Thomas Tuchel steht aufgrund seiner taktischen Entscheidungen gegen Leverkusen massiv in der Kritik. Welchen Anteil an den Problemen hat der Trainer, welche Mitschuld tragen die Spieler, wie ist das Verhältnis zwischen Tuchel und Mannschaft und kommt im Sommer Xabi Alonso? ran beantwortet die wichtigsten Fragen.
FC Bayern München – Bayer Leverkusen: Hat sich Tuchel vercoacht?
Eindeutig, auch wenn der Coach selbst das so nicht eingestehen wollte. "Die Niederlage hat nichts mit Taktik zu tun", erklärte er und fügte sogar an: "Ich würde es wieder so tun."
Fakt ist aber, dass alle Experimente schief gingen. Die ungewohnte Dreier- bzw. Fünferkette sorgte für Verunsicherung statt für Stabilität, der dadurch fehlende Offensivspieler wurde schmerzlich vermisst, die Routine der Ersatzleute Thomas Müller, Joshua Kimmich oder Matthijs de Ligt ebenso.
So fand der Trainer an diesem Abend seinen Meister in Gegenüber Xabi Alonso, der mit ein paar geschickten Handgriffen reagierte und Bayern somit den Stecker zog, etwa Stanisic statt Frimpong gegen den überforderten Sacha Boey zu stellen, oder den flinken Nathan Tella anstelle des etatmäßigen Stammspielers Patrik Schick aufzubieten.
Trotzdem blieb Tuchel auf der Bank merkwürdig passiv und wechselte erst nach einer Stunde erstmals aus. Aber auch dann ging keine einzige Maßnahme auf.
Bemerkenswert war angesichts der Tuchel’schen Schönrednerei das Statement von Manuel Neuer, der eingestand, "dass wir die Leverkusener so nicht erwartet haben. Wir haben schon mit anderen Personalien gerechnet“.
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FC Bayern München: Warum reagiert Tuchel so dünnhäutig?
Die Rückschläge und die anhaltende Kritik an seiner Arbeit nerven den Trainer. Das stellt er immer wieder offen zur Schau. Der "Spiegel" nannte Tuchel nach der Partie "den ligaweit dünnhäutigsten Trainer".
Fragen nach seinen taktischen Umstellungen nannte er am Samstag "polemisch" und wollte sie nicht beantworten (Hier geht's zum Video-Interview).
Zudem ließ er sich auf ein Verbalduell mit einem Reporter ein, der behauptet hatte, dass der Spielzug vor der wichtigen Leverkusener Führung so einstudiert sei und immer wieder vorkomme. "Da gehe ich jede Wette ein, dass das nicht der Fall ist", erklärte Tuchel.
Solche Nebenkriegsschauplätze sorgen für mehr Unruhe als nötig im ohnehin schon unruhigen Bayern-Umfeld.
FC Bayern München erlebt Debakel gegen Bayer 04: Welche Mitschuld trägt die Mannschaft?
Zumindest die erfahrensten Bayern-Profis nahmen den Trainer deutlich in Schutz und richteten den Fokus klar auf die unterirdische Leistung des Teams, das unter anderem gerade mal auf neun - durchgängig harmlose - Torschüsse kam.
"Wir müssen einfach auch mal die Spieler anpacken“, schimpfte Thomas Müller in einer bemerkenswerten Wut-Rede: "Es waren genug Spieler von internationalem Format bei uns auf dem Platz. Da braucht man gar nicht auf den Trainer zu gehen."
Auch Manuel Neuer sprach Klartext. "Das war unsere schlechteste Leistung im wichtigsten Spiel. Da kannst du gegen so eine Mannschaft nicht bestehen. Das war einfach viel zu wenig von uns", sagte der Kapitän: "Jeder muss sich Gedanken machen und an die eigene Nase fassen, warum er das nicht abgerufen hat, was nötig gewesen wäre."
FC Bayern München: Warum ruft die Mannschaft so selten ihr Potenzial ab?
Es bleibt ein wiederkehrendes Problem, dass die Ansammlung von hochbezahlten Nationalspielern offenbar zum "Trainings-Weltmeister" geworden ist.
"Wir zeigen im Training deutlich bessere Ansätze, weil wir da mutig sind und frei Fußball spielen. Im Spiel fehlen mir, da kann ich jetzt Oli Kahn zitieren, teilweise die Eier", lautete Müllers erschreckende Erkenntnis: "Es fehlt die Freiheit. Wir haben teilweise eine Verkopftheit in unserem Spiel."
Auch Joshua Kimmich legte den Finger in die Wunde: "In unserem Spiel war generell wenig zu sehen von Spielfreude, Kreativität, Leichtigkeit, Freiheit. Wir haben echt Probleme, uns Chancen zu erarbeiten und lassen auf der anderen Seite zu viele Chancen zu."
Das große Problem: Anscheinend wissen weder Spieler noch Trainer, wie sie dieses wesentliche Defizit beheben können – gerade, wenn es in Spitzenspielen genau darauf ankommt.
Im Spiel fehlen mir, da kann ich jetzt Oli Kahn zitieren, teilweise die Eier. Es fehlt die Freiheit. Wir haben teilweise eine Verkopftheit in unserem Spiel.
Thomas Müller
Tuchel beim FC Bayern München: Wie ist das Verhältnis zwischen Trainer und Mannschaft?
Teilweise angespannt, aber nicht irreparabel. Die Spieler erkennen die fachliche Expertise und das gute Training Tuchels an und wissen auch, dass sie selbst einen großen Anteil an den sportlichen Problemen haben.
Andererseits kommt die teilweise sehr direkte und manchmal auch sehr kritische Kommunikation in Richtung der Spieler nicht bei jedem gut an. Hinzu kommt die Unzufriedenheit bei den Reservisten.
Bei Kimmich war das am Samstag zwischen den Zeilen kaum misszuverstehen. "Ich habe in den letzten zwei Wochen alles dafür getan, dass ich schnell zurückkomme, dass ich gesund zurückkomme, um heute von Anfang an zu spielen", sagte der zuletzt an der Schulter verletzte Nationalspieler: "Am Ende des Tages trifft der Trainer die Entscheidungen, die wir Spieler akzeptieren müssen."
Gefährlich für Tuchel könnte allerdings werden, dass er gerade in Leverkusen mit dem Verzicht auf die Routiniers Müller und Kimmich, sowie auf Innenverteidiger Matthijs de Ligt relativ deutlich machte, wer bei ihm nur zweite Wahl ist.
Allerdings werden die Karten nach dem Offenbarungseid in der BayArena wieder neu gemischt.
FC Bayern München: Gibt es im Sommer einen Umbruch?
Es sieht alles danach aus, denn die Unzufriedenheit in der Führung über die fehlende Weiterentwicklung zahlreicher Topstars wächst zunehmend.
Die Bayern haben zu wenig Führungsspieler, die mit Leistung vorangehen. Stattdessen gibt es zu viele Mitläufer auf und auch außerhalb des Platzes, die hier wie dort zu wenig Verantwortung übernehmen. Es spricht für sich, dass nicht zum ersten Mal Einwechselspieler wie Müller und Kimmich nach der Pleite vor die TV-Mikrofone geschickt wurden.
Die Frage ist, ob der neue Sportvorstand Max Eberl die Kraft und die Bereitschaft mitbringen wird, im Sommer die verfehlte Kaderplanung von Vorgänger Hasan Salihamidzic zu korrigieren und den ein oder anderen Großverdiener ohne konstantes Topniveau auszusortieren.
Gerade auf den Außenbahnen und im defensiven Mittelfeld zeigt der enteilte Titelrivale Bayer Leverkusen, wie man es besser machen kann.
Tuchel-Zukunft beim FC Bayern München: Muss der Trainer jetzt gehen?
Nein. "Da ändert sich gar nichts", machte Vorstandsboss Jan-Christian Dreesen nach der Niederlage klar.
Für den eher unwahrscheinlichen Fall, dass Bayern in den kommenden Spielen weiter schwächelt und der Rückstand auf Leverkusen noch weiter anwächst, wäre allerhöchstens wie im Vorjahr ein Trainerwechsel in der Länderspielpause nach dem 18. März denkbar.
Allerdings will die FCB-Führung mindestens die Saison mit Tuchel zu Ende bringen und erst danach Bilanz ziehen. Sollte Bayern dann erstmals seit 2012 die Meisterschaft verpassen, ist eine Trennung nicht unwahrscheinlich.
Zudem gibt es auch noch die Champions League, wo die Münchner am Mittwoch im Achtelfinal-Hinspiel bei Lazio Rom antreten müssen. "Nach so einem Spiel, wo wir klar die schlechtere Mannschaft waren, muss man sich sammeln und nach vorne schauen", erkläre Dreesen: „Das Spiel in Rom ist eine Gelegenheit, die Scharte auszuwetzen."
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FC Bayern München: Ist die Meisterschaft noch drin?
Nach der Leverkusener Machtdemonstration, der beeindruckenden Stabilität der Werkself in dieser Spielzeit (noch ohne Niederlage) und den nunmehr fünf Punkten Rückstand spricht derzeit fast nichts für die Titelverteidigung des Rekordmeisters.
Klar ist aber auch: Bayer hatte noch keine Krise in dieser bislang herausragenden Saison und musste bislang nach Rückschlägen keine Reaktion zeigen.
Hinzu kommt das Stigma der Historie, denn "Vizekusen" hat bekanntlich mehrfach in letzter Minute Meisterschaften verspielt. 2002 etwa hatte Bayer sogar drei Spiele vor Schluss fünf Zähler Vorsprung und landete am Ende doch noch hinter Borussia Dortmund auf Platz zwei.
"Wer wäre ich, dass ich nicht Optimist wäre bis zum Schluss. Wir geben nicht auf, wir müssen da sein, wenn Leverkusen patzt", sagte Dreesen.
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Bayer Leverkusen deklassiert die Bayern: Was macht die Werkself besser?
Wenn man das Spitzenspiel zum Maßstab nimmt: Alles. Die Werkself war nicht nur spielerisch, sondern eben auch taktisch und in puncto Einstellung am Samstag eine Klasse besser. Im Gegensatz zu den Bayern würde Leverkusen "einfach zocken", wie Müller anerkennend formulierte.
Nach 31 Pflichtspielen ohne Niederlage wirken die Rheinländer maximal selbstbewusst, haben in Xabi Alonso ein Mastermind am Spielfeldrand und zudem eine extrem gut besetzte zweite Reihe. Am Samstag beispielsweise glänzten die nominellen Reservisten Josip Stanisic, Amine Adli, Nathan Tella und Robert Andrich.
"Wir haben 90 Minuten gezeigt, wie sehr wir es wollen", brachte es Andrich auf den Punkt.
Xabi Alonso: Wird er der neue Bayern-Trainer?
Stand jetzt eher unwahrscheinlich. Vor allem, weil die Bayern aktuell noch mit Tuchel planen und daher nicht aktiv auf Trainersuche sind.
Darüber hinaus hat man in Leverkusen weiter große Hoffnung, dass Alonso nach der Saison nicht von seiner angeblichen Freigabeklausel aus dem noch bis 2026 Gebrauch machen wird, weil er sein Werk bei Bayer fortsetzen will.
"Er ist sehr glücklich und sehr zufrieden mit den Bedingungen, die er hier vorfindet, welche Mannschaft er hat, mit der er jeden Tag arbeitet. Die Familie spielt auch immer eine wichtige Rolle, die fühlt sich sehr wohl hier. Deswegen sind wir da ganz entspannt", sagte Sportchef Simon Rolfes.
Sollte sich der Spanier dennoch für einen Wechsel entscheiden, gehen Insider derzeit von der Rückkehr zu seinem Ex-Klub FC Liverpool aus, der noch einen Nachfolger für Jürgen Klopp sucht.