Nations League
DFB-Team: Julian Nagelsmann vor schwerer Aufgabe - nach dem Hype kommt die Realität
- Veröffentlicht: 06.06.2025
- 10:05 Uhr
- Justin Kraft
Nach dem 1:2 gegen Portugal in der Nations League herrscht Ernüchterung in Deutschland. Auch Julian Nagelsmann muss sich hinterfragen.
Von Justin Kraft
Das Unwetter, das München vor dem Halbfinale in der Nations League gegen Portugal heimsuchte, hatte beinahe prophetischen Charakter. Dicke Hagelkörner kamen aus dem Abendhimmel und fielen auf den grünen Rasen, der nach dem Champions-League-Finale mühsam wieder auf Vordermann gebracht werden musste.
Auf Vordermann gebracht hatte Julian Nagelsmann in den letzten Monaten die deutsche Fußball-Nationalmannschaft. Die war vor seinem Amtsantritt in deutlich schlechterem Zustand als das Grün in der Allianz Arena, das von feiernden PSG-Fans und -Spielern bearbeitet wurde.
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Prophetisch war der Hagel aber nicht wegen dieser etwas konstruierten Parallele. Viel mehr folgte auf das Unwetter eine schwache Leistung, die man so von Deutschland nicht mehr gewohnt war. Seit dem Viertelfinal-Aus bei der EM vor ungefähr einem Jahr gegen Spanien verlor die Mannschaft von Nagelsmann kein Spiel mehr. Drei Unentschieden, fünf Siege und 23:8 Tore lautete die Bilanz.
Dann kam "eines unserer schwächeren Spiele" in den letzten Jahren, wie der Bundestrainer hinterher im "ZDF" zugab. Auch Joshua Kimmich fand deutliche Worte. "Nach unserem 1:0 war es gar nichts mehr", sagte der Kapitän.
Das Wichtigste in Kürze
Gründe für den schwachen Auftritt gab es einige. Aber in der Analyse darf bei allen Erklärungsansätzen auch der Trainer nicht zu kurz kommen.
Julian Nagelsmann: Personalsituation erschwert seinen Job
"Wenn wir nicht bei 100 Prozent sind, können wir mit den Top-Nationen nicht mithalten", sagte Nagelsmann. Kimmich erklärte, dass man schon "sehr viel Glück" brauche, wenn man nicht jeden Spieler "am Limit" habe. Davon war die DFB-Elf am Mittwoch weit entfernt.
Natürlich ist es mehr als nur eine Ausrede, wenn mit Kai Havertz, Jamal Musiala und Antonio Rüdiger drei Stammspieler ausfallen. Auch Yann Bisseck, Jonathan Burkardt, Angelo Stiller, Nico Schlotterbeck, Tim Kleindienst und Nadiem Amiri fehlten. Eine Verletztenliste, die nahezu jeder Nation Probleme bereiten würde.
Ein großes Problem für Deutschland ist es, dass der Kader keine besondere Breite hergibt. Sind alle fit und in Form, kann man es wohl mit jeder Nation aufnehmen. Schaut man sich aber an, was Teams wie England, Frankreich, Spanien oder Portugal auch von der Bank oder gar von der Tribüne aus nachlegen können, ist die ernüchternde Erkenntnis, dass der DFB hier großen Aufholbedarf in der Talententwicklung hat.
Das alles darf ebenso wenig vergessen werden wie die Tatsache, was Nagelsmann in seiner bisherigen Amtszeit erreicht hat. Der ehemalige Trainer des FC Bayern hat das DFB-Team aus einem Tief geholt und dafür gesorgt, dass die Mannschaft bei der Heim-EM, aber auch darüber hinaus zu begeistern wusste.
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DFB-Team: Die Erwartungshaltung ist wieder gewachsen
Und doch ist Deutschland nun mal eine große Fußballnation – oder will es zumindest sein. Mit der Europameisterschaft im vergangenen Jahr war man hierzulande vor allem deshalb zufrieden, weil die Erwartungshaltung zu Recht niedrig war. Zu viele Enttäuschungen hatte es in den Vorjahren gegeben, da war dieser Auftritt erfrischend. Er fühlte sich an wie ein Aufbruch.
Klar ist aber auch, dass Nagelsmann nicht ewig davon leben kann, dass er etwas angestoßen hat. Der nächste Schritt nach vorn wird spätestens bei der WM 2026 erwartet. Das ist der Anspruch der Fans, aber auch sein eigener. Dahingehend war die Partie gegen Portugal ein besorgniserregender Rückschritt. Einer, der sich trotz spektakulärer Phasen auch gegen Italien im Viertelfinale bereits angedeutet hat, als Deutschland eine komfortable Führung beinahe noch herschenkte.
Nagelsmann weiß genau darum, dass sein Kader nicht diese Vielfalt auf höchstem Niveau bietet. Dass seine Spieler im Durchschnitt trotz einiger Ausnahmen etwas schwächer sind als die Konkurrenz – insbesondere, wenn einige der wichtigen Stützen ausfallen. Auch deshalb betonten er und Kimmich so oft, dass man immer bei 100 Prozent sein müsse, wenn es gegen die Top-Teams gehe.
Übertreibt es Julian Nagelsmann mit den Wechseln?
Entsprechend versucht der taktisch versierte Coach es hier und da auch mit Taktikkniffen. In den Duellen mit der Niederlande oder im Hinspiel gegen Italien gelang ihm das mit kleinen Anpassungen im Anlaufverhalten und in der Art und Weise, wie das Team mit dem Ball agierte, ziemlich gut.
Gegen die Italiener beispielsweise versuchte es Nagelsmann zunächst mit einer sehr beweglichen und technisch versierten Offensive. Im zweiten Durchgang wechselte er mit Kleindienst und David Raum zwei Spieler ein, die das Flankenspiel verstärkten – und Deutschland so in Führung brachten.
Nagelsmann hängt aber auch der Ruf nach, die Dinge manchmal zu kompliziert zu denken. Beim EM-Aus überraschte er mit Emre Can in der Startelf, der keine gute Saison hinter sich hatte und erst als Nachrücker nominiert wurde.
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Der Dortmunder zeigte fast schon erwartungsgemäß keine gute Leistung, wirkte unsicher und strahlte Gefahr aus – für sein eigenes Team.
Auch gegen Italien überraschte Nagelsmann im Rückspiel, als er auf eine Dreierkette umstellte – ebenfalls mit überschaubarem Erfolg. Gegen Portugal gab er dieser Idee nun die zweite Chance. Wieder wirkte das Team defensiv anfällig und unsicher.
Julian Nagelsmann und das DFB-Team: Ausrutscher oder große Sorgen?
Hinzu kamen drei Wechsel kurz nach dem Führungstreffer. Gerade als Deutschland sich mit etwas Glück in dieses Spiel gebissen hatte, wechselte Nagelsmann Niclas Füllkrug, Serge Gnabry und Robin Gosens ein. Drei Spieler, die entweder außer Form sind oder lange nicht Teil dieses Teams waren oder sogar beides.
Kurz darauf hatte Portugal seine stärkste Phase im Spiel und entschied die Partie für sich. Es gibt viele Fragen, die man dem Bundestrainer aktuell stellen könnte. Zum Beispiel, ob Maximilian Mittelstädt trotz eines David Raum die bestmögliche Lösung für eine offensive Rolle auf dem Flügel war.
Für Nagelsmann ist es der erste mindestens kleine Dämpfer, der auf das zu Recht gefeierte Hoch folgte. Ein Dämpfer, den er mitzuverantworten hat. Allerdings hat der immer noch junge, aber sehr erfahrene Trainer schon mehrfach in seiner Karriere bewiesen, dass er aus Fehlern lernen kann.
Klar ist auch, dass nicht viel passiert ist. Zwar ist der nächste Titel für Deutschland erstmal weg, aber bis zum viel größeren Ziel im kommenden Jahr ist noch einiges an Zeit. Allerdings wird es für Nagelsmann in diesem Jahr darum gehen, die immer noch guten Ansätze so zu vollenden, dass dann eine noch konkurrenzfähigere Mannschaft auf dem Rasen steht als bei der EM 2024.
Rückblickend wird sich dann zeigen, wie prophetisch der Hagelsturm von München tatsächlich war. Letztlich hat dieser zumindest weniger Schaden angerichtet, als es vom Deutschen Wetterdienst prognostiziert wurde. Das könnte in Zukunft auch für Nagelsmann und das DFB-Team gelten.
Dafür muss zur WM aber noch einiges passieren. Gegen Frankreich wird sich am Samstag zeigen, wie viel Ausrutscher in dem Auftritt gegen Portugal steckte und wie groß die Sorgen tatsächlich sind.