Champions League
Champions-League-Finale Paris Saint-Germain vs. Inter Mailand - Arno Michels: "Inter war nicht viel besser als der FC Bayern"
- Aktualisiert: 30.05.2025
- 18:01 Uhr
- Martin Volkmar
Im Champions-League-Finale treffen Paris Saint-Germain und Inter Mailand aufeinander. Arno Michels kennt PSG aus seiner Zeit im Trainerteam von Thomas Tuchel. Bei ran spricht der 57-Jährige über das Endspiel in München und den FC Bayern unter Tuchel-Nachfolger Vincent Kompany.
Der Countdown läuft. Am Samstagabend (ab 21:00 Uhr im Liveticker und im Livestream auf Joyn) trifft Paris Saint-Germain im Champions-League-Finale in München auf Inter Mailand. Die Franzosen, die Jahr für Jahr Unsummen in neue Stars investieren, träumen seit langem vom Henkelpott.
Thomas Tuchel war 2020 hautnah dran, musste sich mit seiner Mannschaft um Kylian Mbappé und Neymar am Ende aber dem FC Bayern mit 0:1 geschlagen geben. Arno Michels war damals Teil des Pariser Trainerteams. Er weiß, wie viel die Champions League PSG bedeuten würde.
Im exklusiven Interview mit ran spricht der 57-Jährige, der mit Chelsea 2021 den Henkelpott gewinnen konnte, über das diesjährige Königsklassen-Finale, den FC Bayern unter Tuchel-Nachfolger Vincent Kompany und seine aktuelle Tätigkeit beim DFB.
Das Interview führte Philipp Kessler.
Champions League: Daran scheiterte PSG 2020 gegen Bayern
ran: Herr Michels, fiebern Sie im Champions-League-Finale am Samstag mit Ihrem Ex-Club Paris Saint-Germain mit?
Arno Michels: Ich bin tatsächlich sehr neutral. Die Zeit in Paris ist schon sehr lange her, fast viereinhalb Jahre. Aber natürlich kommt gerade jetzt die Erinnerung an das Endspiel 2020 hoch, wenn man weiß, dass PSG im Finale steht. Wenn man diese Champions-League-Saison verfolgt, kann man auch Fan von Inter Mailand werden. Zwei würdige Mannschaften stehen im Finale. Sie hatten auf dem Weg dorthin sehr schwere Spiele, die sie gemeistert haben. Sympathien habe ich für beide Teams. Wie gesagt, ich schaue sehr neutral auf das Spiel. Aber natürlich freue ich mich für Paris, dass sie die Möglichkeit auf den Titel haben. Ich weiß, dass der Traum, endlich die Champions League zu gewinnen, sehr stark ausgeprägt ist.
ran: 2020 waren Sie als Co-Trainer von Thomas Tuchel ganz nah am Henkelpott, haben das Endspiel gegen den FC Bayern in Lissabon mit 0:1 verloren. Woran ist es damals gescheitert?
Michels: An der mangelnden Chancenverwertung in der ersten Halbzeit. Manuel Neuer hat super gehalten. Wir haben nicht viele Fehler gemacht, nur einen kleinen, der ausgenutzt wurde. Wir haben zugelassen, dass Kingsley Coman zum Kopfball kam. Wir haben wirklich nicht viel falsch gemacht. Es war ein sehr ausgeglichenes Spiel. Wenn man das Spiel zehnmal spielt, hätten wir es auch fünfmal gewonnen.
ran: Ärgert Sie diese vergebene Chance noch immer?
Michels: Auf jeden Fall. Bis ins Finale war es ein besonderer Weg, auch wegen Corona. In den Stadien waren keine Fans, die K.o.-Phase wurde im Turnierformat gespielt. Wenn man ins Endspiel kommt, dann will man es auch gewinnen. Wenn die Chance da ist, möchte man sie am Schopf packen. Für manche ist das eine einmalige Möglichkeit. Und es war ja nicht so, dass die Bayern im Finale so viel besser gewesen wären.
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PSG: "Mehr mannschaftliche Geschlossenheit" ohne Mbappe
ran: Neymar, Mbappé und später auch noch Messi - in den vergangenen Jahren war PSG eine Ansammlung von Superstars. War das ein Ego-Haufen oder ein eingeschworenes Team?
Michels: Natürlich waren das große Egos. Aber wir haben es geschafft, eine Mannschaft daraus zu formen. Sich für ein Champions-League-Finale zu qualifizieren, kann man nur als Team schaffen. Über die Jahre sind wir immer mehr zu einer Mannschaft geworden.
ran: Brauchen solche Stars eine harte Hand oder eine Sonderbehandlung?
Michels: Sie haben ihre Qualitäten. Und als Trainer gilt es diese, in eine Mannschaft zu integrieren. Man muss sich klarwerden darüber, was man braucht, um die Spieler vom gemeinsamen Weg zu überzeugen. Für jeden Spielplan braucht man Verhaltensweisen, man darf die individuellen Klassen dabei aber nicht kappen. Man muss die Stärken der Einzelkönner immer wieder scheinen lassen und sich auch bewusst darüber sein, dass es genau solche Spieler sind, die die Partien entscheiden. Sie können jederzeit ein Spiel drehen. Neymar, Kylian Mbappé oder auch Angel di Maria, die zu unserer Zeit gemeinsam bei PSG gespielt haben, haben unglaubliche individuelle Fähigkeiten. Solche Stars haben natürlich auch selbst den Antrieb, Titel gewinnen zu wollen. Sie haben einen ausgeprägten Drang, sich auf der Bühne von ihrer besten Seite zu zeigen und Trophäen zu holen. Gerade unter Druck scheint ihr Talent.
ran: Trainer Luis Enrique setzt als PSG-Coach total auf Teambuilding. Wie unterscheidet sich das PSG von 2020 zu heute?
Michels: Der Verein ist vom höchsten individuellen Können weg zu noch mehr mannschaftlicher Geschlossenheit gegangen. Sie kriegen kaum Gegentore, spielen unheimlich konstant. Sie haben es geschafft, noch mehr Kontinuität in ihr Spiel zu bringen. Sie sind auch deshalb mega erfolgreich, weil sie technisch sehr gute Spieler haben, die noch dazu unglaublich viel Geschwindigkeit und Teamgedanken mitbringen.
Dembele: "Überrascht mich nicht, aber..."
ran: Apropos: Mit Ousmane Dembele glänzt aktuell ein Angreifer, den Sie bestens kennen.
Michels: Wir haben den Jungen in Dortmund trainiert. Er hat seitdem einen ganz langen Weg gemacht, auch mit vielen Phasen, in denen er beim FC Barcelona weniger gespielt hat und verletzt war. Er hatte schon damals herausragende Fähigkeiten, die man auch heute selten sieht. Neben seiner Geschwindigkeit, mit der er an Gegenspielern einfach so vorbeiläuft, kann er mit beiden Füßen gut schießen. Man kann nie sagen - auch er wahrscheinlich nicht -, ob er mit links oder rechts abschließt. Seine Klasse überrascht mich nicht, aber die Position, auf der er aktuell so stark spielt. Er agiert als Mittelstürmer in Paris. Ich habe ihn eigentlich eher auf beiden Außenpositionen gesehen. Luis Enrique gibt ihm auf der Neun auch die Freiheiten, in verschiedenen Räumen aufzutauchen. Dass er so glänzt, ist auch eine Trainerleistung.
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ran: Wie sehen Sie Coach Enrique?
Michels: Er ist ein Beispiel dafür, dass es Zeit braucht, um eine Mannschaft zu formen. Er ist ein sehr erfahrener Trainer. Er hat es in einem unruhigen Umfeld wie Paris geschafft, dem Team ein etwas anderes Gesicht zu geben und auf mannschaftliche Geschlossenheit zu setzen. Das ist eine Trainerleistung. Er ist nun in seinem zweiten Jahr bei PSG, hat national schon Titel geholt und steht jetzt im Champions-League-Finale. Mit dem FC Barcelona hat er diesen Pokal 2015 in Berlin schon mal gewonnen. Er hat auch die spanische Nationalmannschaft trainiert. Ohne, dass ich ihn persönlich kenne, glaube ich, dass er in der Mannschaftsführung große Stärken hat.
ran: Wie gefährlich kann Inter Mailand für PSG werden?
Michels: Ich sehe ein 50:50-Spiel, würde nicht zu einer Seite tendieren. Für Inter spricht die mannschaftliche Geschlossenheit. Ihr gemeinsames Verteidigungsverhalten ist extrem ausgeprägt. Sie haben Leidensfähigkeit, können es aushalten, wenn sie mal keinen Ballbesitz haben, wie man gegen Bayern gesehen hat. Die Spieler haben unglaublich viel Erfahrung. Ich glaube, sie werden versuchen, tief zu stehen und die Räume eng zu machen, um die Geschwindigkeit von Paris nicht aufblitzen zu lassen. Sie werden versuchen, PSG das Tempo wegzunehmen – entweder über hohes Attackieren oder tiefes Verteidigen im Block. Zudem ist Inter unglaublich konterstark. Ich denke dabei an Thuram, Martinez und Dumfries. Es kann ein ausgeglichenes Spiel werden. Vielleicht hat Paris mehr Ballbesitz. Aber ich weiß nicht, ob Inter das so weh tun wird…
ran: Die Italiener haben den FC Bayern im Viertelfinale aus dem Wettbewerb gekegelt.
Michels: Wenn man innerhalb einer Woche zweimal gegeneinander spielt, ist es schon auch entscheidend, dass man alle Spieler zur Verfügung hat. Das war bei Bayern nicht der Fall. Auch bei uns im letzten Jahr im Halbfinale gegen Real in Madrid nicht, da mussten wir alle vier Offensiven aus Belastungs- oder Verletzungsgründen auswechseln. So etwas ist schon ein Riesennachteil. Trotzdem muss man sagen, dass Bayern auch gegen Inter die Chance hatte, weiterzukommen. Das Heimspiel verlief super unglücklich, im Rückspiel hatten sie viele Möglichkeiten. Sie hätten gewinnen können. Man kann nicht sagen, dass Inter so viel besser war.
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FC Bayern: Das ist nach Tuchel anders
ran: Vincent Kompany hat im vergangenen Sommer das Traineramt von Tuchel beim FC Bayern übernommen. Wie sehen Sie die Mannschaft seitdem?
Michels: Sehr aggressiv. Sie haben einen anderen Ansatz. Anfangs haben sie extrem hoch verteidigt, das hat sich etwas geändert inzwischen. Aber sie attackieren aggressiv, haben sehr viel Ballbesitz und vorne ist die Torgefahr nach wie vor super hoch. Was der Unterschied zu unserer Zeit ist: In der Kaderbreite ist die Mannschaft deutlich besser aufgestellt, Verletzungen kann man passender kompensieren und von der Bank kann man Spieler einwechseln, um besser zu werden. Das war bei uns leider nicht der Fall.
ran: Seit Anfang des Jahres sind Sie beim DFB der Trainerausbilder der "Pro Lizenz". Warum haben Sie sich für diesen Weg entschieden und sind nicht mit Tuchel zur englischen Nationalmannschaft?
Michels: Ich habe fast 15 Jahre mit Thomas zusammengearbeitet. Es ist ein großes Geschenk, dass ich mit ihm solche Erfahrungen machen durfte. Ich möchte etwas zurückgeben von dem, das ich erfahren konnte. Die Stelle beim DFB ist auch recht plötzlich freigeworden, weil Daniel Niedzkowski Assistent von Fabian Hürzeler bei Brighton & Hove Albion wurde. Die Position ist perfekt für mich. Ich will jungen Trainern etwas mitgeben. Die berufliche Herausforderung für mich ist, die unterschiedlichen Interessen zu bündeln und meine Erfahrungen eins zu eins zu teilen. Wir haben Trainer aus unterschiedlichen Bereichen, der eine ist U19-Coach, der andere in der Frauen-Bundesliga, Co-Trainer von Nationalmannschaften, aus der Bundesliga und mit Heiko Westermann auch ein Assistent von Hansi Flick beim FC Barcelona sind dabei. Die Inhalte sollen für alle wertvoll sein.
ran: Welche Attribute sind für Trainer am wichtigsten?
Michels: Das ist für jeden unterschiedlich. Aber für mich ist Erfahrung wichtig. Dazu sollte man sich immer tief inhaltlich mit dem Spiel beschäftigen und neugierig bleiben. Dazu braucht man auch Führungs-, Kommunikations- und soziale Kompetenzen. Man muss es schaffen, einen emotionalen Bezug zu den Spielern herzustellen. Und man sollte auch die Konsequenz haben, Dinge, von denen man überzeugt ist, durchzuziehen.
Thomas Tuchel "ist herausragend"
ran: Was konnten Sie von Tuchel lernen?
Michels: In vielen Kernkompetenzen ist er herausragend. Inhaltlich ist er wahnsinnig gut. Er wollte auch immer neue Sachen ausprobieren. Er hatte die Offenheit, um über den Tellerrand hinauszuschauen, auch etwas von anderen Sportarten zu lernen. Er hat auch die notwendige Kompetenz. Das sind Dinge, die ich mit Thomas erfahren durfte. Natürlich haben wir uns als Menschen in den ganzen Jahren auch Stück für Stück verändert. Erlebnisse und Misserfolge sind ganz wichtig für die Entwicklung eines Trainers. Wenn man scheitert, ist es wichtig, wieder aufzustehen und besser zu werden. Entscheidend ist aber auch, am Anfang der Karriere Erfolg zu haben. Als Trainer braucht man auch Anschubhilfe in Form von Erfolgserlebnissen. Sonst kann es schnell vorbei sein.
ran: In Ihrem ersten Lehrgang beim DFB, der noch bis Dezember läuft, ist auch Sandro Wagner dabei. Er hat nun als Trainer des FC Augsburg unterschrieben. Was trauen Sie ihm zu?
Michels: Ich bin mega neugierig, wie er es macht. Ich freue mich darauf, mit ihm über seine ersten Erfahrungen als Bundesliga-Trainer zu sprechen. Er hat bisher öffentlich kein Hehl daraus gemacht, dass das nach der Zeit in Unterhaching und als Co-Trainer der deutschen Nationalmannschaft sein nächstes Ziel ist. Als Ausbilder ist es schön, hautnah miterleben zu können, mit welchen Dingen sich ein Trainer, der so frisch in die Bundesliga kommt, konfrontiert sieht. Im Erfolgsfall kann man auch darüber sprechen und erfahren, warum es aus seiner Sicht so gut läuft. Er bringt auf jeden Fall viel Erfahrung als Spieler mit, die mit herausragenden Trainern zusammengearbeitet haben. Es wird spannend zu sehen, wie er seinen Weg geht.