FC Bayern München: Wie groß wird der Umbruch im Sommer?
Aktualisiert: 04.04.2024
10:14 Uhr
Justin Kraft
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Der FC Bayern München will sich im Sommer neu aufstellen. Spekulationen gibt es seitdem ausreichend. Ist nur die Hälfte davon wahr, muss der FCB den halben Kader erneuern. Doch welches Ausmaß an Veränderung ist tatsächlich notwendig?
"Wir müssen den richtigen Trainer finden, der zu Bayern München passt, und dann die Spieler, die zu diesem Trainer und zum Verein passen", sagte Max Eberl bei seiner Vorstellung in der Allianz Arena Ende Februar.
Mit 13 Punkten Rückstand auf Bayer Leverkusen in der Bundesliga, einer freien DFB-Pokal-Woche und einem schweren Los in der Champions League vor der Brust ist jedoch klar: Auch im Kader muss sich einiges verändern.
Darum macht auch der FC Bayern selbst keinen Hehl. Eine "sportliche Neuausrichtung" kündigte beispielsweise CEO Jan-Christian Dreesen für den Sommer an. "Wenn Spieler nicht mehr hier sein wollen", erklärte auch Eberl im Interview mit der "Sport Bild": "Muss man Entscheidungen treffen."
Dass der Sportvorstand für diese idealerweise einen feststehenden Trainer braucht, ist klar. Gleichwohl zeigen die letzten Jahre, dass die Probleme nicht ausschließlich auf der Trainerbank sitzen. Einige Trainer mit großer Qualität scheiterten seit dem Ende von Pep Guardiola in München an diesem Klub.
Es verwundert daher kaum, dass medial über einen Umbruch von besonderem Ausmaß berichtet wird, der dem Rekordmeister bevorstehen soll. Bleiben zwei entscheidende Fragen: Wie groß kann dieser Umbruch realistisch betrachtet tatsächlich sein? Und welche Baustellen sollten Priorität haben?
FC Bayern vor großem Umbruch: Was bedeutet groß?
Um sich dem Thema anzunähern, lohnt es sich, auf die jüngere Vergangenheit zu schauen. Wie viele Spieler hat der FC Bayern in einem bestimmten Zeitraum durchschnittlich pro Saison verkauft? Wo lag das Maximum?
Berücksichtigt man nur Spieler, die im Kader zu den zwei Dritteln mit der meisten Spielzeit zählten, haben die Bayern in den vergangenen 15 Spielzeiten, also beginnend mit der Saison 2009/10, durchschnittlich 3,66 Spieler pro Saison abgegeben. Winter- und Sommertransferfenster wurden zusammengezählt, wobei in der Winterpause beim FC Bayern traditionell weniger passiert als im Sommer.
In der aktuellen Saison hatte der FC Bayern mit Benjamin Pavard (3.371 Minuten), Yann Sommer (2.250 Minuten), Sadio Mane (2.205 Minuten), Joao Cancelo (1.295 Minuten), Marcel Sabitzer (1.009 Minuten), Josip Stanisic (1.006 Minuten), Ryan Gravenberch (937 Minuten) und Lucas Hernandez (832 Minuten) besonders viele solcher Spieler abgegeben. Wobei debattiert werden kann, wie groß die Rolle von Spielern wie Sabitzer, Gravenberch oder dem lange verletzten Hernandez wirklich war.
Ansonsten gab es in den vergangenen Jahren nie mehr als fünf Abgänge aus der besagten Kategorie. Interessant ist zudem, dass die Anzahl der abgegebenen Spieler aus den oberen beiden Dritteln des Kaders tendenziell gestiegen ist. Seit der Saison 2016/17 sind es im Schnitt 4,12 pro Saison, zwischen 2009 und 2016 waren es 3,14.
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FC Bayern: Wie viel Veränderung ist gesund?
Zu viel Veränderung von Jahr zu Jahr kann dazu führen, dass sich ein Team nie so wirklich findet. Jüngst kritisierte Uli Hoeneß höchstpersönlich im "BR", dass sein Klub keine Geduld gezeigt habe. Dabei bezog er sich auf die Entlassung von Julian Nagelsmann, sprach aber auch über die generellen Ansprüche rund um den Rekordmeister, die gestiegen sind. Wenige Unentschieden oder Niederlagen würden bereits ausreichen, um alles in Frage zu stellen.
Tatsächlich hat die überaus erfolgreiche Ära zwischen 2009 und 2016 dafür gesorgt, dass von den Bayern mehr erwartet wird als der Meistertitel. Auch die Ausnahmejahre 2020 und 2021, in denen Hansi Flick den FCB unter besonderen Bedingungen während der Coronapandemie zum historischen Sextuple führte, vernebelten die Sinne in München eher, als der Realität ins Auge zu blicken.
Diese hat die Münchner nun aber eingeholt. Aber wie viel Veränderung ist gesund? Braucht es den kompletten Neuanfang oder reicht es, den Kader im Detail zu verstärken?
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FCB: Was man aus den letzten titellosen Jahren lernen kann
Letztmals ohne Titel blieben die Bayern in den Spielzeiten 2010/11 und 2011/12. Insofern lohnt ein Blick auf die damaligen Handlungsmuster – insbesondere vor dem Hintergrund der Triple-Saison 2012/13, die untermauert, dass damals viele richtige Schlüsse gezogen wurden.
Im Sommer 2011 reagierte der FC Bayern auf das Ausbleiben von Silberware mit Abgängen von Thomas Kraft (1.665 Minuten), Andreas Ottl (1.485 Minuten), Hamit Altintop (1.317 Minuten) und Miroslav Klose (1.204 Minuten). Im Jahr darauf hatte Ivica Olic mit 856 Minuten die meisten unter den Abgängen.
Stattdessen verstärkte man sich in den beiden Jahren sehr klug. 2011 kamen Manuel Neuer, Jerome Boateng und Rafinha. 2012 folgten unter anderem Mario Mandzukic, Xherdan Shaqiri, Dante und Javi Martinez. Ein breiter und dennoch ausgewogener Kader war geboren.
Um das erneut zu erreichen, muss der FC Bayern zweifellos mehr aussortieren. Denn im Gegensatz zu damals ist man numerisch derzeit breit aufgestellt. Allerdings stimmt die Balance nicht. Aus 2011 und 2012 können Eberl und Co. dennoch lernen, dass punktuelle Verstärkungen im Zweifelsfall wichtiger sind als ein radikaler Umbau.
Die Hauptprobleme des FCB-Kaders
Was die Frage aufwirft, wo die Balance im FCB-Kader nicht stimmt und welche punktuellen Veränderungen am meisten Sinn ergeben könnten. Potenzielle Baustellen sind die Innenverteidigung, die Linksverteidigung, das zentrale Mittelfeld und womöglich eine Offensivposition.
Am streitbarsten dürfte dabei die Innenverteidigung sein. Mit Matthijs de Ligt, Eric Dier, Minjae Kim und Dayot Upamecano ist der FC Bayern hier gut aufgestellt. Zu sehr gut fehlt ein Spieler, der im Aufbau die Dominanz und Souveränität ausstrahlt, die einst Spieler wie David Alaba, Mats Hummels oder Boateng hatten.
Links hinten wird vieles davon abhängen, wie Alphonso Davies sich entscheidet. Eberl setzte den Kanadier und seinen Agenten zuletzt etwas unter Druck, ist auf eine schnelle Entscheidung aus. Geht Davies, muss Ersatz her. Bleibt er, ist dieser nicht zwingend notwendig.
Auch die Offensive ist streitbar. Das größte Problem ist hier, dass rund um Harry Kane die Konstanz gefehlt hat. Leroy Sane und Jamal Musiala sind Schlüsselspieler, hatten aber zu viele Saisonphasen, in denen sie nicht an ihr Niveau herankamen. Serge Gnabry und Kingsley Coman kämpften mit Verletzungen, Thomas Müller wird nicht jünger.
Sane, Gnabry und Coman wären Verkaufskandidaten, sollte man sich für eine Umstrukturierung entscheiden – allerdings würde es auch hier wohl auf maximal einen Spieler hinauslaufen.
FC Bayern: Holding Six? Nur die halbe Wahrheit
Am stärksten brennt es im Mittelfeldzentrum. Dass zuletzt Leon Goretzka und Konrad Laimer in einem Prestigeduell wie jenem gegen Borussia Dortmund als Doppelsechs auf dem Platz standen, unterstreicht das Kernproblem des Kaders. Auf der wichtigsten Position des Fußballs fehlt eine prägende Figur.
Thomas Tuchel lag richtig mit seiner Analyse, dass eine Holding Six fehle. Gleichzeitig ist das nur die halbe Wahrheit. Die besten Spiele des Kalenderjahres gelangen den Münchnern mit Aleksander Pavlovic, der defensiv alles andere als ein guter Abräumer ist. Seine Qualitäten liegen in der Spielgestaltung.
Technisch haben die Bayern im Zentrum abgebaut. Wenn es auf einer Position einen radikaleren Umbruch benötigt, dann wohl auf dieser – wenn man dem Anspruch eines dominanten Ballbesitzspiels wieder gerecht werden möchte.
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Wohin führt Eberl den FC Bayern?
In der Konsequenz könnte das bedeuten, dass bis zu fünf Spieler den Klub verlassen, die in dieser Saison nach Spielzeit zu den obersten zwei Dritteln im Kader gehörten. Das wäre bereits überdurchschnittlich.
Wichtiger, das zeigten vor allem die Reaktionen auf die letzten titellosen Jahre, wird aber ohnehin sein, wer verpflichtet wird. Bereits mit zwei, drei Neuzugängen sowie einer guten Entscheidung für die Trainerbank kann sich das Urteil über diesen FC Bayern schnell ändern.
Es liegt an Eberl und der weiteren sportlichen Leitung, die richtige Balance zu finden. Irgendwo zwischen einem Komplettumbau des Kaders und einem "weiter so" liegt vermutlich der richtige Weg. Das zeigt auch die Vergangenheit.