WM-Qualifikation
WM-Qualifikation: Fußball-Zwerg Liechtenstein - Konrad Fünfstück: "Wir sind der Außenseiter in Europa"
- Aktualisiert: 09.10.2025
- 16:36 Uhr
- Andreas Reiners
Welche Ziele hat Konrad Fünfstück mit Liechtenstein? Und wie hält man eine Mannschaft bei Laune, die nur alle paar Jahre mal gewinnt? Unter anderem darüber haben wir uns mit Liechtensteins Nationaltrainer unterhalten.
Das Interview führte Andreas Reiners
Konrad Fünfstück schlug zu, als sich ihm 2023 eine ganz spezielle Chance bot: Nationaltrainer von Liechtenstein zu werden.
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Aktuell ist das Fürstentum 204. der FIFA-Weltrangliste. Und traditionell fast immer der Underdog. Doch Fünfstück nahm das Angebot an, "weil es etwas ganz Besonderes ist, eine Nationalmannschaft zu trainieren. Es ist nie selbstverständlich, diese Chance zu bekommen", sagte der 45-Jährige im ran-Interview.
"Natürlich weiß ich, dass wir fast immer Außenseiter sind, dass wir auf dem Papier oft chancenlos wirken. Aber genau das macht den Reiz aus: Wir wollen die Grenzen verschieben", erklärte er.
Im ran-Interview spricht Fünfstück zudem darüber, wie er die Entwicklung des Kleinstaates beurteilt, warum ihn die oberflächliche Betrachtung ärgert, wie er sein Team bei Laune hält und was das große Ziel mit seiner Mannschaft ist.
Das Wichtigste in Kürze
ran: Konrad Fünfstück, Sie trainieren Liechtenstein, aktuell die Nummer 204 der FIFA-Weltrangliste. Kann man sich an Niederlagen gewöhnen?
Konrad Fünfstück: Nein, gewöhnen kann man sich daran nicht. Jeder Sportler geht in ein Spiel, um das Maximum zu erreichen, auch wir. Aber man muss die Rahmenbedingungen in Liechtenstein realistisch einschätzen: Wir sind das sechstkleinste Land der Welt, haben nur rund 30.000 Einwohner und spielen im wahrscheinlich stärksten Kontinentalverband, der UEFA. Wir haben aktuell zudem nur sieben Spieler in der Nationalmannschaft, die mit Fußball ihr Geld verdienen. Trotzdem treiben wir den Umbruch voran, haben eine sehr junge A-Nationalmannschaft und einige Spieler, die ihre nächsten Schritte gehen. Klar will man Erfolge feiern, aber man muss sie immer im Kontext sehen, in dem wir uns bewegen.
ran: 2025 gab es sechs Spiele, sechs Niederlagen, 0:23 Tore – wie analysieren Sie diese Serie?
Fünfstück: Man muss jedes Spiel für sich betrachten. Klar sind die Ergebnisse deutlich, aber wir müssen Relationen herstellen. Ein Beispiel: Moldau hat gegen Norwegen 1:11 verloren – und Moldau hat einen Marktwert von 14 Millionen Euro, bei uns liegt der gesamte Kader bei rund 400.000 Euro. Wenn wir gegen Belgien zur Pause nur 0:1 hinten liegen, dann ist das für uns ein achtbares Ergebnis.
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Liechtenstein: Unter Fünfstück eine klare Spielidee
ran: 2024 war eines der erfolgreichsten Jahre in der Verbandsgeschichte. Ist die aktuelle Serie also ein Rückschlag?
Fünfstück: Von außen wirkt es so, weil man nur die Ergebnisse sieht. Aber wir müssen die Gruppe betrachten: Belgien, Kasachstan, Nordmazedonien, Wales sind alles Nationen, die in der Nations League zwischen Liga A und B spielen. Wir dagegen sind der klare Außenseiter. Wir haben in diesem Jahr keinen Gegner gehabt, der wirklich auf Augenhöhe war. Deshalb ist es irreführend, nur die Zahlen zu betrachten. Entscheidend ist für uns: Wir haben eine klare Spielidee, wir kommen zu Chancen, wir sind strukturiert und wir bringen junge Spieler in die A-Mannschaft, die dort ihre ersten Schritte machen.
DFB-Legenden: Das ist die Hall of Fame des deutschen Fußballs
ran: Ist diese Entwicklung mit ein Grund, warum Sie 2023 den Job übernommen haben?
Fünfstück: Ja, und weil es etwas ganz Besonderes ist, eine Nationalmannschaft zu trainieren. Es ist nie selbstverständlich, diese Chance zu bekommen. Wenn du an der Seitenlinie stehst, die Hymnen gespielt werden und du eine Mannschaft international begleitest, dann ist das ein Moment, der dich mit Stolz erfüllt. Natürlich weiß ich, dass wir fast immer Außenseiter sind, dass wir auf dem Papier oft chancenlos wirken. Aber genau das macht den Reiz aus: Wir wollen die Grenzen verschieben. Und es erfüllt mich mit Stolz, wenn wir Gegnern ein unangenehmer Rivale sind, wenn wir Spuren hinterlassen und eine eigene Identität entwickeln. Viele belächeln Liechtenstein als Fußballzwerg und verweisen immer nur auf die Ergebnisse. Aber wer genauer hinsieht, erkennt, wie viel Respekt diese Mannschaft verdient. Hier stehen überwiegend Spieler auf dem Platz, die nicht vom Fußball leben, und liefern trotzdem auf internationalem Parkett leidenschaftliche, strukturierte Auftritte.
ran: Kommt Ihnen Ihre Mannschaft in der öffentlichen Wahrnehmung manchmal zu schlecht weg?
Fünfstück: Viele vergleichen nur Ergebnisse und sehen nicht, was dahintersteht. 30.000 Einwohner: das ist ein Stadtteil in einer Großstadt in Deutschland. Stell dir vor, du trittst mit deinem Stadtteil gegen Belgien an. Wie würde das wohl ausgehen? Was mir in der Gesamtbewertung manchmal fehlt, ist der Blick auf das, was diese Mannschaft tatsächlich leistet. Niemand fragt sich, wie es uns gelingt, gegen Top-Nationen lange mitzuhalten, zur Halbzeit unentschieden zu stehen oder nur knapp zurückzuliegen. Das sind für uns beachtliche Leistungen, weil wir jedes Spiel wie ein DFB-Pokalspiel angehen, als klarer Außenseiter, der über sich hinauswachsen muss. Genau das machen die Jungs. Und das verdient meiner Meinung nach deutlich mehr Anerkennung, als es oft bekommt.
ran: Wie hält man eine Mannschaft bei Laune, die selten Siege feiert?
Fünfstück: Indem man andere Ziele setzt. Unsere Spieler wissen von klein auf, dass sie fast immer als Underdog antreten, sie haben sich an die Rolle gewöhnt. Jeder geht ins Spiel mit klaren Aufgaben, misst sich mit Gegnern, die er sonst nur aus der Champions League kennt. Für unsere Jungs ist jedes Länderspiel ein besonderes Erlebnis – ihr Land zu vertreten, für die Krone zu spielen.
Fünfstück in Liechtenstein: Die Erwartungshaltung von außen ist eine andere
ran: Wie ist es mit dem Thema Druck: ist der für Sie als Trainer Liechtenstein ein anderer als zum Beispiel bei früheren Stationen?
Fünfstück: Die Erwartungshaltung von außen ist eine andere, klar, aber unsere eigene ist hoch. Wir wollen jedes Mal an die Leistungsgrenze gehen. Der Verband ist professionell aufgestellt, wir arbeiten mit hauptamtlichen Kräften, denken strukturiert und wollen Schritt für Schritt Fortschritte sehen. Natürlich ist das ein anderer Maßstab als in Nationen, die sich regelmäßig für Turniere qualifizieren. Aber auch wir denken und handeln professionell. Wir wissen, wer wir sind: der Außenseiter in Europa. Aber wir wollen in jedem Spiel an die Grenze gehen und sind stolz, dass uns das so oft gelingt.
ran: 2024 gab es zwei Niederlagen gegen San Marino. Wie weh haben die getan?
Fünfstück: Das sind absolute Duelle auf Augenhöhe. Wir haben 1:0 geführt und wären damit in die Nations-League-Gruppe C aufgestiegen. 45 Minuten haben uns gefehlt. Mit dem Wiederanpfiff kassieren wir ein extrem unglückliches 1:1, verlieren die Ordnung und damit das Spiel. Statt Aufstieg landen wir am Ende auf Rang drei. Das war schon bitter. Aber so ist Fußball. Manchmal liegen Aufstieg und Enttäuschung ganz eng beieinander. Man darf auch nicht vergessen: San Marino und Andorra haben mittlerweile mehr Profis als wir. Viele ihrer Spieler verdienen ihr Geld im italienischen Profifußball. Da sind sie uns im Moment einfach voraus. Deshalb geht es für uns darum, die neuen Generationen zu suchen.
ran: Wie gehen Sie das konkret an?
WM 2026: Diese Teams sind bereits qualifiziert
Fünfstück: Wir müssen alles investieren, um die jungen Spieler optimal zu begleiten. Wir geben ihnen internationale Turniere, Einsätze, Erfahrungen auf höchstem Niveau. Nur so können sie wachsen. Gleichzeitig gilt es, die jungen Spieler, die bereits im A-Kader stehen, weiter heranzuführen, ihnen Minuten zu geben und sie an den Rhythmus des internationalen Fußballs zu gewöhnen.
ran: Wie beurteilen Sie die Entwicklung im Nachwuchsbereich?
Fünfstück: Da sehen wir erfreuliche Schritte. Unsere U15 hat bei einem Entwicklungsturnier Andorra geschlagen, auch in den anderen Jahrgängen ist klar eine Tendenz erkennbar. Das sind kleine Schritte, aber sehr wichtige. Wir wollen die A-Nationalmannschaft stabilisieren, gleichzeitig aber den Unterbau stärken. Nur über die Talentförderung schaffen wir es, neue Profis hervorzubringen. Aber das braucht Zeit.
Liechtenstein ist stabiler geworden
ran: Sie haben Ihren Vertrag im Frühjahr bis 2028 verlängert. Wie fällt Ihre Bilanz seit Amtsantritt 2023 aus?
Fünfstück: Als ich die Mannschaft übernommen habe, stand da ein 0:7 gegen Island. Solche Ergebnisse gibt es seither nicht mehr. Natürlich kassieren wir Niederlagen, aber wir sind stabiler geworden und haben uns punktuell weiterentwickelt. Wir haben eine klare Spielidee, haben die Mannschaft verjüngt und eine einheitliche Philosophie bis hinunter zu den U-Teams etabliert. Wir haben im Verband viel professionalisiert, bei Athletik, Ausbildung, Strukturen. Das macht mich stolz.
ran: Hat Sie in Liechtenstein etwas überrascht?
Fünfstück: Nicht wirklich, denn ich wusste, dass der Verband sehr professionell arbeitet. Das war ein Grund, warum ich dieses Amt angenommen habe. Begeistert bin ich aber immer wieder von der Widerstandsfähigkeit der Spieler. Sie nehmen ihre Rolle als Underdog an, resignieren nicht, sondern wollen sich täglich verbessern. Wenn der gegnerische Trainer sagt: "Es ist nicht leicht, gegen euch zu spielen", dann zeigt das, dass wir auf dem richtigen Weg sind.
ran: Sie haben den Kader angesprochen. Marktwerte sind das eine – aber viele Fans kennen die Spieler vermutlich gar nicht. Können Sie Ihre Mannschaft ein wenig vorstellen?
Fünfstück: Wir haben viele sehr junge Spieler, die erst am Anfang ihres Weges stehen. Dazu kommen einige erfahrene Akteure wie Benjamin Büchel, unser Torhüter, der in England bei Reading gespielt hat, oder Nicolas Hasler, der unter anderem in der MLS aktiv war. Außerdem haben wir Spieler wie Fabio Luque-Notaro in Schweinfurt oder Alessio Hasler beim FC Vaduz, die ihre ersten Schritte als Profis gehen. Insgesamt besteht die Mannschaft also aus einer Mischung: ambitionierte Amateurspieler, die sich entwickeln wollen, gestützt von wenigen Profis, die Stabilität geben. Für ein Land unserer Größe ist das ein Zeichen, dass im Verband sehr gute Arbeit geleistet wird.
ran: Was ist mit einem solchen Mix aus Profis und Semiprofis realistisch möglich? Ist der Aufstieg in der Nations League das große Ziel?
Fünfstück: Zuletzt waren wir sehr nah dran am Aufstieg. Für uns ist es Ansporn, es beim nächsten Mal besser zu machen. Denn die Nations League ist für uns der Wettbewerb, in dem wir häufiger Gegner auf Augenhöhe haben. Wenn wir in einem anderen Kontinentalverband spielen würden, hätten wir viel öfter Spiele auf Augenhöhe. Deshalb ist die Weltrangliste auch nicht wirklich fair. Nationen, die weniger Spiele austragen, verlieren keine Punkte, wir dagegen schon. So entsteht eine Verzerrung.
ran: Inwiefern?
Fünfstück: Das liegt am Modus. Es gibt Konföderationen, in denen Nationen nur wenige Spiele bestreiten, teilweise keine zehn im Jahr. Wer aber nicht spielt, kann auch keine Punkte verlieren. Wir dagegen absolvieren regelmäßig unsere Pflichtspiele, und wenn du verlierst – was gegen Top-Nationen oft der Fall ist – verlierst du automatisch Punkte und damit auch Ranglistenplätze. Das führt dazu, dass die Weltrangliste kein realistisches Abbild der tatsächlichen Leistungsfähigkeit kleiner Nationen ist. Die Tabelle suggeriert klare Abstände, die in Wahrheit aber eher eine Folge des Systems sind als der sportlichen Qualität.
Fünfstück: Wir wollen lernen, Erfahrungen sammeln
ran: Jetzt wartet in der WM-Quali Kasachstan sowie Montenegro. Wie gehen Sie in diese Spiele?
Fünfstück: Kasachstan ist für uns ein extremes Beispiel. Das sechstkleinste Land der Welt reist 7.500 Kilometer zum sechstgrößten. Allein diese Dimension zeigt, wie unterschiedlich die Voraussetzungen sind. Kasachstan hat in der Nations League in Liga B gespielt, enge Spiele gegen Belgien, Wales, Nordmazedonien bestritten. Natürlich sind wir auch dort klarer Außenseiter. Aber genau darum geht es: Wir wollen lernen, Erfahrungen sammeln, unser Land würdig vertreten. Für unsere Spieler ist jedes Länderspiel besonders.
ran: Sie haben bei Ihrem Amtsantritt gesagt, Sie wollen den Liechtensteiner Fußball attraktiver machen. Inwieweit ist das gelungen?
Fünfstück: Das zeigt sich an mehreren Dingen. Wir sehen steigende Anmeldezahlen im Jugendbereich, die Vereine haben Zulauf, die Stadien sind bei unseren Spielen voller junger Fans. Fußball ist populär, und das freut uns sehr. Auf dem Platz bedeutet "attraktiver", dass wir uns mehr zutrauen. Früher hat Liechtenstein fast ausschließlich verteidigt. Heute haben wir Phasen, in denen wir selbst Chancen herausspielen, klare Ideen mit und gegen den Ball haben. Genau darum geht es: Wir wollen zeigen, dass Liechtenstein nicht nur verteidigt, sondern Fußball spielt, mit Plan, mit Struktur und mit Leidenschaft.