1. RUNDE IM DFB-POKAL
FC Schalke bei Lok Leipzig - Toni Wachsmuth: "Wundertüte S04? In 90 Minuten hat man immer eine Chance"
- Veröffentlicht: 17.08.2025
- 10:58 Uhr
- Andreas Reiners
Wir haben vor dem DFB-Pokalspiel zwischen Lok Leipzig und dem FC Schalke mit Lok-Sport-Geschäftsführer Toni Wachsmuth über S04, die Herausforderung Regionalliga und die wohl unfairste Regel im deutschen Fußball gesprochen.
Das Interview führte Andreas Reiners
76 Punkte waren eine Ansage. Gereicht haben sie trotzdem nicht.
Dabei war Lok Leipzig 2024/25 mit der Ausbeute die beste aller Regionalliga-Mannschaften. Aufgestiegen ist der Klub allerdings nicht, was an der wohl unfairsten Regel im deutschen Fußball liegt. Denn bei vier Absteigern aus der 3. Liga und fünf Regionalligen schaut Jahr für Jahr ein Meister durch die Relegation in die Röhre.
Doch die Euphorie rund um die "Loksche" ist riesig. 2.849 Dauerkarten wurden für laufende Saison in der Regionalliga Nordost verkauft. Vor einem Jahr waren es 1.912.
Und das Erstrundenspiel im DFB-Pokal gegen den FC Schalke am Sonntag treibt die Stimmung an. "Wir hätten das Stadion sicher doppelt und dreifach ausverkaufen können", sagt Loks Geschäftsführer Sport Toni Wachsmuth im ran-Interview. Das eigens dafür angefertigte Sondertrikot (1.200 Stück) war innerhalb von weniger als 24 Stunden komplett vergriffen. Und der gute Saisonstart mit sieben Punkten aus drei Spielen rundet das positive Bild ab.
- 2. Bundesliga: Schiedsrichter-Legende Urs Meier verteidigt Nachspielzeiten
- 2. Bundesliga: Deutschland hat ein Schiedsrichter-Problem - Kommentar
- 2. Bundesliga pur: Alle Zweitliga-Highlights - jetzt kostenlos streamen
Alles gut also? Nein. Denn natürlich ist eine Änderung der Aufstiegsregelung "mehr als überfällig", wie Wachsmuth betont. Wir haben mit ihm über die Initiative "Aufstiegreform 2025" unterhalten, die Rolle des DFB, die Aussichten, den Spagat in der Regionalliga und das Pokalspiel gegen S04.
Das Wichtigste in Kürze
ran: Herr Wachsmuth, Lok hat den Aufstieg in die 3. Liga auf dramatische Art und Weise verpasst. Wie schwierig war es, die Relegation aus den Köpfen zu bekommen?
Toni Wachsmuth: Wir müssen es abhaken, weil die neue Saison bereits läuft und wir uns nicht mehr damit beschäftigen können. Natürlich hat uns das alle zunächst belastet. Man hat auch bei den Spielern gemerkt, dass es einige gibt, die das noch länger mit sich herumgetragen haben, bis hinein in die neue Vorbereitung. Wir haben versucht, das Thema so gut wie möglich aus den Köpfen zu bekommen. Uns ist aber bewusst, dass das nicht zu 100 Prozent gelingt. Am Ende muss jeder seinen eigenen Weg finden, damit umzugehen. Das beste Rezept sind neue Erfolgserlebnisse.
ran: Inwieweit hat der verpasste Aufstieg den Klub zurückgeworfen?
Wachsmuth: Tatsächlich hat uns das gar nicht zurückgeworfen, im Gegenteil. Die vergangene Saison war eher der Startschuss für viele Projekte, vor allem im infrastrukturellen Bereich. Wir haben jetzt eine Rasenheizung mit neuem Rollrasen, einen Presseturm, zusätzliche Sitzplätze im Stadion. Dazu wurden diverse Modernisierungen umgesetzt. Es herrscht eine Aufbruchstimmung, die selbst durch die verpasste Relegation nicht kleiner geworden ist.
Lok Leipzig hat die Messlatte höhergelegt
ran: Mit der Euphorie geht aber auch eine gestiegene Erwartungshaltung einher. Sie haben als beste Mannschaft aller Regionalligen die Messlatte hochgelegt.
Wachsmuth: Uns ist bewusst, dass wir die Messlatte höher gelegt haben, und das ist auch gut so. Wir achten darauf, dass die Erwartungen nicht unrealistisch werden. Wir sind weiterhin keine Mannschaft, die über den Dingen steht. Weder von der eigenen Qualität noch wirtschaftlich gehören wir zur absoluten Spitze. Realistisch gesehen bewegen wir uns eher im vorderen Mittelfeld. Trotzdem wollen wir uns wieder in der Spitzengruppe zeigen, weil wir das Zeug dazu haben. Ich erwarte, dass die Liga insgesamt näher zusammenrückt.
ran: Muss Lok Leipzig in dieser Saison nicht zwingend aufsteigen?
Wachsmuth: Das kann man relativ klar beantworten: nein. Unsere Vision ist es, den Verein zurück in den Profifußball zu führen, ja, aber ohne einen festen Zeitplan. So etwas lässt sich nicht exakt planen. Uns geht es nicht darum, um jeden Preis den Aufstieg zu erzwingen. Wir wollen in der 3. Liga nicht nur ankommen, sondern dort auch realistische Chancen haben, zu bestehen. Dafür müssen wir vor allem infrastrukturell und wirtschaftlich noch einiges aufbauen. Ein aktuelles "Muss" gibt es also nicht.
ran: Wie herausfordernd ist es generell für einen Verein wie Lok, in der Regionalliga zu bestehen? Die Liga gilt ja oft als "Grauzone" zwischen Amateur- und Profifußball.
Wachsmuth: Die Regionalliga ist für viele Traditionsvereine eine besondere Herausforderung, und das deutschlandweit. Es gibt überall viel Tradition, aber auch oft eine in die Jahre gekommene Infrastruktur. Viele Vereine stehen vor den gleichen Hürden. Für uns waren das "Projekt Dritte Liga" und auch das Crowdfunding elementar, um wichtige Projekte anzustoßen. Die größte Herausforderung ist das Stadion. Wir müssen uns Schritt für Schritt verbessern, damit wir den Profifußball hier abbilden können.
ran: Wie groß ist der Sprung von der Regionalliga in die 3. Liga, sportlich, wirtschaftlich und infrastrukturell?
Wachsmuth: Ich durfte in den letzten Jahren in der 3. Liga arbeiten und habe gesehen, dass dort eine ganz andere Schlagzahl herrscht. Die Liga hat sich enorm entwickelt. Fast alle Stadien sind moderne Arenen, eher auf Zweitliga- als auf Drittliga-Niveau. Zuschauerzahlen liegen oft jenseits der 15.000, die Etats erreichen zweistellige Millionenhöhen. Das ist eine ganz andere Hausnummer. Die 3. Liga ist mittlerweile extrem leistungsstark und wirtschaftlich stark aufgestellt.
Externer Inhalt
Herausforderung Regionalliga: TV-Gelder sind der Hebel, der fehlt
ran: In den Regionalligen sieht das anders aus. Die West-Staffel wurde nach den Insolvenzen der vergangenen Saison sogar als "Friedhof der Traditionsvereine" bezeichnet. Wie alarmierend ist das?
Wachsmuth: Das sollte nicht zur Regel werden. Fakt ist: Für ambitionierte Traditionsvereine ist die Regionalliga wirtschaftlich schwer zu stemmen, weil es keine TV-Gelder gibt. Das ist der größte Hebel, der fehlt. Natürlich ist jeder Verein auch selbst für seine Wirtschaftlichkeit verantwortlich. Aber viele haben eher ein Einnahme- als ein Ausgabeproblem. Und das macht den langfristigen Wettbewerb in der Regionalliga für Traditionsvereine besonders schwierig.
ran: Wie dringend ist dann die Aufstiegsreform?
Wachsmuth: Sie ist mehr als überfällig. Sie würde zumindest für klare Planbarkeit und vor allem für Fairness sorgen. Es kann nicht sein, dass ein Verein im Westen oder Südwesten weiß: "Wenn wir Meister werden und die Auflagen erfüllen, steigen wir auf", während andere Staffeln in einem rotierenden System gegeneinander antreten müssen. Das widerspricht für mich dem Fairplay- und Leistungsgedanken. Die aktuelle Regelung ergibt keinen Sinn. Es braucht eine einheitliche Lösung.
ran: Was wäre Ihrer Meinung nach die beste Lösung?
Wachsmuth: Es gibt nicht den einen goldenen Weg, mit dem alle zufrieden sind. Jede Variante wird für manche Vereine Nachteile mit sich bringen. Aber es gibt Lösungen, bei denen die Vorteile klar überwiegen, und auf eine solche sollte man sich einigen. Ob das eine neue Struktur mit nur vier Regionalligen ist oder ein anderes Modell, ist zweitrangig. Entscheidend ist: Ein Meister muss direkt aufsteigen.
DFB-Pokal: Die peinlichsten Pleiten der Bundesligisten
ran: Macht es sich der DFB in dieser Diskussion zu einfach? Schließlich könnte man das Problem mit einer Aufstockung oder einem zusätzlichen Absteiger aus der 3. Liga schnell lösen. Das wird aber strikt abgelehnt.
Wachsmuth: Es gibt schon Gründe, warum viele Drittligisten eher zurückhaltend sind. Aber mir wäre wichtig, dass der DFB als verantwortliche Instanz mehr Initiative zeigt. Statt bei jedem Vorschlag sofort zu sagen, was nicht geht, sollte man alle Varianten offen diskutieren. Es geht darum, gemeinsam eine Lösung zu finden, nicht um das Verwalten des Status quo.
ran: Welche Folgen hätte es, wenn sich nichts ändert?
Wachsmuth: Das ist schwer zu sagen. Das aktuelle Modell wurde 2019 als Übergangslösung beschlossen, mit dem klaren Zusatz, dass es keine Dauerlösung sein kann. Nun besteht es seit sechs Jahren, ohne dass sich etwas geändert hat. Ich habe den Eindruck, dass man sich hinter dem damaligen Beschluss versteckt. Das ist mir zu einfach.´
Lok-Sportdirektor: "Das Thema muss jetzt angepackt werden"
ran: Die Initiative "Aufstiegsreform 2025" unterstützen inzwischen über 40 Vereine. Wie viel Wucht hat die Initiative entwickelt?
Wachsmuth: Das zeigt, dass man erkennt, dass das System so, wie es jetzt ist, im Sport nicht funktionieren kann. Aber ganz klar: Das Thema muss jetzt angepackt werden, das ist ein klarer Appell aus der Initiative. Natürlich wird eine Reform wohl erst zur nächsten oder sogar übernächsten Saison umgesetzt. Aber entscheidend ist, dass die Weichen jetzt konkret gestellt werden und das Thema nicht wieder auf die lange Bank geschoben wird.
ran: Was ist aus Ihrer Sicht der größte Hemmschuh?
Wachsmuth: Das größte Problem sind die vielen Einzelinteressen, die unter einen Hut gebracht werden müssen. Vereine, Verbände, Funktionäre: Jeder hat sein eigenes Verantwortungsfeld, und das ist verständlich. Aber am Ende muss es eine Lösung im Sinne des Sports geben. Einzelinteressen dürfen nicht über dem Gesamtwohl stehen.
ran: Was stimmt Sie optimistisch, dass es zu einer Einigung kommen kann?
Wachsmuth: Dass die Initiative heute deutlich mehr Unterstützer hat, viel mehr öffentliche Aufmerksamkeit bekommt und dass das Problem nicht mehr nur einige wenige Vereine betrifft, sondern als generelles, strukturelles Problem erkannt wird.
ran: Nach der Relegation gab es bei Lok einen kleinen Umbruch. Was sagt Ihnen der bisherige Saisonstart?
Wachsmuth: Dass es in der Regionalliga nach wie vor schwer ist, Punkte zu holen. Nichts wird einem geschenkt, und als amtierender Meister sind wir nun auch die Gejagten. Der Start hat aber auch gezeigt: Wir haben die Qualität, um wieder eine gute Rolle zu spielen. Allerdings nur, wenn wir unser Leistungsvermögen voll ausschöpfen. Andernfalls wird es in dieser ausgeglichenen Liga schwierig, konstant zu punkten.
FC Schalke sorgt für zusätzlichen Euphorie-Schub bei Lok
ran: Jetzt wartet im DFB-Pokal der FC Schalke. Wie wichtig ist das Spiel für den Klub?
Wachsmuth: Mit dem Los Schalke 04 kam noch einmal ein zusätzlicher Euphorie-Schub. Das hat sicher auch geholfen, die Enttäuschung aus der Relegation zu verarbeiten. Die Vorfreude ist riesig: Innerhalb weniger Tage waren alle Tickets vergriffen. Wir haben extra ein Sondertrikot entworfen, das großen Anklang findet.
ran: Was rechnen Sie sich aus? Der Pokal hat seine eigenen Gesetze. Diese Phrase gilt ja immer noch, auch wenn sie abgedroschen ist.
Wachsmuth: Diese Phrase stimmt nach wie vor. In 90 Minuten hat man immer eine Chance, egal wie klein sie auch ist. Natürlich ist Schalke der klare Favorit. Spielt man zehnmal gegeneinander, gewinnt Schalke wahrscheinlich neunmal. Aber unser Ziel ist es, an diesem Tag unsere Bestleistung abzurufen, das nötige Quäntchen Glück zu haben und Schalke den Sieg so schwer wie möglich zu machen. Ich erwarte, dass die Mannschaft nicht ängstlich oder verkrampft auftritt, sondern mit Lust, Vorfreude und dem Spirit, der uns auszeichnet.
Taylor Swift und Travis Kelce schwärmen von Gelsenkirchen
ran: Ist der Optimismus etwas größer, weil Schalke eine "Wundertüte" ist und als launisch gilt?
Wachsmuth: Vielleicht ein bisschen, aber am Ende ist es trotzdem Schalke 04, ein riesengroßer Klub mit ganz anderen Möglichkeiten als wir. Natürlich sind sie in den letzten Jahren nicht da, wo sie sich selbst sehen. Von daher wird es auch darauf ankommen, wie sie sich gegen uns präsentieren. Es ist ein K.o.-Spiel: Wir müssen nicht zehnmal gegen Schalke antreten, sondern nur einmal. In so einem Spiel ist vieles möglich.
ran: In Leipzig herrschen brisante Rivalitäten. Chemie ist der direkte Konkurrent, RB der Bundesligist. Wer ist aktuell die Nummer eins, die Liga-Zugehörigkeit einmal ausgeklammert?
Wachsmuth: Lok Leipzig natürlich (lacht). RB Leipzig spielt in einem völlig anderen Kosmos, auf Champions-League-Niveau, während wir an der Schwelle vom Amateur- zum Profifußball stehen. Das kann man nicht vergleichen, das sind Welten. Unsere sportliche Hauptkonkurrenz ist Chemie Leipzig. Wir wollen am Saisonende vor ihnen stehen und natürlich die Derbys gewinnen. Letzte Saison haben wir alle drei Derbys für uns entschieden, was bei Chemie sicher tiefe Spuren hinterlassen hat. Solange diese Rivalität sportlich bleibt und nicht in Gewalt umschlägt, macht sie auch den Reiz aus.