Bundesliga
FC Bayern München: Wie der Fall Boateng den Verein spaltet
- Aktualisiert: 10.10.2023
- 13:58 Uhr
- Martin Volkmar
Die Mehrheit der Fans des FC Bayern äußert sich klar gegen eine Rückkehr von Jerome Boateng, während Spieler und Trainer die Absage bedauern. Dazwischen steht die Vereinsführung - und macht keinen besonders guten Eindruck.
Vom FC Bayern berichten Martin Volkmar und Simon Hartmann
Beim FC Bayern hätte man die Personalie Jerome Boateng gerne möglichst geräuschlos abgeräumt, nachdem man sich am Freitagabend endgültig gegen eine Verpflichtung des vertraglosen Ex-Münchners entschieden hatte.
Doch der Verzicht hielt Teile der Fans nicht davon ab, am Sonntag beim Spiel gegen den SC Freiburg (3:0) ihrem Unmut über die Gedankenspiele der Verantwortlichen Luft zu machen.
"Misogyne Gewalt ist keine Privatsache. Steht zu unseren proklamierten Werten - oder sind Satzung und Awareness doch nur Marketing?!", stand auf einem Banner zu lesen, ein anderes war kürzer und wesentlich direkter: „Kein Platz für Charakterschweine im Verein – weder auf dem Feld noch im Vorstand!"
Harte Vorwürfe, die sich gegen Boateng und ziemlich sicher auch die Führung um Sportdirektor Christoph Freund richteten, der Boatengs Verfahren wegen Köperverletzung zuletzt als Privatsache bezeichnet hatte. Und vermutlich war auch der potenzielle neue Sportvorstand Max Eberl mit der wenig freundlichen Umschreibung gemeint.
Dass es überhaupt so weit kommen konnte, sorgt nach wie vor bei zahlreichen Beobachtern für Kopfschütteln. "Man hat sich wirklich gefragt, warum haben sie es überhaupt gemacht? Dass das Echo aus der Fanszene und Medien kommt, war zu erwarten", sagte Julia Simic, einst selbst beim FC Bayern in der Frauen-Bundesliga aktiv, in der ran Bundesliga Webshow.
Das Wichtigste in Kürze
"Ich war auch stark verwundert, warum man aus einer totalen Verzweiflungsaktion mit diesem Gedanken spielt, weil man gerade ein paar Abwehrsorgen hat. Es musste den Verantwortlichen ja klar sein, dass man das nicht unter den Teppich kehren kann. Die Verfahren laufen und die Themen gibt es. Die kann man nicht einfach sportlich wegargumentieren."
Boateng war im vergangenen Jahr in zweiter Instanz zu einer Geldstrafe von 1,2 Millionen Euro wegen Körperverletzung und Beleidigung seiner Ex-Freundin verurteilt worden.
Im September war das Urteil wegen Formfehlern aufgehoben worden, voraussichtlich im Frühjahr kommt es zur Neuauflage – in der Boatengs Verteidiger Freispruch, die Staatsanwaltschaft und seine Ex-Lebensgefährtin aber sogar eine höhere Bestrafung fordern.
Boateng: Tuchel genervt, Hainer windet sich
Dennoch reagierte Thomas Tuchel sichtlich genervt auf die Nachfrage nach den Spruchbändern. "Ich habe wenig Verständnis für sowas, das ist ja fast schon eine Beleidigung. Das ist mir zu anonym und zu plakativ", sagte der Coach auf der Pressekonferenz nach der Partie.
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Tuchel schießt gegen Bayern-Fans: "Haarscharf an Beleidigung"
Präsident Herbert Hainer wand sich derweil um eine klare Antwort. "Das sind Interpretationen. Ich kann das nicht kommentieren", meinte er nur. "Prinzipiell ist klar: Wir haben klare Werte beim FC Bayern und die verfolgen wir auch – und jetzt konzentrieren wir uns wieder auf Fußball."
Das würde wohl auch sein Sportchef gerne tun, sah sich aber wenig später zumindest zu einer Klarstellung seiner Aussagen zu Boateng vor dem Kopenhagen-Spiel veranlasst. "Für den FC Bayern und mich persönlich ist es ganz, ganz wichtig, die Werte des FC Bayern hochzuhalten. Was da berichtet wurde: Gewalt oder häusliche Gewalt – das sind Werte, die für uns nicht zu tolerieren sind. Da gibt es auch keine Akzeptanz", erklärte er.
Und weiter: "Wir waren in einer besonderen Situation, noch vor zehn Tagen hatten wir gar keinen Verteidiger. Es war einfach die Gefahr da, dass das länger der Fall sein könnte. Nachdem es jetzt besser aussieht, kamen wir zu dem Entschluss, die Geschichte mit Jerome nicht zu machen."
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Tuchel: Erneut Sorgen nach Upamecanos Verletzung
Klar ist allerdings allen Beteiligten, dass nicht allein die verbesserte Personaldecke in der Abwehr zu der Absage geführt hat. Zumal sich Tuchel schon nach dem Spiel gegen Freiburg wieder beunruhigt zeigte, da in der Innenverteidigung Matthijs de Ligt und Tarek Buchmann nach wie vor ausfallen und nun auch noch Dayot Upamecano wegen einer Oberschenkelverletzung eine Zwangspause einlegen muss - womöglich sogar wochenlang.
"Das ist natürlich genau die Position, auf der nichts passieren darf", erklärte der Bayern-Trainer im Interview mit ran und "Sky". Somit steht aktuell in Minjae Kim erneut nur noch ein einsatzbereiter Innenverteidiger im Kader, zudem fällt auch der gerade erst zurückgekehrte Raphael Guerreiro mit Muskelfaserriss aus.
"Dass in der Defensive nicht viel passieren darf, ist offensichtlich. Wir haben gegen Freiburg und in Kopenhagen zwei Plätze auf der Bank frei gehabt", verdeutlichte Tuchel sein Problem.
Weil offensichtlich kein zentraler Abwehrspieler aus der zweiten Mannschaft oder dem Nachwuchs Tuchels Ansprüchen genügt, hätte er gerne den routinierten Boateng als Backup verpflichtet, um auch im Training das Wettkampfniveau zu erhöhen. Öffentlich allerdings vermied der Coach am Sonntag jede Aussage, die ihm als erneuten Konflikt mit der Klubführung ausgelegt worden wäre.
"Nicht nur die sportliche Seite" - Tuchel zur Causa Boateng
Tuchel: "Keine Entscheidung gegen mich"
"Das mit Jerome haben wir zusammen entschieden. Das ist jetzt keine Entscheidung gegen mich oder die ich durchbringen wollte", erklärte er, und gab sogar zu: "Es gab nicht nur die sportliche Seite, das kann ich auch verstehen."
Offensichtlich wäre es Tuchel aber lieber gewesen, wenn er die Diskussionen um Boateng, den er schon 2018 von Bayern zu seinem damaligen Verein Paris St. Germain holen wollte, nur aufs Sportliche hätte reduzieren können. "Das Verfahren ist ausgesetzt, daher gilt die Unschuldsvermutung. Weil das auch so ist, haben wir als Fußballklub das Recht, Fußball-Entscheidungen zu treffen", hatte er noch unter der Woche gesagt.
Tuchel und sein Trainerteam waren überzeugt, dass der einstige Weltklasseverteidiger auch mit 35 Jahren den Bayern hätte helfen können. Zumal er in der Mannschaft nach wie vor ein sehr gutes Standing hat, wie Leon Goretzka verriet.
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Goretzka: "Gefreut, wenn Boateng gekommen wäre"
"Ich habe mich extrem gefreut, ihn wiederzusehen und mit ihm zu trainieren, das hat großen Spaß gemacht. Man hat auch bei ihm gesehen, dass das Feuer noch da ist, er hat sich im Training reingehängt", sagte er auf Nachfrage von ran:
"Ich hätte mich natürlich gefreut, wenn er gekommen wäre. Aber das ist eine Entscheidung, die der Verein zu treffen hat und auch getroffen hat, und das gilt es natürlich zu respektieren."
Erledigt ist das Thema damit aber dennoch nicht. Denn einerseits bleibt die personelle Lage in der Defensive ohne Verstärkung mindestens bis zur Winterpause angespannt. Andererseits könnte der Protest der Anhänger gegen Boateng noch weitergehen.
Es wäre kaum verwunderlich, wenn der Schlingerkurs der Verantwortlichen in einem Monat auf der Jahreshauptversammlung nochmal zu deutlichen Unmutsäußerungen einiger Mitglieder Richtung Präsidium und Vorstand führen würde. Zumal dort ein Zusatz in die Vereinssatzung aufgenommen werden soll, der jegliche Form von Gewalt ablehnt.
"Ich habe die Plakate nicht gesehen, aber das hat mit der Satzungsänderung nichts zu tun", meinte Klubboss Hainer zwar. Nimmt man die gereizte Stimmung unter vielen Fans zum Maßstab, könnte er sich mit dieser Annahme allerdings täuschen.