DFB-Team schlägt Frankreich mit alten Mitteln: "Einfachheit in Perfektion bekommen"
Aktualisiert: 13.09.2023
16:01 Uhr
Chris Lugert
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Die deutsche Nationalmannschaft sendet nach verheerenden Tagen und Wochen ein Lebenszeichen - und überzeugt dabei mit Mitteln, die bereits vergessen schienen. Vor allem die Art und Weise des Sieges gegen Frankreich macht plötzlich wieder Mut Richtung Heim-EM.
Rudi Völler jubelte nach dem Schlusspfiff ausgelassen mit seinen Co-Trainern Hannes Wolf und Sandro Wagner, das ganze Stadion in Dortmund wirkte beseelt. Innerhalb von etwas mehr als 90 Minuten gegen die zuvor als übermächtig geltenden Franzosen hat die Nationalmannschaft die am Boden liegende Stimmung in Fußball-Deutschland um 180 Grad gedreht.
Dabei war der ebenso blutleere wie schockierende Auftritt bei der 1:4-Niederlage gegen Japan erst 72 Stunden her. Es folgte die Entlassung von Bundestrainer Hansi Flick und die Grundsatzfrage, wozu dieses Team nach Monaten des Niedergangs überhaupt noch fähig ist. Gegen Frankreich gaben die Spieler eine eindrucksvolle Antwort.
Es war nicht unbedingt nur die spielerische Komponente, die beim 2:1-Sieg überzeugte. Was den Fans auf der Tribüne und vor den Fernsehgeräten vor allem gefallen haben dürfte, war die Einstellung. Einsatz, Wille, Leidenschaft - was das DFB-Team seit Monaten vermissen ließ, war plötzlich wieder da.
"Wir wussten, wir müssen über die Arbeitsmoral kommen", erklärte es Torschütze Thomas Müller in der "ARD" und schob mit ähnlicher Tonalität nach: "Wir wussten, dass wir heute viel leiden müssen." Arbeit und Leidensfähigkeit - genau die Attribute also, die einst sinnbildlich für den deutschen Fußball standen, irgendwo in der jüngeren Vergangenheit aber verloren gingen.
Dass "Maloche" keine leere Hülse im Fußball ist, schon gar nicht im deutschen Fußball, bewiesen die Fans ausgerechnet im Ruhrpott. Sie feierten die Mannschaft, weil von der ersten Minute an spürbar war, was sie sich vorgenommen hatte. "Es war Balsam für die Seele, für die Fans und für uns. Wir haben uns voll reingehauen", erkannte auch Torwart Marc-Andre ter Stegen.
Der Keeper des FC Barcelona lieferte sogleich eine Erklärung, warum diese Leistung plötzlich möglich war - und indirekt auch, warum es zuvor nicht klappte. "Wir wollten eine Struktur haben, die relativ einfach ist. Manchmal ist es mehr, die Einfachheit in Perfektion zu bekommen", wählte er malerische Worte.
DFB-Team: Mit den Basics zurück zum Erfolg
Auch Müller pflichtete ihm bei: "Wir haben uns ein bisschen mehr auf die Basics des Fußballs konzentriert, um ein Ergebnis zu machen, und nicht, dass wir Deutschland sind und immer schönen Fußball spielen müssen." Heißt: Die Tendenz zur taktischen Verkünstelung eines dann doch recht einfachen Spiels, die in den vergangenen Jahren immer weiter zugenommen hatte, war offenbar der falsche Weg.
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Manchmal ist es mehr, die Einfachheit in Perfektion zu bekommen.
Marc-Andre ter Stegen, über den Matchplan gegen Frankreich
Der Unterschied in der Art und Weise des Auftritts im Vergleich zu den vorherigen Partien war frappierend. Energie statt Lethargie, Freude statt Frust - und vor allem: Teamgeist statt Alleinunterhalter.
Teamgeist war wieder zu erkennen
"Wichtig war für uns, dass wir es geschafft haben, alles, was außen herum passiert, auszublenden und einfach auf unsere Leistung als Mannschaft zu gucken, dass wir uns auf dem Platz unterstützen, füreinander da sind, kommunizieren. Das haben wir über weite Strecken in dem Spiel gemacht", befand Jonathan Tah, der als Rechtsverteidiger neu in die Mannschaft rückte und stark aufspielte.
Tatsächlich wirkte es in Dortmund erstmals seit Ewigkeiten so, als stand eine echte Einheit auf dem Feld. Einer für alle, alle für einen. Noch so ein Grundelement im Fußball, das selbstverständlich sein sollte, es bei der deutschen Mannschaft zuletzt aber nicht war.
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Auftrag für den neuen Bundestrainer ist klar
Interimstrainer Völler war stolz, als er sah, wie seine Mannschaft in der zweiten Halbzeit "wunderbar gefightet" hat: "Es tut einfach gut nach den letzten Spielen." Der 63-Jährige schloss erneut kategorisch aus, bis zur EM Bundestrainer zu bleiben. Gemeinsam mit DFB-Präsident Bernd Neuendorf und Hans-Joachim Watzke wird er nun den passenden Kandidaten suchen.
Was dieser mitbringen muss und vor allem den Spielern mitgeben sollte, ist gegen Frankreich deutlich geworden. "Es freut mich, dass wir heute die Energie gespürt haben. Das war enorm wichtig. Ich finde es insgesamt total wichtig, dass wir unseren eigenen Stil wiederfinden, unseren deutschen Stil, die Tugenden", brachte es "ARD"-Experte Bastian Schweinsteiger auf den Punkt.
Neue Vorfreude auf die EM
Das Spiel gegen starke Franzosen, das die deutsche Mannschaft aus der Außenseiterrolle in einer außergewöhnlichen Situation bestritt, ist keine Blaupause für jeden Gegner und jede Situation. Auf dem Weg zur und während der Heim-EM wird gegen gewisse Gegner auch der spielerische Faktor eine Rolle einnehmen müssen.
Allerdings: "Basics heißen Basics, weil sie immer da sein sollten", sagte Müller. Dass sie das jetzt vielleicht endlich wieder sind, ist schon einmal eine gute Nachricht. Und ein fast schon verloren geglaubter Grund, Vorfreude auf die Europameisterschaft zu verspüren.
Die nächsten Spiele im Oktober müssen zeigen, ob das Frankreich-Spiel eine der besonderen Umstände geschuldete Ausnahme war - oder nur der Auftakt zu einer neuen, alten Epoche des deutschen Fußballs.