Formel 1
Formel 1 - Lando Norris vs. Oscar Piastri - Christian Danner: "Für ihn gibt’s nur eine Strategie: gar nichts denken"
- Veröffentlicht: 22.11.2025
- 14:20 Uhr
- Andreas Reiners
Christian Danner spricht im ran-Interview über den Titel-Showdown in der Formel 1, einen möglichen WM-Knall, Max Verstappens Rolle und den Einfluss der Papaya Rules bei McLaren.
Das Interview führte Andreas Reiners
Oscar Piastri macht’s. Der Australier wird Weltmeister.
Christian Danner hatte sich bei ran recht früh auf den Champion 2025 festgelegt. Vor den letzten drei Rennwochenenden der Formel 1 hat der McLaren-Star 24 Punkte Rückstand auf seinen Teamkollegen Lando Norris, der die WM-Wertung anführt.
Auch Max Verstappen (Red Bull Racing) hat 49 Zähler hinter Norris noch rechnerische Chancen auf den Titel.
Wir haben den früheren F1-Fahrer Danner im ran-Interview auf seinen WM-Tipp angesprochen, aber auch über die Gründe für die WM-Wende, Norris in Bestform, die Papaya Rules, einen möglichen WM-Knall und eine Piastri-Flucht gesprochen.
Das Wichtigste in Kürze
Piastri-Probleme: "Extrem schwer zu greifen"
ran: Christian Danner, Sie hatten sich bei ran früh auf Oscar Piastri als Weltmeister festgelegt. Haben Sie schon aufgegeben?
Christian Danner: (lacht) Nein, natürlich nicht. Aber im Moment hat Norris die besseren Karten. So ist die Formel 1: Man kann viel einschätzen, man kann mit seinem Fachwissen Prognosen abgeben und trotzdem läuft es manchmal anders. Ich bleibe aber dabei: Piastri kann das noch drehen. Auch wenn es nicht mehr ganz so wahrscheinlich ist, eine persönliche Meinung darf man ja behalten.
ran: Lange lief alles für ihn. Was ist schiefgelaufen? Wo hat er den Faden verloren?
Danner: Das ist extrem schwer zu greifen. Eigentlich war er der Schnellere, hatte alles im Griff, ist souverän gefahren. Und plötzlich war Lando Norris schneller. Die Frage ist: Lag es an Norris, der eine Form von versteckter Genialität wieder ausgepackt hat? Oder lag es an Piastri, bei dem irgendetwas nicht mehr funktioniert hat? Wahrscheinlich kam vieles zusammen: Technik, Pech, Tagesgeschehen. Und plötzlich hängst du hinterher. In Vegas wird es für McLaren generell schwieriger – zu wenig Kurven. Katar und Abu Dhabi dagegen sind wieder absolute McLaren-Strecken. Mal sehen, wie sich Piastris Form dort stabilisiert. Ganz genau wissen wir nicht, warum er diesen Durchhänger hat.
ran: Wie viel Einfluss hatten die "Papaya Rules"?
Danner: Die basieren vor allem auf der Erfahrung von Teamchef Andrea Stella, der ja unter anderem mit Schumacher Weltmeister wurde. Der Mann hat unfassbar viel Erfahrung. Und er sagt: Die Fahrer sollen Vertrauen ins Team haben – auch mittelfristig. Nur so vermeidest du eine giftige Atmosphäre, in der vernünftiges Arbeiten unmöglich ist. Dieses Prinzip hat McLaren in den Papaya Rules festgehalten: Fairness, Gleichbehandlung, keine klassische Nummer-eins-Regelung. Der zweite Punkt ist sogar noch ungewöhnlicher.
ran: Warum?
Danner: Zak Brown ist wohl der einzige CEO in der F1-Geschichte, der jemals gesagt hat, dass ihm faire, ehrliche Racing-Duelle seiner Fahrer wichtiger sind als der WM-Titel. Wenn dadurch also der "Falsche" Weltmeister wird – egal. Das hat mich überrascht, so etwas hab ich noch nie gehört. Aber am Ende muss man akzeptieren, wenn ein Team diesen Weg gehen will. Sportlich ist es spannend zu sehen, ob das hält oder ob es irgendwann doch den Rückfall in die harten, brutalen Zeiten gibt, die im Motorsport jahrzehntelang normal waren.
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ran: Wurde Piastri unter dem Strich benachteiligt?
Danner: Nein. Benachteiligung sehe ich keine. Er hatte oft schlicht Pech, und solche Dinge summieren sich. Er könnte heute deutlich näher dran sein, in direkter Schlagdistanz. Aber das bringt jetzt nichts. Wir leben im Jetzt, und aktuell ist Norris vorne. Und eines ist sicher: Piastri hat nicht aufgegeben. Der denkt nicht in "schaffe ich nie wieder". Der fährt die letzten Rennen – inklusive Sprint – mit vollem Einsatz. Erst wenn die letzte Runde des letzten Rennens vorbei ist, hakt er die Saison ab. Bis dahin ist er komplett fokussiert.
ran: Die Saison hat ja einige Momentum-Wechsel gesehen. Glauben Sie an eine erneute Wende?
Danner: Wenn Norris einmal patzt, irgendwo in der Mauer landet und Piastri das Rennen gewinnt, sieht die Welt sofort anders aus. Die Fehlerrate, das Rennglück – solche Faktoren werden am Ende entscheiden. Ich glaube nicht, dass die letzten Rennen einfach so vor sich hinplätschern. Das wird noch mal richtig spannend.
ran: Knallt es vielleicht doch noch bei McLaren? Wir haben in der Formel 1 ja schon alles erlebt…
Danner: Ich war ja derjenige, der von Anfang an gesagt hat: Wartet mal ab, wenn es in die Endphase geht, dann knallt’s. Bis jetzt ist es nicht passiert – Hut ab vor Stella und Brown, wie sie das managen. Ganz ausschließen würde ich es aber nicht. Das liegt einfach in der Natur der Sache. Ein Verstappen lacht sich über die Papaya Rules kaputt. Der fährt nach dem Motto: "Ich komme zuerst, der Rest stellt sich hinten an." Dass McLaren dagegen auf völlige Gleichbehandlung setzt, ist eine komplett andere Welt. Ich hätte nicht gedacht, dass das so lange funktioniert. Bis jetzt klappt’s, aber eine gewisse Grundskepsis bleibt.
Formel 1: "Psychologie spielt eine riesige Rolle"
ran: Skepsis gab es auch immer bei Lando Norris, weil er früher im entscheidenden Moment Fehler eingebaut hat. Was hat sich bei ihm verändert – im positiven Sinne?
Danner: Psychologie spielt eine riesige Rolle. Dass er überragend schnell ist, wusste jeder. Und dass er in langsamen Kurven besonders stark ist, ebenfalls. Aber es geht nicht nur ums Talent. Es ist ein Zusammenspiel aus Technik, Abstimmung, Gefühl für die Reifen und der Art, wie man ans Fahren herangeht. Jeder Fahrer muss seinen eigenen Stil und sein Gefühl finden. Und Norris hat für sich genau den Punkt entdeckt, an dem alles zusammenpasst. Deshalb wirkt sein Fahrstil jetzt so rund, deshalb kommen diese Zeiten zustande. Ob er das immer reproduzieren kann und auch dann, wenn es mal nicht so gut läuft, oder ob er dann mal wieder in die Wand fährt, wissen wir nicht. Aber man muss ihm ein großes Kompliment machen: Er hat sich aufgerappelt, sich neu eingestellt und bringt das jetzt konstant auf die Strecke. Das ist eine echte Leistung.
ran: Norris gehörte immer zu den beliebten Piloten. Warum ist er jetzt der Buhmann?
Danner: Die Fans können vor Ort manchmal brutal unfair sein. Einen Lando Norris auszubuhen, nachdem er in Brasilien überragend, fehlerfrei und auf absolutem Topniveau gefahren ist – das ist fehl am Platz. Das macht man nicht. Klar, es gibt Fans, die einen "Härteren" wie Verstappen besser finden – geschenkt. Und ja: Norris kommt aus sehr wohlhabenden Verhältnissen, ist ein Rich Kid, ist im übertragenen Sinne in Watte großgeworden. Manche Zuschauer wollen eher die raue Fighter-Story. Kann man mögen, ist aber kein Argument dafür, ihn auszubuhen. Er ist sensationell gefahren. Von mir kriegt er dafür nur Applaus.
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ran: Was macht das mit einem Fahrer? Kann ihn das noch negativ beeinflussen?
Danner: Das trifft jeden. Egal ob Skifahrer, Leichtathlet oder Fußballer – Ausbuhen tut weh. Das belastet. Ignorieren kann das keiner komplett. Aber wird das die Leistung von Lando Norris beeinflussen? Ich glaube nicht.
ran: Behält er also trotzdem im Endspurt die Nerven?
Danner: Ja. Er wirkt im Moment sehr stabil. Das sollte gutgehen.
ran: Wie geht man in seiner Situation die letzten Rennen denn taktisch an? Auf Punkte fahren oder All-in?
Danner: Für ihn gibt’s nur eine Strategie: gar nichts denken. Gar nichts. Einfach ins Auto steigen, Spaß haben, Gas geben – fertig. Alles andere führt nur zu Komplikationen.
Danner-Lob für Verstappens Saison
ran: Falls Norris den Titel holt – sucht Piastri dann das Weite? Gerüchte gibt es genug…
Danner: Nein, auf keinen Fall. Es ist immer eine Frage der Alternativen. Selbst wenn er nicht Weltmeister wird, sitzt Piastri in einem der aktuell besten Autos. Ob das nächstes Jahr wieder so ist, sehen wir dann, aber die Chancen stehen gut, dass McLaren weiterhin ein Topteam bleibt. Und wohin sollte er gehen? Zu Ferrari, um dort der nächste Hamilton zu werden? Zu Mercedes, wo sowieso alles besetzt ist? Oder zu Red Bull, um neben Verstappen zu fahren? Ich weiß nicht, ob das besonders erstrebenswert wäre. Ehrlich: Piastri ist bei McLaren bestens aufgehoben. Deshalb halte ich die Wechselgerüchte für ziemlich unrealistisch.
ran: Welche Rolle kann Max Verstappen noch spielen?
Danner: Der funkt da vorne voll mit rein. Für ein Team, das eigentlich unter sich den WM-Titel ausfahren sollte, ist das ein unangenehmer Faktor. Verstappen ist ein Troublemaker im besten motorsportlichen Sinne. Und selbst als er seinen Durchhänger hatte, konnte ich ihn nicht abschreiben. Das macht man bei Verstappen nicht. Der ist ein echter Kämpfer. Red Bull scheint inzwischen auch herausgefunden zu haben, wo ihr technisches Problem lag. Was wir in Sao Paulo gesehen haben, war das klar schnellste Auto des Rennens. In Las Vegas erwarte ich ihn wieder stark. Rechnerisch ist für ihn noch alles offen, aber realistisch gesehen ist es angesichts des Rückstandes nicht besonders wahrscheinlich.
ran: Wie beurteilen Sie seine Saison? Hätte er trotz des verpassten Titels bewiesen, dass er der beste Fahrer ist?
Danner: Das ist immer eine heikle Beurteilung. Was man aber ganz klar sagen muss: Verstappen holt aus jeder Situation das Maximum. Das tut er mit einer bemerkenswerten Abgeklärtheit. Der ist komplett in Kontrolle. Selbst in extrem stressigen Rennsituationen funkt er noch locker, macht Witze, stellt Fragen. Das ist beeindruckend.