20 nicht so selten drauf (ein Grund, weshalb er im MVP-Rennen keine Chance auf die Top 3 hat), genau wie Brown. Sie legen dafür alle Career-Highs bei der effektiven Wurfquote auf, genau wie Derrick White übrigens, der als einziger Starter seinen individuellen Output im Vergleich zum Vorjahr gesteigert hat.
Es wirkt oft schockierend einfach, was die Celtics aufgrund ihrer individuellen Klasse und ihrem System offensiv veranstalten – fällt der Dreier, kann leicht eine Lawine daraus werden, wie eben gegen die Warriors, gegen die der Schneeballeffekt schlichtweg nicht aufhören wollte. Wie bei den Dubs zu besten Zeiten spielt die Defense dabei jedoch auch eine große Rolle.
Der beste "Backcourt" der Liga
Auch hier besticht Boston vor allem durch seine Variabilität. White und Holiday formieren den besten defensiven Backcourt der NBA, wobei Backcourt irreführend ist – gerade Holiday verteidigt regelmäßig auch Forwards und Center, nicht aus Zufall, sondern willentlich. Tatum und Brown wiederum übernehmen oft auch Guards, wie etwa Curry.
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So leicht es für Boston im Angriff ist, einen Vorteil zu kreieren, so schwer fällt das gegnerischen Teams auf der anderen Seite. Die gesamte Top 6 bietet kaum Angriffsfläche: Brown hat sich im Vergleich zum Vorjahr defensiv wieder enorm gesteigert, Porzingis ist einer der besten Ringbeschützer der NBA, Al Horford trotz seines Alters weiter einer der besten Switch-Bigs.
Die Celtics sind, abgesehen davon, exzellent gecoacht: Boston kommuniziert gut, scheint immer zu wissen, was die Situation erfordert. Es wird effektiver geswitcht und zurückgeswitcht als bei anderen Teams, oft diktieren sie die Matchups. Noch mehr als der eigene Angriff wirkt die Defense wie gemacht für die Playoffs, wenn die Rotation noch etwas knapper wird.
Ist dies das Jahr?
Boston wirkt, in einem Wort, resilienter als zuvor. Bleibt das auch bestehen, wenn es drauf ankommt, wenn ein Team wie Miami sie durcheinanderbringt und von draußen heiß läuft? Wenn ein Plan mal nicht aufgeht? Gibt es grundsätzlich einen Plan für Jokic, und kann Porzingis, der Boston nochmal auf eine andere Stufe hebt, einem Playoff-Run körperlich standhalten?
All das sind legitime Fragen, die erst in der Postseason beantwortet werden können. Bei allem Fokus darauf sollten jedoch nicht die Augen davor verschlossen werden, wie dominant dieses Team aktuell unterwegs ist – und in welcher Gesellschaft es sich historisch befindet.
Es gibt durchaus Teams, die an Enttäuschungen wie den Finals 2022 und den Conference Finals 2023 zerbrochen wären. Boston hat sich stattdessen neu formiert und ein Stück weit neu erfunden. Und pflügt durch die Liga wie ein Team auf einer Mission.