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FIFA Klub-WM: Das wilde Projekt des FC Chelsea - blinde Kaufsucht oder geniales Erfolgsmodell?
- Veröffentlicht: 12.07.2025
- 10:15 Uhr
- Chris Lugert
Der FC Chelsea wirkt in den vergangenen Jahren, als würde er von einem hyperaktiven Fan eines Videospiels geführt. Das Transfergebaren des Klubs wirft viele Fragen auf, doch allmählich stellt sich der Erfolg ein.
Von Chris Lugert
Es ist gut zwölf Jahre her, als die berüchtigte "Trainingsgruppe 2" beim Bundesligisten TSG Hoffenheim für Schlagzeilen sorgte. Weil der Kader übergroß war und zahlreiche Spieler auf dem Abstellgleis standen, richtete der Verein eine spezielle Trainingsgruppe für die Aussortierten ein. Unter anderem Tim Wiese gehörte dazu. Zwei Monate bestand diese Gruppe, ehe sie aufgelöst wurde.
Beim FC Chelsea könnten sie aktuell sogar über drei Trainingsgruppen nachdenken, wenn der Tross von der Klub-WM aus den USA und dem anschließenden Urlaub zurückkehrt. Denn derzeit stehen sage und schreibe 46 (!) Spieler bei Chelsea für die erste Mannschaft unter Vertrag. Allein elf Akteure kehrten von diversen Leihstationen zurück.
Dieser Wildwuchs ist das Ergebnis eines fast schon abenteuerlichen Transfergebarens, das der Klub in den vergangenen Jahren an den Tag gelegt hat. Und bei dem zuweilen der Eindruck entstehen konnte, die Verantwortlichen hätten das reale Leben mit einem Extrem-Modus im Videospiel "Football Manager" verwechselt. Alles kaufen, was es gibt - und dann sehen, was daraus wird.
Dabei stand Chelsea einmal für deutlich mehr Seriosität, doch seit der Übernahme des Klubs durch Todd Boehly im Mai 2022 wurde der Verein umgekrempelt. Die Ära Roman Abramowitsch, die nun wahrlich nicht unerfolgreich war, wurde in Rekordzeit ausgelöscht. Fun Fact: Vom Kader, der im Februar 2022 die Klub-WM gewonnen hat, sind noch ganze zwei Spieler übrig: Reece James und Trevoh Chalobah.
Chelsea unter Boehly: 1,6 Milliarden Euro für Transfers
Angesichts des atemberaubenden Tempos, mit dem sich das Gesicht des Klubs seither gewandelt hat, konnten selbst eingefleischte Chelsea-Fans den Überblick verlieren. Doch es war nicht nur die reine Anzahl an Transfers, auch die Summen und Strukturen der Deals sorgten überall für Aufsehen.
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In der Saison 2022/23, der ersten unter Boehlys Regentschaft, investierte Chelsea 630 Millionen Euro (!) in Transfers - bei gleichzeitigen Erlösen von fast schon vernachlässigbaren rund 67 Millionen Euro. Auch in den Jahren danach blieb Chelsea umtriebig, insgesamt gab Chelsea unter Boehly bereits 1,6 Milliarden Euro für Transfers aus - in nur vier Jahren.
Die neu eingekauften Spieler wurden zudem mit Verträgen über sieben oder gar mehr Jahre an den Verein gebunden - etwas, das der Fußball so noch nicht gesehen hatte. Der Grund dafür hat vor allem buchhalterische Gründe. Ablösesummen können in den Bilanzen über die Vertragslaufzeit hinweg abgeschrieben werden.
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Je länger der Vertrag läuft, desto geringer ist die Summe, die pro Jahr in den Büchern auftaucht. Gleichzeitig sitzt der Klub im Zweifel aber ewig auf Spielern, die die Erwartungen nicht erfüllen und auf der Verkaufsliste landen, jedoch nicht gehen wollen. Das versucht Chelsea zu umgehen, indem man die Jahresgehälter aufgrund der langen Vertragslaufzeit ebenfalls niedriger ansetzt.
Chelsea feiert zunehmend Erfolge auf dem Platz
Dabei wäre es schlicht falsch und vermessen, Chelsea eine blinde Kaufwut zu attestieren. Denn die Neueinkäufe folgen nahezu alle einem bestimmten Schema. Sie sind jung, extrem talentiert und bestenfalls noch nicht so bekannt. Und Chelsea verfolgt diesen Weg überaus konsequent, inzwischen stellen die Blues mit rund 23 Jahren im Schnitt den jüngsten Kader der Premier League.
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"Das ist die Art und Weise, wie dieser Markt funktioniert", erklärte Boehly. "Ich sehe das weder als gut noch als schlecht an." Es gehe darum, eine langfristige Basis aufzubauen. "Und wie? Man identifiziert ein jüngeres Portfolio von Spielern, die über einen langen Zeitraum hinweg beständig und zuverlässig sind - und das ist eine Option, die wertvoll ist", sagte der US-Milliardär.
Chelsea verfolgt eine klare Strategie, deren Erfolg sich allmählich auch einstellt. In der Conference League trat der Londoner Klub zwar als haushoher Favorit an und hatte bis auf Finalgegner Real Betis Sevilla kaum einen gleichwertigen Kontrahenten. Doch die junge Mannschaft wurde den Erwartungen auch gerecht und gewann den Titel - was trotz allem kein Automatismus ist.
In der Premier League schaffte Chelsea trotz namhafter Konkurrenz den Sprung unter die Top-4 und damit die Qualifikation für die Champions League. Und bei der Klub-WM gelang - auch dank eines machbaren Turnierbaums - der Marsch bis ins Finale.
Klub-WM gibt Chelsea finanziell Luft zum Atmen
Sowohl die Teilnahme an der Champions League als auch der Erfolg bei der Klub-WM lassen die Kassen an der Stamford Bridge mächtig klingeln. Durch den Finaleinzug beim Turnier in den USA hat Chelsea umgerechnet bereits rund 89 Millionen Euro sicher - weitere 34 Millionen Euro kämen durch einen Sieg über Paris Saint-Germain hinzu.
Es sind wichtige Einnahmen für einen Klub, der sich auch den durchaus strengen Finanzregeln der Premier League unterwerfen muss. Diese besagen, dass ein Klub über einen Zeitraum von drei Jahren umgerechnet maximal 121 Millionen Euro Verlust machen darf, wobei bestimmte Ausgaben wie Investitionen in die Jugendakademie, Infrastrukturprojekte oder gemeinnützige Initiativen nicht angerechnet werden.
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Chelsea selbst zeigte sich in jüngster Vergangenheit bezüglich der Vorgaben entspannt und verwies auf die deutlich gesunkenen Gehaltskosten sowie auf Erlöse bei den Spielerverkäufen jenseits der 600 Millionen Euro. Bei den Untersuchungen durch die Premier League wurde dem Klub die Einhaltung aller Richtlinien auch bescheinigt - anders als etwa dem FC Everton, dem in der Saison 2023/24 sechs Punkte abgezogen wurden.
Doch Tatsache ist auch, dass besonders die Saison 2024/25, die noch nicht in die Bewertungen eingeflossen ist, finanziell schmerzhaft war. Die Teilnahme an der Conference League brachte nur einen Bruchteil dessen ein, was in der Champions League verdient wird. Zudem ist Chelsea seit vergangenem Jahr ohne Haupt- und Trikotsponsor unterwegs, wodurch jährlich ebenfalls Millioneneinnahmen fehlen.
Chelsea senkt Defizit mit zweifelhaftem Deal
Letzteres war jedoch bewusst einkalkuliert, um keinen Vertrag abschließen zu müssen, wenn Chelsea in der Conference League spielt und damit weniger attraktiv ist. Jene sportliche und damit folglich auch werberelevante Attraktivität des Vereins ist in den vergangenen Monaten jedoch deutlich gestiegen, was den Wert eines Sponsorendeals nach oben treibt.
Allerdings musste Chelsea zur Einhaltung der Finanzregeln im vergangenen Herbst bereits zwei Hotels an eine Firma verkaufen, die Boehly gehört. Mit den Erlösen wurde das operative Defizit Berichten zufolge auf ein erlaubtes Maß gesenkt. Chelsea agiert also an der Kante des Erlaubten und teils mit Taschenspielertricks, um seine Finanzen im erträglichen Rahmen zu halten.
Ein Kurswechsel ist nicht zu erkennen. Für den Sommer 2025 steht der Klub bereits Mitte Juli wieder bei mehr als 240 Millionen Euro Transferausgaben, jüngst wurde der Dortmunder Jamie Gittens als bisheriger Chelsea-Rekordtransfer dieser Periode verpflichtet. Gut 64 Millionen Euro zahlen die Engländer an den BVB - deutlich über Marktwert.
Gleiches gilt für Stürmer Joao Pedro, der von Brighton kam und nur geringfügig günstiger war als Gittens, aber noch für die Klub-WM nachnominiert werden konnte. Mit einem Doppelpack im Halbfinale gegen seinen früheren Klub Fluminense schoss er Chelsea fast im Alleingang ins Endspiel. Sportlich klappt derzeit alles, was sich der Verein vornimmt.
Chelsea auf dem Weg zum Mount Everest?
Nach der Klub-WM stehen dann aber die umfangreichen Aufräumarbeiten im völlig aufgeblähten Kader bevor. Kandidaten, um Geld einzunehmen, gibt es mehr als genug. Noni Madueke soll sich bereits mit Arsenal einig sein, Rückkehrer Joao Felix möchte am liebsten zurück zu Benfica.
Und Nicolas Jackson muss sich plötzlich mit zwei neuen Konkurrenten - Pedro und Liam Delap - auseinandersetzen und könnte das Weite suchen. Zudem dürften viele der übrigen Leihrückkehrer ohne Zukunft sein, darunter Carney Chukwuemeka, der an den BVB verliehen war. Chelsea steht dabei unter Druck, Einnahmen auch realisieren zu müssen.
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Dennoch steht der Neuaufbau des Vereins unter Boehly noch nahezu am Anfang. Zuletzt wurde die Situation im Umfeld des Klubs mit dem Basislager am Mount Everest verglichen - man legt den Grundstein zum Sturm Richtung Gipfel.
Trainer Enzo Maresca soll auch in den kommenden Jahren der Architekt dieses Aufstiegs sein. Er verwies zuletzt auf die lange Zeit, die Pep Guardiola bei Manchester City, Jürgen Klopp beim FC Liverpool und Mikel Arteta beim FC Arsenal gebraucht haben, um ihre Mannschaften aufzubauen. Dorthin will auch Chelsea.
Ob das allerdings rein mit jungen Spielern klappen kann? Ältere Spieler, die einen hungrigen Kader ergänzen, können manchmal den Unterschied machen. Chelsea aber holt keine Erfahrung von anderen Klubs, sondern will den Kader selbst wachsen lassen. Ein Modell, das den gesamten Prozess noch einmal verlängert.
Doch der Verein ist von seinem Weg überzeugt. Die Zukunft wird zeigen, ob die aktuellen Entwicklungen der Startschuss für einen neuen Riesen sind. Oder ob das einzig riesige bei Chelsea auch künftig die überdimensionierten Kader sein werden.